Ausstellung "Beschädigt" zeigt Bilder Betroffener

Zeichnungen mit Darstellungen von Missbrauch und kirchlichen Motiven.
epd-bild/KEB Bamberg Stadt e.V.
Die Zeichnung "Beichte und Kommunion" ist eine von mehreren Werken von Josef B, die im Bistumshaus in Bamberg ausgestellt werden.
Kunst nach Missbrauch
Ausstellung "Beschädigt" zeigt Bilder Betroffener
Tausendfach wurden in den vergangenen Jahrzehnten junge Menschen in katholischer und evangelischer Kirche missbraucht. Betroffene sind und müssen Teil der Aufarbeitung sein. In Bamberg zeigen zwei von ihnen das Erlittene in schmerzhaften Bildern.

Ein Abendmahlsbecher und eine Hostie schweben in der Luft, darum ein Strahlenkranz. Ein Mensch kniet mit gefalteten Händen vor einem Priester, der ihm eine Hostie in den Mund legt. Ein Kopf ist zu sehen, die Augen sind geschlossen, in dem übergroß dargestellten Mundraum schwebt die Hostie. Linien, die zuvor als Strahlenkranz wahrgenommen wurden, wirken nun wie Stacheln, die tief ins Fleisch stechen. Die Zeichnungen stammen von Josef B., einem von zwei anonymen Künstlern, die in der Ausstellung "Beschädigt. Bilder nach dem spirituellen und sexuellen Missbrauch" tiefe und schmerzhafte Einblicke in das geben, was sie jahrzehntelang verborgen in sich tragen mussten.

Die Zeichnungen mit Feder und Tusche, Kreide oder Bleistift von B. sind teils verstörend explizit, wenn sie zeigen, wie eine Zunge sich auf eine andere legt oder wie sich ein Mann einen ganzen kleinen Menschen einverleibt. Gleichzeitig wirken sie auf den ersten Blick oft technisch. Es wird mit Pfeilen, Ansichten verschiedener Perspektiven und Markierungen gearbeitet. Diese Zeichnungen entstanden, als Josef B. 50 Jahre alt war. Er sagt, dass er "bewusst die kalt-sachliche Bildsprache wissenschaftlicher Illustrationen" gewählt habe - als eine Möglichkeit der Traumabewältigung.

Andere Bilder von ihm, die im Alter von 20 bis 30 Jahren entstanden, zeigen verrenkte oder zerreißende nackte weibliche und männliche Körper. "Die Missbrauchserlebnisse sind immer nur unbewusst in meine Arbeit eingeflossen. Die biografische Erinnerung daran war einfach ausgelöscht und wurde erst im Alter von 55 Jahren im Rahmen einer Psychoanalyse ins Licht des Bewusstseins gebracht", sagt der Künstler.

Eine weitere Zeichnung von Josef B., einem der zwei anonymen Künstlern der Ausstellung "Beschädigt".

Im und vor dem Festsaal des Bistumshauses in Bamberg sind die Bilder von Josef B. und Hans G. bis zum 10. April ausgestellt. "Es war ein Zeichen großen Vertrauens, dass die beiden an uns herantraten", sagt Bernd Franze, designierter Vorstand der Katholischen Erwachsenenbildung in der Stadt Bamberg, die die Ausstellung organisiert hat. Ihr Ziel sei, "dass die Wahrheit ans Licht kommt".

Spirituelle Dimension des Missbrauchs

Die Künstler erzählen in einem Begleittext zu den Bildern von dem, was ihnen als Kindern in der Kirche angetan wurde. Als zehnjähriger Bub wurde Josef B. zum Messdiener. "In der Sakristei wurde er von dem 'heiligen' Mann geliebt, wodurch auch er heilig wurde: er wurde zum Engel", schreibt B. in der dritten Person von seinem jüngeren Ich und nimmt damit auch Bezug auf die spirituelle Dimension des Missbrauchs. "Geistlicher Missbrauch wird dann praktiziert, wenn manipulative Strategien zum Einsatz kommen und mithilfe der Bibel eigenes, destruktives Verhalten legitimiert wird", sagt Ute Leimgruber, Professorin für Pastoraltheologie an der Universität Regensburg.

Das Erlittene in schmerzhaften Bildern festgehalten: Das fordert auch die Betrachtenen.

Spiritueller Missbrauch ist der Wissenschaftlerin zufolge nicht weniger zerstörend als sexueller Missbrauch und geht im Kirchenkontext oft mit diesem einher. Er zerstöre den Bezug zum eigenen Ich, da er einen Angriff auf das religiös-sinngebende Innerste darstelle. Geistlicher Missbrauch bedeute auch Gottesentfremdung: "Betroffene fragen sich oft jahrelang, welche Rolle Gott dabei spielt. Die Erschütterung ihres Glaubens ist existenziell." In dem Moment, in dem diese Taten beschrieben und als Missbrauch benannt werden, übernehmen die Betroffenen die Deutungsmacht, erklärt Leimgruber. "Die eigene Erzählung kann sie wieder aufrichten. Sie werden wieder zu Subjekten ihres Lebens."

 

Hans G. wurde ebenfalls als Ministrant von einem Geistlichen missbraucht und seelisch in die Ecke gedrängt. Erst 30 Jahre später war er in der Lage, über das Erlebte und Erlittene zu sprechen, schreibt er im Begleitheft. Seit 2010 verarbeitet er seine Gefühle in teils großformatigen Ölgemälden in Schwarz-, Rot- und Brauntönen. "Sie haben für mich die Anmutung von Spannung, Lähmung, Gewalt, Friedhof, Inferno… Allmählich dämmerte mir, dass sie auf eine innere Dunkelheit verweisen." Große Farbflächen fließen über die Leinwand. Teilweise entsteht der Eindruck, als sähe man nur den Ausschnitt eines viel größeren Bildes.

Beide Männer sind aus der katholischen Kirche ausgetreten und beobachten die Aufarbeitung des sexuellen Missbrauchs kritisch. Josef B. erinnert sich, wie die Kirche mit ihm umging, nachdem er Anzeige beim zuständigen Beauftragten für Missbrauch erstattete: "Schweigen und konsequentes Ignorieren waren die einzige Antwort, die ich bekam." Erst sehr viel später wurde sein Leid anerkannt. Als religiös betrachtet er sich trotzdem. "Ich sehe mich darin verbunden mit Juden, Moslems, Christen, Buddhisten, Hindus und vielen anderen. Die katholische Kirche hat diesen meinen Glauben missbraucht und geschändet. Und sie tut das weiterhin."