Nordkirche: Der lange Weg zur gemeinsamen Identität

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Die Landeskirchen Mecklenburg, Pommern und Nordelbien vereinen sich und werden zu einer Landeskirche: zur Nordkirche. Der Weg dorthin ist lang.
Nordkirche: Der lange Weg zur gemeinsamen Identität
Aus drei mach eins: Die Landeskirchen Mecklenburg, Pommern und Nordelbien vereinen sich und werden zu einer Landeskirche: zur Nordkirche. Kurz vor der Eröffnungsfeier ist die Freude über den Fortschritt des Zusammenschlusses groß. Wären da nicht auch noch viele Dinge, die lange noch nicht abgeschlossen sind. Beispielsweise die Suche nach einer neuen, gemeinsamen Identität. Oberkirchenrat Michael Ahme hat als Leiter der Arbeitsstelle Nordkirche den Prozess von Anfang an begleitet. Im Interview mit evangelisch.de spricht er über über noch nicht abgeschlossene Fusions-Prozesse, verschiedene Mentalitäten in den einzelnen Kirchen und was er heute anders machen würde.

21.05.2012
evangelisch.de
Maike Freund

Jetzt stehen sie am Ende der Vorbereitungen zur Fusion Nordkirche. Wenn Sie heute noch mal mit dem Prozess beginnen würden, was würden Sie anders machen?

Michael Ahme: Ich bin überzeugt, dass wir die Dinge so richtig gemacht haben. Es ist uns in kurzer Zeit gelungen, zu einem guten Ergebnis zu kommen. Aber ich würde heute intensiver versuchen, von Anfang an die Gemeindeebene, also die untere kirchliche Gliederungsebene, so zu informieren, dass sie sich noch stärker hätte beteiligen können.

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An welchen Stellen zum Beispiel?

Ahme: Der Prozess ist sehr schnell verlaufen, war sehr konstruktiv, sehr zielführend und die Verantwortlichen haben sich sehr loyal gegenüber den vereinbarten Zielen verhalten. Aber es wird eine große Herausforderung der kommenden Zeit sein, auf Gemeinde- und die Kirchenkreisebene zu verankern, dass wir nun eine große, gemeinsame Landeskirche sein werden und nicht eine ehemalig große nordelbische Kirche mit zwei Anhängseln in Form zweier Kirchenkreise.

Welche Sorgen gab es vor dem Zusammenschluss?

Ahme: Die Ängste liegen vor allem darin, dass die Traditionen und die individuellen Eigenheiten der jeweiligen Kirche verloren gehen oder nicht angemessen wahrgenommen und integriert werden könnten. Das ist die Herausforderung an alle: Dass ein Miteinander im neuen Rahmen angemessen geschieht.

"Jede Kirche hatte ihr eigenes Profil, ihr eigenes Verständnis, auch von der Stellung der Kirche in der Gesellschaft"

Welches sind denn die individuellen Eigenarten?

Ahme: Jede Kirche hatte ihr eigenes Profil, ihr eigenes Verständnis, auch von der Stellung der Kirche in der Gesellschaft. Und entsprechend agiert sie. Ein Beispiel ist der Feiertagsschutz, also die Ladenöffnungszeiten. Dies ist ein ganz sensibles Thema. Jede Positionierung ist abhängig davon, wie man die Stellung der Kirche in der Gesellschaft definiert. Wir werden alle miteinander versuchen müssen, eine gute gemeinsame politische Linie für Mecklenburg-Vorpommern und die dortigen touristischen Gebiete und Schleswig-Holstein mit den hiesigen Besonderheiten und Strukturen zu finden.

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Gibt es noch weitere Punkte, an denen Sie noch nicht einig sind?

