Im Rahmen seiner ZDF-Dokus "Im Einsatz für…" hat Hannes Janenicke zuletzt gewohnt engagiert auf das Schicksal der Meeresschildkröten hingewiesen. Der Tonfall der Reihe ist seit dem Auftakt im Jahr 2008 deutlich rauer geworden. Die Ausführungen mündeten schließlich in eine Anklage nicht nur gegen die Wirtschaft und ihre "gut geölte Plastiklobby", sondern auch gegen die Politik: weil sie nicht verhindere, dass immer mehr Plastik hergestellt werde. Autorin Britta Stöckle dürfte daher mit ihrer Idee für den siebten "Amsterdam-Krimi" leichtes Spiel gehabt haben, zumal der Film sein Anliegen bereits in der ersten Szene nach dem Prolog auf den Punkt bringt.
Das Team rund Kommissar Bram de Groot (Fedja van Huêt) und seinen deutschen Freund und Kollegen Alex Pollack (Jaenicke) schaut sich ein Video an, das ihnen aus Malaysia zugespielt worden ist: Auf einer Halde mit Müll aus Europa liegt ein toter kleiner Junge. Die Abfälle werden verbrannt, um Beweise zu vernichten, denn zwischen dem Plastik befindet sich auch illegal entsorgtes Material. Die Ermittlungen konzentrieren sich natürlich auf die Quelle des Gifts, aber mit Blick auf den Becher eines Kollegen bringt Pollack deutlich zum Ausdruck, was er von Kaffee zum Mitnehmen und ähnlichen Beiträgen zum Plastikmüllberg hält.
Das Drehbuch zu "Der Dreck der Anderen" stammt erstmals nicht von Reihenschöpfer Peter Koller, dessen Geschichten auch dank der Umsetzungen vor allem durch Peter Stauch und ?smail ?ahin fesselnde Thriller waren. Stöckles Drehbuch birgt zwar ebenfalls Thriller-Potenzial, aber wirklich packend ist der Film gerade im Vergleich zu den früheren Episoden nicht. Daran ändert auch das ohnehin reichlich abgenutzte dramaturgische Muster nichts, den Helden zu Beginn in dramatischer Situation zu zeigen und dann in langer Rückblende zu erzählen, wie es dazu kommen konnte, dass Pollack verletzt und ohne Erinnerung vor einer Klinik abgelegt wird. Seltsam inkongruent ist nach wie vor das Sprachgemisch: Dass die einheimischen Mitwirkenden alle deutsch sprechen, ist zwar sehr sympathisch, aber ein auf Deutsch mit starkem holländischen Akzent geführtes TV-Interview klingt irritierend.
Die Arbeit von Regisseurin Almut Getto nicht zuletzt mit den jungen Ensemblemitgliedern ist allerdings sehenswert, was angesichts der verschiedenen emotionalen Schwerpunkte besonders wichtig war, denn neben dem Giftmüllskandal spielt auch die kriselnde Ehe von Bram und Antje de Groot (Marguerite de Brauw) eine größere Rolle. Die beiden Ebenen sind geschickt miteinander verknüpft: Antje engagiert sich in der Jugendarbeit, was der Gatte für Zeitverschwendung hält; seiner Ansicht nach helfen gegen Jugendkriminalität nur strengere Gesetze. Als Antje ein Straßenfußballturnier organisiert, kommt es zu einer brisanten Überschneidung, denn als Sponsorin gewinnt sie ausgerechnet Laura Lee (Joy Maria Bai), die angesehene Besitzerin eines Recycling-Unternehmens. Bram ist überzeugt, dass die ehrenwerte Fassade bloß Tarnung für die buchstäblichen zum Himmel stinkenden Machenschaften sind, und das ist keineswegs der einzige illegale Geschäftszweig, wie Pollack entdeckt; aber just jetzt kommt es zu jenem Ereignis, bei dem er durch eine Explosion Gehör und Gedächtnis verliert.
Tilmann P. Gangloff, Diplom-Journalist und regelmäßiges Mitglied der Jury für den Grimme-Preis, schreibt freiberuflich unter anderem für das Portal evangelisch.de täglich TV-Tipps und setzt sich auch für "epd medien" mit dem Fernsehen auseinander. Auszeichnung: 2023 Bert-Donnepp-Preis - Deutscher Preis für Medienpublizistik (des Vereins der Freunde des Adolf-Grimme-Preises).
Zwischendurch gibt es einige genretypische Spannungsmomente, wenn der "Undercover"-Polizist beinahe beim Schnüffeln erwischt wird, doch Getto hatte offenkundig keinen Thriller im Sinn. Das ist natürlich ihr gutes Recht, aber mitunter läuft die Handlung auch ins Leere. Seltsam ist zudem, dass die vielen Amsterdam-Impressionen bis auf ganz wenige Ausnahmen keinen Bezug zum Thema haben. Einmal wird der pittoreske Gesamteindruck durch Straßenmüll getrübt, aber ansonsten war es der Regisseurin und Kameramann Felix Beßner offenbar wichtiger, schöne Bilder einzufangen.
Für zusätzliche Emotionen sorgen neben der angenehm beiläufig inszenierten Zuneigung einer Mitstreiterin zu Antje zwei Jugendliche, die in die Machenschaften verstrickt sind. Beiden möchte Pollack gern aus der Misere helfen, beide Male vergeblich, was dem Film im Zusammenspiel mit der Ehekrise und den Erinnerungen des Polizisten an Ex-Freundin Katja viel Melancholie beschert. Getto hat zuletzt für die ARD das darstellerisch nicht rundum überzeugende Science-Fiction-Drama "Morin" (2023) über Kinder auf einer Elite-Akademie gedreht. Stöckles sehenswerte letzten Arbeiten waren "Ein Schritt zum Abgrund" (2023, ARD) mit Petra Schmidt-Schaller als Ärztin, die sich dem Klischee der betrogenen Ehefrau widersetzt, sowie das Schwesterndrama "Bring mich nach Hause" (2021, ZDF).