Die letzten Male war’s nur Spaß, aber diesmal geht es buchstäblich um Leben und Tod. Der dritte "Einsatz für Henning Baum" sei sein bislang intensivster, hat RTL vor der Erstausstrahlung dieser Reportage im letzten Jahr angekündgit, und das ist nicht übertrieben. Als der TV-Star fünf Monate lang bei der Leipziger Bereitschaftspolizei hospitierte (2021) oder während seines Praktikums bei der Bundeswehr (2022) im Eurofighter mitfliegen durfte, waren diese Stippvisiten immer auch eine Art Mutprobe. Beim Rettungsdienst dagegen schlüpft der Schauspieler nicht bloß in eine Rolle. Bislang war er eher ein teilnehmender Beobachter, aber im Rettungswagen des DRK Essen kehrt er quasi zu seinen Wurzeln zurück: Hier hat Baum vor dreißig Jahren seinen Zivildienst absolviert, er ist ausgebildeter Rettungssanitäter; und natürlich steht er bei den Einsätzen nicht bloß dekorativ am Rand, sondern packt beherzt zu.
Das sei hier "nicht irgendein Fernsehunsinn", versichert Baum zu Beginn, weshalb es auch gleich zur Sache geht: Erster Notfall ist ein im Schneetreiben ausgerutschter alter Mann. "Ist nix weiter", versichert er noch. "Da vertut er sich aber gewaltig", stellt Baum fest, denn plötzlich verlassen den älteren Herrn die Lebensgeister; die Rettung kam gerade noch zur rechten Zeit. "Wie gut sind wir in Deutschland im Notfall versorgt?", will der Schauspieler wissen, und deshalb erkundet er die Lage auch in der ostfriesischen Provinz, wo man mitunter weit über eine Stunde auf Hilfe warten muss, wenn der Anlass nicht akut lebensbedrohlich ist. Im bayerischen Dinkelsbühl begleitet Baum einen Notarzt im Rettungshubschrauber des ADAC, hier kommt es zum dramatischen Höhepunkt der knapp neunzig Minuten langen Reportage, als er eine Heiminsassin reanimiert.
Mit der mittlerweile vierteiligen "Einsatz"-Reihe hatte RTL eine richtig gute Idee. Was Hannes Jaenicke in seinem ganz ähnlich konzipierten ZDF-Format für bedrohte Tierarten tut, leistet Baum für Berufe, die aus unterschiedlichsten Gründen Probleme haben; vor allem im Nachwuchsbereich. Bei Rettungskräften kommt eine paradoxe Entwicklung hinzu: Diese Menschen retten Leben, müssen sich aber trotzdem beschimpfen, beleidigen und bespucken lassen. Bei Baum hat sich das natürlich keiner getraut, auch nicht in Berlin-Neukölln, "ein sehr lebendiges Pflaster", wie er es formuliert. Hier kam es in der Silvesternacht 2022 zu beinahe bürgerkriegsähnlichen Zuständen, als Krawallmacher einen Bus in Brand steckten und die Feuerwehr nicht nur mit Steinen und Flaschen bewarf, sondern auch unter Beschuss nahm; zwar nur mit Schreckschusswaffen, aber immerhin. Seither sind die Sicherheitskräfte mit Körperkameras ausgestattet, was für eine Sendung wie diese natürlich prima ist: Auf diese Weise ist das TV-Publikum mitten drin im Getümmel.
Tilmann P. Gangloff, Diplom-Journalist und regelmäßiges Mitglied der Jury für den Grimme-Preis, schreibt freiberuflich unter anderem für das Portal evangelisch.de täglich TV-Tipps und setzt sich auch für "epd medien" mit dem Fernsehen auseinander. Auszeichnung: 2023 Bert-Donnepp-Preis - Deutscher Preis für Medienpublizistik (des Vereins der Freunde des Adolf-Grimme-Preises).
Hier, in Berlin, kommt es auch zu einer denkwürdigen Szene, in der der ansonsten besonnene Baum fast ein bisschen ausrastet, als der Rettungsdienst der Feuerwehr ausrückt, um einer vermeintlich hilflosen Person beizustehen. Tatsächlich hat der Mann, Anfang sechzig, eine halbe Flasche Whisky intus und will sich kostenlos nach Hause fahren lassen, weil er kein Geld mehr fürs Taxi hat. Die weiteren Einsätze gehen dagegen ans Gemüt: Mal werden die Männer zu einem Dreijährigen mit Verdacht auf Schlaganfall gerufen, mal müssen sie eine sterbende 85 Jahre alte Frau in eine Klinik bringen, anstatt sie friedlich im eigenen Bett sterben zu lassen; Baum nutzt die Gelegenheit, um anzumerken, wie wichtig eine Patientenverfügung ist. Beim Besuch des "Nadelöhrs Notaufnahme" wird deutlich, wie sehr das Personal am Limit arbeitet, weil allzu viele Menschen ins Krankenhaus kommen, obwohl sie genauso gut ihren Hausarzt aufsuchen könnten.
Selbst wenn der Schauspieler nicht alle Interviews selbst geführt und seine Texte nicht ausnahmslos selbst geschrieben haben sollte, so vermittelt auch dieser dritte "Einsatz" dennoch ungleich mehr Authentizität als vergleichbare Produktionen, in denen sich saturierte Reporter für einen Tag in die Obdachlosigkeit begeben. Baum macht keinen Hehl daraus, wie angespannt er ist und wie nahe ihm einige Erlebnisse gehen. Wider Erwarten gibt es allerdings auch heitere Momente. Unter anderem kommt es zu der witzigen Situation, dass die alte Frau, kaum dem Tode entronnen, den Mann erkennt, dem sie das zu verdanken hat: "Sind Sie der aus dem Fernsehen?" Zwischendurch schlägt die ernste Stimmung ohnehin auch mal um, wenn Baum nicht ganz text- und notensicher im Rettungswagen "Billy Jean" mitsingt. Irgendwie muss die ständige Anspannung abgebaut werden; er habe lange nicht mehr so gelacht wie während dieser Einsätze "im Grenzbereich des Lebens".