Ahme: Eine weitere Herausforderung wird der Umgang mit dem Amtshandlungsrecht sein. Also die Frage, wie in dem jeweiligen kirchlichen Kontext mit Taufe, Trauung und Beerdigung umgegangen wird. Heute sind nicht mehr alle Menschen selbstverständlich Mitglieder der Kirche. Manchmal ist es nur ein Partner des Paares, das eine Trauung erbittet. Die Frage, wie man mit diesen Phänomenen der Säkularisierung so umgeht, dass es eine gemeinsame, erkennbare kirchliche Linie gibt, ist noch offen. Wir müssen einen gemeinsamen Korridor finden, der sowohl im Großraum Hamburg gilt, wo es starke Säkularisierungsschübe gab, wie auch in Holsteinischen Territorien, wo die Kirchenmitgliedschaft bei bis zu 80 Prozent liegt, als auch in Mecklenburg und Pommern, wo sie weit niedriger ist.

Wie lange wird es dauern, bis der Prozess abgeschlossen ist?

Ahme: Wenn man die Gründung der Nordelbischen Kirche 1977 als Beispiel nimmt, dann gibt es immer noch starke schleswig-holsteinische und starke hamburgische Mentalitäten - und trotzdem hat sich über die Jahre auch eine gemeinsame Identität gebildet; man hat selbstverständlich in einer Landeskirche gelebt. Das hat gut geklappt, aber man hat sich jeweils auch immer profilieren müssen. Das merkte man auf Synoden-Tagungen immer wieder. Und so wird es natürlich auch mit den östlichen Erfahrungen werden, die in der DDR-Zeit und Nachwendezeit erwachsen sind, und den westlichen Erfahrungen, die ja auch besondere waren. Man wird sich viel erzählen wollen und müssen, wie sich die Dinge z. B. in Hamburg-Altona und in Güstrow entwickelt haben.

"Auf der Basis des gemeinsamen Glaubens und der gefundenen Konsense beginnt der Weg verheißungsvoll"

Würden Sie dann sagen, dass der Prozess niemals ganz abgeschlossen sein wird?

Ahme: Es ist auf jeden Fall eine langer Weg, eine gemeinsame Identität zu schaffen. Aber auf der Basis des gemeinsamen Glaubens und der gefundenen Konsense beginnt der Weg verheißungsvoll.


Woran zeigt sich das?

Ahme: Ein Beispiel: In der holsteinischen Stadt wie Plön macht sich die Gemeinde darüber Gedanken, wie man mit der großen Nikolaikirche umgehen soll. Wie kann man diesen großen Sakralbau so nutzen, dass der teure Unterhalt des Gemeindehauses auf Dauer sinkt? Und wer berät diese Gemeinde? Die Mitglieder des Kirchengemeinderates einer mecklenburgischen Gemeinde, die einen derartigen Umbauprozess gerade hinter sich haben. So zeigt sich, dass man durchaus auch von einander profitieren kann.

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Wie nehmen denn die Mitarbeiter den Prozess auf?

Ahme: Für die Kolleginnen und Kollegen, die aus Greifswald und Schwerin nach Kiel ziehen müssen (das sind Mitarbeiter des höheren kirchlichen Verwaltungsdienstes, zum Beispiel Kirchenjuristen), ist das durchaus auch schwierig. Beispielsweise wegen der Betreuung der Kinder; die Betreuungsstrukturen in den östlichen Regionen sind günstiger. Für einige ist es ein verständliches Problem, ihr Leben hier neu zu sortieren. Im beruflichen Alltag wird man aber gut und schnell miteinander zu recht kommen. Allen ist doch bewusst: Für die mecklenburgische und die pommersche Kirche und ihre Mitarbeiter ist es ein schmerzhafter Prozess, zwanzig Jahre nach der Wende, zwanzig Jahre, nachdem man zur friedlichen Revolution eine maßgeblichen Beitrag geleistet hat und die institutionelle Selbstständigkeit ganz neu gestalten konnte, dass diese Selbstständigkeit nun aufgeht in einer neuen Kirche. Das ist bis heute für die Kollegen und Gemeindeglieder dort nicht einfach und hat Kummer bereitet. Wenn auch viele sich darauf freuen, dass nun etwas Neues, Gemeinsames beginnt.

"In Mecklenburg und Nordelbien spricht man ganz selbstverständlich vom Pastor. In Pommern vom Pfarrer"

Wie sind sie mit Kummer umgegangen?

