Die Gleichung ist nicht fair, weil auch intelligente Personen anfällig für Verschwörungserzählungen sein können, aber völlig falsch ist sie sicher nicht: je kleiner der Geist, desto größer der Aberglaube. Tatsächlich ist es einigermaßen absurd, welchen Überzeugungen die Leute anhängen. Eine Gruppe glaubt zum Beispiel, die Mitglieder einer außerirdischen Echsenrasse habe die Identität führender Politiker angenommen, um die Herrschaft über die Erde zu übernehmen; und diese Leute hat Astrid Ströher in ihrem ersten Drehbuch für den "Tatort" aus Münster aufs Korn genommen.
"Propheteus" war 2022 der zweite Jubiläumsfilm des Jahres für Jan Josef Liefers und Axel Prahl, die sich bereits seit über zwei Jahrzehnten durch die westfälischen Krimis frotzeln. Manchmal hat es den Anschein, als seien die Dialoge wichtiger als die Geschichten, aber dann gibt es immer wieder verblüffende Höhepunkte wie die Jenseitshumoreske "Limbus" (2020). Das gilt auch für den 41. Fall des Duos Boerne und Thiel, zumal die beiden nicht bloß Zeugen und Opfer einer Verschwörung sind, sondern vom Verfassungsschutz gar für Mittäter gehalten werden.
Das Landesamt hat ein Pärchen geschickt, das den ohnehin satirischen Krimi zeitweise an den Rand der Parodie befördert: Herr Muster und Frau Mann (Melanie und Daniela Reichert) wirken mit ihrer sparsamen Mimik und der tonlosen Sprechweise selbst wie Aliens in Menschengestalt. Die beiden nehmen den Rechtsmediziner und den Hauptkommissar ins Kreuzverhör, und so entwickelt sich eine Geschichte, die von Ferne an John Carpenters Science-Fiction-Thriller "Sie leben" (1998) erinnert. Sie beginnt mit einem ganz gewöhnlichen Mord und zieht dann immer irrwitzigere Kreise, als sich rausstellt, dass das Opfer zu einer Chatgruppe namens Sisundus (kurz für "Sie sind unter uns") gehörte, deren Wortführer Propheteus angeblich beweisen kann, dass Reptiloiden die Menschheit unterwandern.
Geschickt nutzt Ströher die Struktur ihres Drehbuchs, um die Handlung ständig heitere Haken schlagen zu lassen. Anders als bei der Thriller-Dramaturgie, die einen Höhepunkt an den Anfang stellt und dann in langer Rückblende nachreicht, wie es dazu kommen konnte, wechselt "Propheteus" regelmäßig die Zeitebenen, um beispielsweise zu erklären, warum Boerne zu Beginn ziemlich derangiert und in einem für seine Verhältnisse reichlich geschmacklosen Hawaiihemd herumläuft und weshalb er plötzlich anscheinend selber zu den Verschwörungsgläubigen gehört. Mit einer Spannungsklimax beginnt der Film trotzdem: Boerne und Thiel sind Geiseln eines offenbar verwirrten Mannes (Matthias Komm) mit Sprengstoffgürtel, der die beiden auf dem Dach des Polizeipräsidiums mit sich in den Tod reißen will.
Tilmann P. Gangloff, Diplom-Journalist und regelmäßiges Mitglied der Jury für den Grimme-Preis, schreibt freiberuflich unter anderem für das Portal evangelisch.de täglich TV-Tipps und setzt sich auch für "epd medien" mit dem Fernsehen auseinander. Auszeichnung: 2023 Bert-Donnepp-Preis - Deutscher Preis für Medienpublizistik (des Vereins der Freunde des Adolf-Grimme-Preises).
Die Geschichte ist klasse, doch die Umsetzung ist mindestens kongenial. Regisseur Sven Halfar ist kein Neuling, aber für den "Tatort" eine echte Entdeckung. Er hat gemeinsam mit Kameramann Timo Moritz genau die richtige Bildsprache für das Drehbuch gefunden, weil die Optik den satirischen Gehalt nur gelegentlich moderat erhöht. Ab dem Moment, als auch Boerne an die Alien-Invasion zu glauben scheint, zeigt Moritz ihn bevorzugt in Nahaufnahmen, die mit einem Weitwinkelobjektiv gefilmt wurden; ein simpler Kniff, der den Rechtsmediziner leicht entrückt wirken lässt.
Sehr besonders ist auch die Farbgebung: Über vielen Räumlichkeiten scheint ein Schleier zu liegen, mal grau, mal blau, mal grün. Eine Bowlingbahn, in der viele Szenen spielen, wird dagegen durch wechselnde Farben illuminiert. Die Entscheidung, die originelle Geschichte nicht auch noch komödiantisch zu inszenieren, tut dem Film sehr gut, zumal auch die witzigen Figuren ernst genommen werden. Das Duo vom Verfassungsschutz erinnert mit seinen Anzügen und den schmalen Krawatten trotzdem frappierend an die "Men in Black" von der Behörde für außerirdische Aktivitäten aus den gleichnamigen Komödien von Barry Sonnenfeld. Titelfigur Propheteus schließlich scheint der Gruselfigur Belphegor nachempfunden.
Was fürs Herz ist hingegen Thiels widerwillige Freundschaft zu einem Jack-Russell-Terrier, der ihm zu Beginn das Leben rettet und am Ende für eine Schlusspointe sorgt, die vermuten lässt, dass die Wahrheit in der Tat irgendwo da draußen ist, wie es einst in der Serie "Akte X" hieß. Zur dynamischen Inszenierung Halfars, der zuvor einen Dokumentarfilm über die Rockband Silly gedreht hatte ("Frei von Angst, 2017), passt auch die abwechslungsreiche Musik, zumal das Komponistenduo Christian Biegai und Kerim König nicht nur das Tempo des Films, sondern auch die Inhalte aufgreift.