"Steirerrausch", der sechste Fall für Bergmann (Hary Prinz), ist trotzdem vor allem ein Krimi: Vera Lehner (Adele Neuhauser) hat einen unsichtbaren Gefährten namens Cornelius. Suchen Menschen ihren Rat, nimmt sie Kontakt zu diesem sogenannten Kontrollgeist auf, der sich offenbar bevorzugt in einer Zimmerecke aufhält; just dort also, wo sich in religiösen Haushalten der Herrgottswinkel befindet. Das gefällt naturgemäß nicht jedem im Dorf, Frau Lehner hat als vermeintliche Hexe auch schon Morddrohungen erhalten. Ausgerechnet an Halloween, als die Dorfjugend in allerlei gruseligen Verkleidungen die Straßen unsicher macht, fällt während einer spiritistischen Sitzung ein Schuss. Die Kugel trifft zwar eine Kundin, aber womöglich galt sie ja dem Medium.
Rein kriminalistisch betrachtet ist "Steirerrausch" (eine Wiederholung aus dem Jahr 2021), nach der letzten Episode ("Steirertod") nun wieder nach einem Roman von Claudia Rossbacher entstanden, nicht sonderlich aufregend. Hauptverdächtiger ist Witwer Fuchs (Christoph Krutzler), zumal sich rausstellt, dass seine Frau mit seinem Jagdgewehr erschossen worden ist. Ein Alibi hat er nicht, ein Motiv sehr wohl: Die Gattin hatte offenbar einen anderen. Aber die Ehe war ohnehin in die Jahre gekommen, und wenn alle Männer und Frauen in solchen Fällen zu Mördern würden, wäre Wohnungsnot kein Thema mehr.
Sehenswert ist der Film, weil Wolfgang Murnberger ("Die Spätzünder"), der bislang alle Steirerkrimis inszeniert hat, viel Wert auf die Zwischentöne liegt. Die Dialoge – das Drehbuch hat der Regisseur erneut gemeinsam mit seiner Frau Maria geschrieben – bieten dem ausnahmslos ausgezeichneten Ensemble mannigfaltige Gelegenheiten, um kleine Gemeinheiten auszutauschen. Den reizvollsten Zweikampf in dieser Hinsicht liefert sich das Medium mit seinem Gegenspieler. Vera Lehner hat einst dafür gesorgt, dass Dr. Stelzhammer (Eisi Gulp), von Bergmann bevorzugt "Dr. Seltsam" genannt, seine Praxis schließen musste. Seither verfolgt er sie mit heiligem Eifer: Er hat zu Jesus gefunden, ist überzeugt, dass die Frau mit dunklen Kräften in Verbindung steht und will ihrem Treiben ein Ende setzen. Einen Mord würde er deshalb allerdings wohl eher nicht begehen.
Tilmann P. Gangloff, Diplom-Journalist und regelmäßiges Mitglied der Jury für den Grimme-Preis, schreibt freiberuflich unter anderem für das Portal evangelisch.de täglich TV-Tipps und setzt sich auch für "epd medien" mit dem Fernsehen auseinander. Auszeichnung: 2023 Bert-Donnepp-Preis - Deutscher Preis für Medienpublizistik (des Vereins der Freunde des Adolf-Grimme-Preises).
Das Duell zwischen dem Hobby-Exorzisten und der Geisterplauderin ist auch darstellerisch ein Genuss: Adele Neuhauser hat ihre Rolle als Wiener "Tatort"-Kommissarin mit sichtlicher Freude gegen eine völlig andere Figur getauscht; Eisi Gulp, dem Großteil des Publikums als bärbeißiger Vater des Dorfpolizisten aus den Eberhofer-Krimis bekannt, ist als Geisterjäger, der sich im Kampf gegen das Böse auf der gleichen Seite wie die Duo vom LKA wähnt, ohnehin unverwechselbar. Eingespielt sind mittlerweile auch Hary Prinz und Anna Unterberger, die seit der Ermordung von Sandra Mohr die Rolle von Miriam Stein übernommen hat. Es ist ein feiner Zug der Murnbergers, dass sie Annis Vorgängerin nicht in Vergessenheit geraten lassen. Bergmann gibt sich ohnehin die Schuld an ihrem Tod, was unter anderem eine effektvoll inszenierte Vision zur Folge hat, als er an Stelle des Opfers die tote Sandra sieht. Sehr präsent ist Christoph Krutzler als gefasster Witwer, der das Ermittlerduo mit der Frage empfängt, ob es "ein Schuss ins Leben" gewesen sei; also ein Treffer, der unmittelbar zum Tode geführt habe, wie Jagdscheinbesitzerin Anni für den Kollegen übersetzt.
Da sich ein Großteil der Handlung am Abend vor Allerheiligen zuträgt, hat es sich Murnberger nicht nehmen lassen, den einen oder anderen Schabernack zu inszenieren; gern auch auf Bergmanns Kosten. Zu Beginn holt der Kommissar die Kollegin bei einem Halloween-Klassentreffen ab. Auf den ersten Blick wirkt sie wie immer – bis sie ihm ihre andere Gesichtshälfte zeigt; alles hat eben zwei Seiten. Davon abgesehen fühlt sich der Ausflug in die Provinz für Anni wie eine Rückkehr in die Steinzeit an. Zur archaischen Atmosphäre des Films passt auch ein permanentes Poltern: Es stammt von einer hölzernen Vorrichtung, die die Vögel aus den Weinbergen vertreiben soll.