evangelisch.de: Glaube und Feminismus - Sind das keine Gegensätze?
Mira Ungewitter: Absolut nicht. Im Gegenteil. Feminismus strebt nach gleichen Rechten und Würde für alle, was meiner Auffassung nach mit dem Wesen Gottes und seiner Zuwendung zu Frauen in der Bibel übereinstimmt.
Wie integrieren Sie feministische Ansätze in Ihre Spiritualität?
Ungewitter: Ich versuche, Gott nicht nur intellektuell zu verstehen, sondern auch spirituell zu erleben. Das bedeutet für mich, traditionelle Gottesbilder zu hinterfragen und Raum für vielfältigere Vorstellungen zu schaffen. Es ist ein fortlaufender Prozess des Wachsens und Entdeckens, sowohl intellektuell als auch spirituell.
Können Sie ein Beispiel geben?
Ungewitter: Sicher. Ich persönlich versuche, Gott als Mutter anzusprechen. Obwohl ich dabei manchmal ins Stolpern gerate, ist es ein Prozess, den ich aktiv angehe. Ich erforsche auch Texte, in denen Gott weiblich oder als Frau beschrieben wird, um neue Perspektiven zu gewinnen. Es geht darum, das Spektrum der spirituellen Erfahrung zu erweitern und offen für neue Wege der Beziehung zu Gott zu sein.
Gibt es eine bestimmte Bibelstelle, die Ihr feministisches Gottesbild repräsentiert?
Ungewitter: Ja, beispielsweise die Stelle im Buch Jesaja (Jes 46,3), in der Gott als tragender Mutterschoß beschrieben wird. Solche Texte regen mich dazu an, über traditionelle Vorstellungen hinauszudenken und eine umfassendere Sichtweise auf Gott zu entwickeln. Die Bibel bietet viele Möglichkeiten, Gott auf vielfältige Weise zu verstehen, und es ist wichtig, diese Möglichkeiten zu erkunden und zu nutzen.
Haben Sie in Ihrem Umfeld Widerstand gegen Ihr feministisches Gottesbild erlebt?
Ungewitter: Definitiv. Besonders in konservativen Gemeinden stoße ich auf Widerstand gegen eine gendergerechte Sprache und die Gleichstellung von Frauen in der Kirche. Dennoch sehe ich auch positive Veränderungen und bin zuversichtlich, dass sich die Einstellungen wandeln werden. Es ist wichtig, geduldig zu sein und weiter für Veränderungen einzutreten, auch wenn es Widerstand gibt.
Was bedeutet Feminismus für Sie persönlich?
Ungewitter: Feminismus bedeutet für mich, sich aktiv für die Gleichberechtigung einzusetzen und gegen strukturelle Benachteiligung vorzugehen. Diese Werte finde ich auch im christlichen Glauben wieder, besonders im Vorbild Jesu. Es geht darum, für eine Welt einzutreten, in der alle Menschen gleiche Rechte und Chancen haben, unabhängig von ihrem Geschlecht.
Wann haben Sie sich zuletzt nicht feministisch gefühlt?
Ungewitter: Es passiert immer wieder, dass ich mich von konkurrierenden Gedanken oder negativen Emotionen leiten lasse. In solchen Momenten erinnere ich mich daran, solidarisch zu sein und mich für Gleichberechtigung einzusetzen. Es ist ein fortlaufender Prozess der Selbstreflexion und der Selbstkorrektur, in dem ich mich ständig weiterentwickle und dazulerne.
Wie betet man feministisch?
Ungewitter: Für mich ist feministisches Beten eine Frage der Haltung. Ich bete für feministische Anliegen wie Gleichberechtigung und ein Ende der Gewalt gegen Frauen. Dabei erkenne ich an, dass meine Worte nur ein Teil eines größeren spirituellen Ganzen sind. Es geht darum, eine Haltung der Solidarität und des Engagements für Gerechtigkeit einzunehmen, sowohl im Gebet als auch im täglichen Leben.
Mira Ungewitters feministisches Gebet zum Download. Dieses Gebet erschien erstmals im Buch "Rituale für Hipster & Heilige und alles dazwischen" von Steve Kennedy Henkel.
Mira Ungewitter ist Autorin des Buches: "Gott ist Feministin. Mein Leben mit Eva, Maria und Lady Gaga", Verlag Herder, 192 Seiten, ISBN: 978-3-451-39035-7, 18,60 Euro.