Ahme: Wir wussten schon sehr früh, dass es nicht nur ein großes Gründungsfest geben darf, sondern auch Abschiedsveranstaltungen geben muss. Wenn man sich die Bilder des Abschiedsgottesdienstes im mecklenburgischen Oberkirchenrat anschaut, dann wird ganz deutlich, dass das ein bewusst gestalteter Akt des Abschiedes und der damit verbundenen Emotion war. Ähnliches spielt sich dieser Tage auch in Greifswald ab.

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Wie schafft man eine neue Kirchenidentität?

Ahme: Wir haben uns dazu entschlossen, dass die Nordkirche ein neues Logo und einen völlig neuen Außenauftritt haben muss, damit eine Widererkennbarkeit auf allen Ebenen zustande kommen kann. Das greift jetzt auch schon gut. Dann haben wir uns auf gemeinsame Terminologien geeinigt. Bisher hatte da ja jede Kirche ihre eigenen Traditionen. In Mecklenburg und Nordelbien spricht man ganz selbstverständlich vom Pastor. In Pommern vom Pfarrer. Sie finden keine gemeinsamen, festgelegten innerkirchlichen Begriffe für bestimmte Amtsbezeichnungen. Da gibt es zum Beispiel den Begriff des Gemeindekirchenrates oder Kirchgemeinderates oder aber auch des Kirchenvorstandes. Wir haben uns auf viele neue, einheitliche Begriffe verständigt. Mit der Zeit - nicht gewaltsam – werden wir diese Terminologien auch verwenden, so dass Gemeinsames wachsen kann. Aber die innere Identität wird aus der Verbundenheit im Glauben heraus erwachsen; und dann in gemeinsamer Synoden- und Gremienarbeit. Und große gemeinsame Events werden auch einen Beitrag leisten: Das nordkirchliche Chorfest "Dreiklang" im August in Greifswald, zu dem viele Chöre aus allen Regionen der neuen Kirche zusammenkommen mit mehr als 3000 Sängerinnen und Sängern. Und dann der Kirchentag 2013 in Hamburg, der von der ganzen neuen Kirche mitgetragen wird.

"Für uns bedeutet das: Die Kräfte so zu bündeln, dass mittelfristig finanzielle Mittel frei werden, um gemeindliche Arbeit auf Dauer solider finanzieren zu können"

Worauf kommt es bei einer Fusion denn an?

Ahme: Im Wesentlichen kommt es darauf an, die eigenen Stärken so einzubringen, dass sie anderen zugute kommen. Und die Defizite, die man selber hat, durch die Stärken der anderen auszugleichen. Natürlich ist das auch ein Konzentrationsprozess. Für uns bedeutet das: Die Kräfte so zu bündeln, dass mittelfristig finanzielle Mittel frei werden, um gemeindliche Arbeit auf Dauer solider finanzieren zu können.

Sie sind ja nun Fusionsprofi. Was würden Sie einem Unternehmen raten, das eine Fusion plant?

Ahme: Man muss sich als erstes sehr frühzeitig Rechenschaft über folgende Fragen ablegen: Warum wollen wir das? Was ist das Ziel dieser Fusion? Wenn man sich über die Ziele im Klaren ist, und sie beschlossen sind, dann muss man sich darüber verständigen, wie man diese Ziele erreichen will und wer die zielführenden Prozesse erarbeitet und begleitet. Es ist ein Irrtum zu meinen, dass das vorhandene Mitarbeiter nebenbei, neben ihrem eigentlichen Job zusätzlich leisten können. Dafür müssen Mitarbeiter freigestellt werden, die den Prozess beobachten und möglichst alle Betroffenen so rechtzeitig beteiligen, informieren und in Entscheidungsprozesse mit einbeziehen, dass sie zu Mitgestaltern werden.
    
Wie ist die Stimmung jetzt, kurz vor dem Eröffnungsfest?

Ahme: Ich bin dankbar, stolz und freue mich darüber, dass wir den Fusionsakt soweit geschafft haben. Und dass wir ihn so gestaltet haben, dass eine überwältigend große Mehrheit der Verfassunggebenden Synode "Ja" gesagt hat.