Kirchenzeitung im Briefkasten- eine bedrohte Art?

Zeitungsleserin mit "Glaube und Heimat" Ausgabe
Maik Schuck
Rund 8000 Abonennt:innen lesen die wöchentliche Ausgabe der Kirchenzeitung "Glaube + Heimat".
100-Jahre "Glaube + Heimat"
Kirchenzeitung im Briefkasten- eine bedrohte Art?
Die Kirchenzeitung "Glaube + Heimat" feiert in diesem Jahr ihr 100-jähriges Bestehen. Doch wie wird es weitergehen? Immer häufiger müssen gedruckte Kirchenzeitungen aufgeben. Prominentes Beispiel: Ende des Jahres 2023 erschien die älteste Kirchenzeitung Deutschlands, der evangelische Kirchbote, ein letztes Mal. Ein Gespräch mit "Glaube + Heimat" Chefredakteur Willi Wild über die Herausforderungen der Zukunft und mögliche Antworten darauf.

evangelisch.de: Herr Wild, herzlichen Glückwunsch erst einmal zu ihrem Jubiläum. Was macht aus ihrer Perspektive den langen "Erfolg" ihrer Zeitung aus?

Willi Wild: Erfolg ist ein relativer Begriff. Lassen Sie es mich mal ganz fromm ausdrücken: Es ist der Gnade Gottes und der Treue unserer Leserinnen und Leser zu danken, dass es uns bis heute gibt. Und hoffentlich noch über das Jubiläumsjahr hinaus…

Welche besonders bewegenden Zeiten hat ihr Blatt erlebt und eventuell auch mitgeprägt? 

Wild: Die Bewegung begann bereits im Gründungsjahr. Zeitung war das Medium der Wahl, vergleichbar heute mit Facebook oder TikTok. Die erste Auflage ausschließlich für Thüringen hatte 150.000 Exemplare. Von 1933 bis 1941 – danach wurde die Kirchenzeitung bis Kriegsende eingestellt – war das dunkelste Kapitel der Zeitung. Die schrecklichen Nazi-Beiträge der sogenannten Deutschen Christen sind unerträglich und gehören eigentlich auf den Index.

Willi Wild, Chefredakteur der Mitteldeutschen Kirchenzeitung "Glaube + Heimat".

Einen Cut gab es mit der Wiedergründung nach dem Krieg. "Glaube + Heimat" war beispielsweise die erste Publikation, die in der zweiten Ausgabe 1946 das Gedicht des damals noch verfemten Theologen Dietrich Bonhoeffer "Von guten Mächten" abgedruckt hat. In der DDR war die Kirchenzeitung Bückware, also sehr begehrt und ging durch viele Hände, weil dort zu lesen war, was woanders nicht stand. 

Nach der Einstellung des "evangelischen Kirchenboten" im vergangenen Jahr, sind Sie nun mit 100 Jahren Blattgeschichte eigentlich Chef der ältesten evangelischen Kirchenzeitung deutschlandweit?

Wild: Nicht ganz. Aber wir sind der älteste Titel in Mitteldeutschland. Das Alter sagt aber eigentlich nichts aus. Die Zeiten ändern sich und wir mit ihnen. Wir haben eine sehr starke Leser-Blatt-Bindung. Wenn wir Abonnenten verlieren, dann in erster Linie aus biologischen Gründen. 

Wie begreifen Sie die Aufgabe ihrer Zeitung heute?

Wild: Der Anspruch aus DDR-Zeiten hat sich eigentlich nicht geändert. Wir berichten aus der mitteldeutschen Region für die Region und erzählen Geschichten aus den Gemeinden. Bei uns stehen bis heute Beiträge, die man woanders nicht findet. Mir ist immer wichtig zu betonen, dass wir keine Hofberichterstattung betreiben und auch Kontroversen nicht ausklammern. Vorbild dazu ist uns das Neue Testament. Im Prinzip schreiben wir Woche für Woche die Apostelgeschichte und die Paulusbriefe fort. 

Ministerpräsident Bodo Ramelow (Linke) sagte in seinem Grußwort zum Festakt in Weimar, dass ihm das Blatt stets Leuchtturm und Anker sei, der Friedensbeauftragte Friedrich Kramer zeigte sich dankbar, dass Ihre Zeitung sich deutlich an der Friedensbotschaft orientiere. Sind Werte Ihre Bindungsmagnete zur Leserschaft?

Wild: Uns als Redaktion ist wichtig, das breite Meinungsspektrum in unseren Kirchengemeinden abzubilden. Mit Leuchtturm und Anker verbinden unsere Leser hauptsächlich die theologischen und Glaubens-Themen. In der Debatte um die Friedensethik stellen wir die Argumente und unterschiedlichen theologischen Interpretationen gegenüber, sodass sich die Leser ein eigenes Bild machen können. 

