Studien zeigen, dass bereits kleine Kinder hilfsbereit sind. Sobald sie laufen können, reagieren sie auf Erwachsene, wenn die beispielsweise keine Hand frei haben, um eine Schranktür zu öffnen, erklärt die Entwicklungspsychologin und Gehirnforscherin Louisa Kulke im Gespräch mit Evangelischer Pressedienst (epd) über das Helfen. Kinder hätten zugesehen, und wollten dann den Schrank selbst aufmachen. "So kann man sagen, wir sind von Natur aus gute Menschen und versuchen anderen Menschen zu helfen", sagt Kulke, die früher in Erlangen tätig war und derzeit an der Universität Bremen lehrt.
Im Gehirn laufen bei einem Akt des Helfens verschiedene Schritte ab, erklärt Kulke. Der Okzipitallappen kann reagieren, wenn einige Meter entfernt ein Passant auf der Straße auf einer Eisplatte ausrutscht, denn dieser Teil des Gehirns ist für das Sehen zuständig. Wenn der Verunglückte schreit, nimmt das der auditive Cortex auf. Die Wissenschaftlerin kann messen, dass das Gehirn schon innerhalb von Hundertmillisekunden solche Situationen wahrnimmt. Der Motorcortex wird nun aktiv und gibt dem Helfenden den Anstoß, loszulaufen, aufzuhelfen - oder nicht zu reagieren.
Eine tiefere Verarbeitung im Gehirn ist notwendig, um zu wissen, ob man überhaupt helfen sollte. Mit dem Frontalkortex analysiert das Gehirn, ob der Beobachter überhaupt die Ressourcen zum Helfen hat. Zum Ressourcen-Check gehört unter anderem die Frage, ob die Handgriffe aus der Ersthelfer-Ausbildung noch sitzen, erklärt Kulke. Erinnerungen an die richtige Notrufnummer ruft der Mensch über den Hippocampus ab.
Nicht nur beim Glatteisopfer auf dem Gehsteig laufen diese Prozesse ab, sondern auch bei anderen Entschlüssen zum Helfen. Auch wer aus den Nachrichten von einer Katastrophe erfährt und spenden möchte, macht im Gehirn im ersten Schritt eine Notfall-Bewertung und prüft dann, ob er Mittel hat zu helfen.
Empathie ist der emotionale Treiber
Den Erfolg des Helfens zu bewerten, übernimmt dann "ein ganzes System, das für emotionale Bewertung zuständig ist" und entscheidet, ob das jetzt gut oder schlecht angekommen ist, was man getan hat. "Ich brauche die "Theory of mind", das Hineinversetzen in die andere Person und dafür beispielsweise den medialen präfrontalen Cortex oder auch den Temporallappen", sagt die Forscherin. Würde nun das Gehirn im Gedächtnis abspeichern, ob die Art zu helfen gut war, benötigte sie den Hippocampus.
Kulke hat sich auch mit sozialpsychologischen Studien befasst, die untersuchen, wann jemand zum Helfer wird und wann eher nicht. Die besagen: "Menschen helfen, wenn andere auch helfen." Wer in Eile oder mit einer anderen Aufgabe - wie dem Suchen nach einer Hausnummer - beschäftigt ist, helfe weniger häufig. "Wir helfen, wenn die Person, die hinfällt, uns ähnlich ist - wenn wir auf dem Fahrrad unterwegs sind und ein Fahrradfahrer hinfällt, helfen wir eher", erklärt die Professorin. Menschen helfen laut Studien in Kleinstädten mehr als in Großstädten. Und wer sich schuldig fühlt, weil er nicht auf dem Gehsteig Schnee geschippt hat, läuft schneller zum Glatteisopfer als ein anderer.
Menschen helfen, wenn auch andere helfen
Kulke warnt vor einem sozialpsychologischen Phänomen, das sie den Bystander-Effekt nennt: "Alle denken, jemand anders macht es schon". Das sei ein großes Problem auch bei weihnachtlichen Familienfeiern, bei denen Kleinkinder dabei seien. "Und alle denken, jemand passt schon auf - das nennt man Verantwortungsdiffusion".