Der Kampf zwischen Mensch und Maschine, von "2001 – Odyssee im Weltraum" (1968) bis zur "Terminator"-Saga (1984 bis 2019), ist längst zu einem der wichtigsten Subgenres des Science-Fiction-Films geworden. "Unsichtbarer Angreifer" spielt allerdings in einer Zukunft, die bereits Gegenwart ist, und der Feind lauert dort, wo man ihm schutzlos ausgeliefert ist: in den eigenen vier Wänden. Die Handlung erinnert ein wenig an Rick Ostermanns Drama "Das Haus" (2022); in der Verfilmung einer Kurzgeschichte von Dirk Kurbjuweit wird ein "Smart Home" eifersüchtig auf die Frau seines Besitzers.
Auch in "Unsichtbarer Angreifer" häufen sich die Ungereimtheiten, dabei kann Emma Turgut (Emily Cox) Irritationen derzeit gar nicht brauchen. Nach dem Suizid einer Patientin ist die gefragte Psychotherapeutin reif für eine längere Pause, aber dafür ist keine Zeit: Sie hat eine KI-basierte Therapie-App entwickelt, die rund um die Uhr erste Diagnosen vornehmen und die Behandlungsabläufe beschleunigen soll. Das Software-Unternehmen Samira hat ihren Entwurf umgesetzt, die Testphase ist abgeschlossen, und natürlich muss sie den Start von "Mood Place" überwachen.
Die Firma hat auch das Haus von Emma und Ehemann Amir (Dennis Moschitto) digitalisiert. Das ebenfalls Samira genannte Assistenzsystem sorgt rundum für Wohlbefinden. Ein Roboter, Sami, hilft bei den praktischen Tätigkeiten, verfügt aber offenbar auch über sehr männliche Eigenheiten; zumindest macht er große Augen, als Emma unter der Dusche steht. Eine rote Diode verrät allerdings, dass er nicht aus eigenem Antrieb handelt.
Ohnehin sorgen die Schwestern Martina (Regie) und Monika Plura (Kamera) früh dafür, dass die vermeintliche Idylle erheblich getrübt wird, weil Emma mehrfach schockartig integrierte Visionen der toten Patientin hat; diese Momente sind Horror pur. Irgendwann stürzt Sami mit Gepolter die Treppe runter, und als Emma nachts in der Sauna einschläft, steigt die Temperatur aus unerfindlichen Gründen auf achtzig Grad. Seltsam auch, dass Samira dreißig Kilogramm Kaffee bestellt. Kein Wunder, dass sich Emmas beste Freundin Maria (Yodit Tarikwa) bestätigt fühlt. Sie traut dem digitalen Schnickschnack ohnehin nicht, wie ihre Kuckucksuhr verdeutlicht.
Samira, Sami, Amir: Drehbuchautor Willi Kubica hat sich bei den Namen natürlich was gedacht, und das nicht nur wegen des offenkundigen Gleichklangs. Samira, im Arabischen so viel wie Gesprächspartnerin, passt perfekt zu einer Sprachassistentin, Turgut ist türkisch und heißt Gebäude oder Wohnort. Bloß Amir fällt aus dem Rahmen: Der Gatte sehnt sich nach "digital detox", bastelt lieber an seinem alten Motorrad und zieht nach einem Ehekrach ins Hotel.
Tilmann P. Gangloff, Diplom-Journalist und regelmäßiges Mitglied der Jury für den Grimme-Preis, schreibt freiberuflich unter anderem für das Portal evangelisch.de täglich TV-Tipps und setzt sich auch für "epd medien" mit dem Fernsehen auseinander. Auszeichnung: 2023 Bert-Donnepp-Preis - Deutscher Preis für Medienpublizistik (des Vereins der Freunde des Adolf-Grimme-Preises).
Als der nahezu erwachsene Sohn (Eren M. Güvercin) auch noch einen Online-Kumpan ins Haus holt, rastet Emma endgültig aus: Lukas (Casper von Bülow) hat einen Kanal, auf dem er mit Hasenmaske allerlei fragwürdigen Unfug treibt; Emma ist überzeugt, dass er hinter Samiras seltsamem Verhalten steckt. Der einzige, der noch auf ihrer Seite steht, ist Amirs bester Freund Georg (Golo Euler), der Programmierer ihrer App, die sich schließlich jedoch ebenfalls selbstständig macht und Emmas Schutzbefohlenen empfiehlt, sich anderswo Hilfe zu suchen.
Emily Cox spielt hier zum dritten Mal nach der ARD-Serie "37 Sekunden" (2023) und "Unschuldig – Der Fall Julia B." (2024, beide ARD) mit großer Glaubwürdigkeit eine Frau, die komplett aus der Bahn geworfen wird. Sehenswert ist "Unsichtbarer Angreifer" neben der Handlung und dem Ensemble auch wegen der Umsetzung: Das Haus wirkt von außen einladend, doch die Atmosphäre ist dank eines leichten Blaustichs der Bilder betont kühl. Eine wichtige Rolle spielt die digitale Ebene: Emma wird mehrfach von einer Flut eingeblendeter Nachrichten und Mitteilungen überrollt (mit dem "Plura Paket Service" erlauben sich die Schwestern einen kleinen Insider-Gag).
Ihre Pulsfrequenz wird ebenfalls regelmäßig angezeigt; je mehr sie sich in die Enge getrieben fühlt, desto bedenklicher werden die Ausschläge. Die Auflösung der mysteriösen Ereignisse ist allerdings gemessen an der Erwartungshaltung, die der Film mit Hilfe von Sounddesign, sehr präsenter Musik (Daniel Hoffknecht) und kleinen Irritationen wie etwa einer geballten Faust des Service-Roboters aufbaut, etwas enttäuschend.