"Die Ausstellung zeigt Heilansätze, die Teil unseres aktiven Lebens sind, deren historische Wurzeln im 19. Jahrhundert liegen", sagte die Kuratorin Sabine Becker gegenüber dem Evangelischen Pressedienst (epd). Gemeinsam mit ihrer Kollegin Ksenija Chockova-Giese hat sie die Hintergründe der Lebensreformbewegung Ende des 19. und Anfang des 20. Jahrhunderts recherchiert und festgestellt: "Unser Alltag heute ist durchdrungen von Ideen der Lebensreform."
Ob biodynamische Landwirtschaft, Reformhäuser, Naturheilkunde oder lichtdurchflutete Wohnräume - die Ursprünge dieser Entwicklungen liegen im 19. Jahrhundert. Die Industrialisierung trieb die Menschen in die Städte, wo sie mit Lärm, Fabrikarbeit oder konservierten Lebensmitteln eine Entfremdung erlebten.
Aus Protest bildeten sich die "Lebensreformer" heraus. Menschen auf der Suche nach einem "besseren Leben", die ihr Heil in Vegetarismus, Freikörperkultur oder in autarken Künstlerkolonien zu finden hofften. Menschen, die sich aus heutiger Sicht nach Selbststimmung, Work-Life-Balance und einem stressfreien sowie sinnerfüllten Leben sehnten. Bilder wie das Gemälde "Du sollst nicht töten" von Karl-Wilhelm Diefenbach (1902) oder die Fotografien der Luft- und Sonnenbäder auf dem Monte Verità (Schweiz) zeugen von dieser Sehnsucht.
Das politische Spektrum der "Lebensreformer" war breit. Es gab Vertreter von radikal Linkem bis zu radikal Rechten. Verändern wollten sie alle über eine "Selbstreform" nicht weniger als das große Ganze, mithin die Gesellschaft, sagte Chockova-Giese. "Ich wünsche mir, dass unsere Besucher sich Gedanken machen, wie auch sie zu einem besseren Leben in Zeiten des Klimawandels beitragen können", so die Kuratorin.
"Zurück zur Natur" war das Schlagwort, an dem sich die Reformbewegung orientierte. Man zog aufs Land, wo man sich Freiheit, Selbstverwirklichung und nicht zuletzt Gesundheit versprach. Naturempfindung wie etwa beim "Waldbaden" heute wurde zum Projektionsraum für das eigene seelische Erleben.
Um die Seele kümmern
Neben den Ideen der Lebensreformer geht die Ausstellung im Obergeschoss auf die heilende Wirkung der Kunst ein. Man entdeckte, "dass die Seele etwas ist, um das man sich kümmern muss", sagte Becker. Und man entdeckte, dass Kunst heilsam ist. Das 19. Jahrhundert ist die Geburtsstunde der Kunsttherapie und der Kunstpsychologie.
Im kunsttherapeutischen Zusammenhang werden Arbeiten von psychisch Kranken aus der Sammlung Prinzhorn in Heidelberg gezeigt. Darüber hinaus ist Frida Kahlo (1907-1920) ebenso vertreten wie der Surrealist August Natterer (1968-1933) und Hermann Hesse (1877-1962). Der Dichter überwand mit dem Malen von Aquarellen Schreibblockaden.
Die Entdeckung des Unterbewussten durch den österreichischen Arzt und Psychologen Sigmund Freud (1856-1939) führte dazu, dass die Seele zum Gegenstand der Wissenschaft und somit der Kunst wurde.
Visionäre Heilansätze vermitteln Werke von Rudolf Steiner (1861-1925). Sie veranschaulichen die therapeutische Wirkung von Spiritualität und führen wieder in die Gegenwart: zu biodynamisch angebautem Gemüse, zur Naturheilkunde und zu Waldorfschulen.
"Im Zuge der Einarbeitung haben wir festgestellt, dass wir voll am Zeitgeist sind", sagte Dieter Kistner. Die Ausstellung schlage eine Brücke zu Baden-Baden und zur Aktualität, betonte der Geschäftsführer der Grenke-Stiftung. Als Heil- und Kurort sei die Stadt genau der richtige Ort für das Thema.