Massive Kritik an bremischer Kirche

Ein Kind und eine Person Hand in Hand vor einem Kreuz.
Getty Images/iStockphoto/Cecilie_Arcurs
Bereits 2010 wurde die vom Domprediger Günter Abramzik verübte sexualisierte Gewalt der Bremischen Evangelischen Kirche gemeldet.
Missbrauchs-Aufarbeitung
Massive Kritik an bremischer Kirche
Es sei verschleppt und verzögert worden: Mit vernichtender Kritik kommentieren Wissenschaftler die internen Aufarbeitungs-Bemühungen mit Blick auf sexualisierte Gewalt in der Bremischen Evangelischen Kirche. Die Kirche räumt Fehler ein.

In einer wissenschaftlichen Analyse zu sexualisierter Gewalt in der Bremischen Evangelischen Kirche werden der Kirche massive Versäumnisse vorgehalten. In der am Freitag veröffentlichten Studie des Münchner Institutes für Praxisforschung und Projektberatung (IPP) heißt es, die vonseiten der Kirche behauptete Aufarbeitung habe nicht stattgefunden. Stattdessen hätten die Verantwortlichen strategisch gehandelt. Bremens leitender evangelischer Theologe Bernd Kuschnerus erklärte, die Kirche habe Fehler gemacht: "Wir bedauern dies zutiefst."

Das IPP kritisiert: "Es wurde verschleppt und verzögert, so dass sich die Bedingungen für eine tatsächliche Aufarbeitung zunehmend verschlechterten." Konkret geht es um den Fall des Bremer Dompredigers Günter Abramzik (1926-1992), der als prominente Persönlichkeit Kultur und Gesellschaft in der Hansestadt über Jahre mitgestaltet hatte.

Die Analyse ergab, dass Abramzik gegen mindestens 17 Jungen - fast ausschließlich Jugendliche im Alter zwischen 14 und 18 Jahren - sexualisierte Übergriffe begangen hat. Von einem wesentlich größeren Dunkelfeld sei auszugehen. Dabei habe es sich vorwiegend um Schüler des Alten Gymnasiums in Bremen gehandelt, die an seiner Philosophie-AG teilgenommen hätten, sowie um Konfirmanden: "Ein Großteil der Taten wurde in den 1970er Jahren verübt."
Abramzik war zwischen 1958 und 1992 Domprediger. Vorwürfe des sexuellen Missbrauchs wurden erst 2022 durch Medienberichte öffentlich.

"Ein Betroffener hatte bereits 2010 die vom Domprediger verübte sexualisierte Gewalt der Bremischen Evangelischen Kirche gemeldet", heißt es in der Tiefenanalyse. Sie wurde im Auftrag der Landeskirche als Teil der sogenannten ForuM-Studie zu sexualisierter Gewalt in der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) und der Diakonie erarbeitet.

Öffentlichkeit war nicht über den Fall informiert

Zwar habe der Betroffene den Umgang der Institution mit ihm als respektvoll empfunden, heißt es in der Teilstudie. Aber im weiteren Verlauf seien keine Versuche unternommen worden, andere Betroffene ausfindig zu machen. Die Kirche habe jahrelang versäumt, die Öffentlichkeit über die Vorwürfe gegen den Domprediger zu informieren: "Sie begründet dies mit ihrer Rücksicht auf den Betroffenen, der sich 2010 gemeldet hatte. Eine Information der Öffentlichkeit wäre aber jederzeit auch ohne Preisgabe der Identität des Betroffenen möglich gewesen."

Erst 2014 sei in einem Gremium der Domgemeinde über den Fall gesprochen worden, "allerdings ohne den Namen und die Position Abramziks zu nennen". Das institutionelle Vorgehen sei von Vertreterinnen und Vertretern der Kirche in eine Sprache der Selbstgewissheit und Selbstidealisierung gekleidet worden, kritisiert die Analyse. Aktivitäten der Domgemeinde hätten den Eindruck einer "Flucht in die Prävention" gemacht.

Bernd Kuschnerus, Schriftführer der Bremischen Evangelischen Kirche, sagte, oberstes Ziel der Kirche sei es gewesen, an der Seite der Betroffenen zu stehen. "Die nun vorliegenden Ergebnisse ermöglichen es uns, unsere Prozesse zu verändern und anzupassen und weitere Maßnahmen für die Aufarbeitung in die Wege zu leiten."

Das IPP empfiehlt eine wissenschaftliche Untersuchung zur Aufarbeitung sexualisierter Gewalt in der bremischen Kirche. Dabei müsse die Mitverantwortung der damaligen Kirchenleitungen in den Blick genommen werden. Sie müsse mit einem öffentlichen Aufruf verbunden werden, der sich an Personen richte, die innerhalb der Kirche sexualisierte Gewalt erfahren hätten: "Ein solches Vorhaben würde weit über den Fall Abramzik hinausreichen."