Hängt der Erfolg also nicht an bestimmten Themen oder Einstellungen?

Wild: Nein. Für mich sind die Reaktionen der Leserinnen und Leser auf der Forumseite oder auf unserer Kommunikationsplattform meine-kirchenzeitung.de sowie in unseren Social Media Kanälen der Seismograph. Hier wird am ehesten die Meinungsvielfalt in der Kirche deutlich. Wir bieten Gelegenheit, sich auszutauschen, von der Basis bis zur Kirchenleitung. 

Im Jahr 2017 startete die Landessynode der Evangelischen Kirche der Pfalz mit zusätzlichen Mitteln für fünf Jahre eine Rettungsaktion für den "Kirchenboten". Leider ist dieser dennoch gescheitert. 

Wild: Zunächst möchte ich festhalten, dass wir drittelfinanziert sind, über die Abonnements, Anzeigen und den Zuschuss unserer Gesellschafter. Evangelische Publizistik ist in unserem Fall kirchennaher, aber unabhängiger Journalismus. Wir, und übrigens auch die Herausgeber, also die Landeskirchen in unserem Verbreitungsgebiet, sehen uns so.

Aus Ihrer Sicht, haben regionale oder an Landesgrenzen orientierte Kirchenzeitungen überhaupt eine Zukunft?

Wild: Es ist interessant, dass der lokale Gemeindebrief nach wie vor die größte Reichweite aller kirchlicher Publikationen hat. Mehr als 87 Prozent aller Kirchenmitglieder können darüber erreicht werden. Das zeigt mir, dass lokale und regionale Themen nach wie vor hoch im Kurs stehen. Mit unserem Gemeindebriefportal schließen wir eine Lücke. Wir erreichen auf digitalem Weg direkt die Gemeinden und sie umgekehrt uns auch. Das ist ein Erfolgsmodell geworden und gibt auch uns als Redaktion eine Perspektive. 

Der Gemeindbrief ist auch im Gemeinschaftswerk der Evangelischen Publizistik gGmbH eingebunden. Was sollten Kirchenzeitungsmacher:innen sonst noch beachten, um weiterhin wahrgenommen zu werden? 

Wild: Zwei Begriffe fallen mir dazu ein: Relevanz und Reichweite. 

Der veränderte Zeitungsmarkt, Rückgang der Abo-Zahlen und damit auch der Einnahmen haben bereits etliche Blätter entweder zur Aufgabe oder zur Fusion, wie im Falle der Evangelischen Kirchenzeitung, gezwungen. Diese bündelt heute die Medien: Die Kirche – Evangelische Wochenzeitung für Berlin, Brandenburg und die schlesische Oberlausitz; Unsere Kirche – Die Evangelische Zeitung für Westfalen und Lippe; die Mecklenburgische und Pommersche Kirchenzeitung; die Evangelische Kirchenzeitung für die Kirche in Norddeutschland und die Evangelische Zeitung für die Kirchen in Niedersachsen. Welche Zukunft sehen Sie für "Glaube + Heimat"? 

Wild: So wie ich das eben versuchte zu skizzieren, sehen wir die Zukunft in der Verzahnung von Gemeindebriefen und der Kirchenzeitung. In der EKD gibt es etwa 6.000 Gemeindebriefe, die cirka 15 Millionen Kirchenmitglieder erreichen. Das schaffen sie mit keinem anderen Kommunikationsmittel. Darüber zu kommunizieren und Inhalte auszutauschen ist meines Erachtens die Zukunft. Wir haben dazu ein modernes Instrument entwickelt, das wir weiter ausbauen und mit Hilfe von KI noch zielgerichteter einsetzen wollen. 

Wird es noch lange eine gedruckte Version von "Heimat + Glauben" geben?

Wild: So lange es noch irgend darstellbar ist, haben wir die Zusage unserer Herausgeber, die gedruckte Version zu erhalten. Seit über 25 Jahren haben wir eine Kooperation mit der sächsischen Kirchenzeitung "Der Sonntag". Diese bewährte Kooperation wollen wir noch weiter intensivieren, um so lange wie möglich die Abonnenten mit der gedruckten Zeitung beliefern zu können. 
  
Sie sind auch auf den digitalen Kanälen präsent, zum Beispiel mit einer eigenen Website. Erreichen Sie dort mehr Menschen?

Wild: Ja, unbedingt. Es ist eine andere Zielgruppe als die der Print-Leser. Wir erreichen mittlerweile wöchentlich doppelt so viele Menschen über unsere digitale Kommunikationsplattform als über die gedruckte Zeitung, Tendenz steigend.