Weihnachtsmarkt aus Rolli-Perspektive

Rollstuhlfahrer und zwei Besucher stehen auf dem Weihnachtsmarkt
© Katja Eifler
In der Planung hat die Stadt Neuss gemeinsam mit dem Weihnachtsmarktveranstalter, der Familie Kremer, alles dafür getan, dass Menschen mit Kinderwagen, im Rollstuhl oder mit dem Rollator problemlos dem Weihnachtsmarkt besuchen können.
Praxistest Barrierefreiheit
Weihnachtsmarkt aus Rolli-Perspektive
Kann ich als mobilitätsbeeinträchtigter Mensch den Weihnachtsmarkt besuchen? Evangelisch.de Redakteurin Katja Eifler macht gemeinsam mit einem Rollstuhlfahrer den Praxistest in der Stadt Neuss.

In der Theorie haben die Stadt Neuss und der Weihnachtsmarktveranstalter, die Familie Kremer, alles dafür vorbereitet, dass auch Menschen mit Kinderwagen, im Rollstuhl oder mit dem Rollator problemlos dem Weihnachtsmarkt einen Besuch abstatten können. Doch wie ist es wirklich?

Ich bin heute mit Hans Böckenförde aus dem Begehungsteam "Neuss Barrierefrei" in der Innenstadt verabredet. Aufgrund einer Muskelerkrankung ist er seit dem Teenageralter auf den Rollstuhl angewiesen. Wie war für ihn der  Weg bis zum Markt? "Ich bin direkt von zu Hause hierher gerollt, mit dem Elektrorollstuhl ist das in Neuss kein Problem, bei uns sind alle Bürgersteige an Übergängen abgeflacht", sagt er. 

Der Neusser Weihnachtsmarkt, der idyllisch direkt auf dem Platz vor dem Neusser Münster aufgebaut ist, ist von mehreren Seiten aus begehbar. "Alle Wege sind mit Kabelbrücken und Rampen versehen", erzählt mir die Inklusionsbeauftragte der Stadt Neuss, Mirjam Lenzen, die es sich nicht hat nehmen lassen, uns heute ebenfalls zu begleiten. Neuss gehört zu den wenigen Städten, die extra für die Verbesserung der Inklusion seit 2016 eine hauptamtliche Beauftragte haben.

Über die Rampe kann unser Tester gut auf den Weihnachtsmarkt gelangen.

Wir rollen los und schaffen es auch mühelos, die erste angelegte Kabelbrücke dank einer Rampe zu bewältigen. Doch Hans Böckenfördes Blick ist dabei stets nach unten gerichtet. Schwieriger als die Kabelbrücke ist für ihn das Kopfsteinpflaster an solchen historischen Orten wie in Neuss. Ich lerne, je kleiner die Abstände zwischen den einzelnen Steinen, umso leichter ist das Vorankommen. "Aber anstrengend bleibt es", sagt er als Tester. Auf dem Neusser Weihnachtsmarkt sind es für ihn nur wenige Stellen, die zu große Abstände aufweisen. 

Gemeinsam nähern wir uns den ersten Weihnachtsbuden. Hier gibt es keine Probleme, die Sicht auf die Waren ist auch aus der Sitzposition gut und die Mitmenschen oder Verkäufer: innen sind hilfsbereit. Etwas hinunterreichen, Geld annehmen oder wie Böckenförde berichtet, zuletzt für ihn die Reibekuchen kurz um die Bude herum bringen, alles klappt. "Es ist eins der wichtigsten Dinge, dass Menschen freundlich und hilfsbereit sind, damit lassen sich viele Barrieren für uns leicht umgehen." Auch der Weg zur Toilette ist in Neuss schaffbar. Gut sichtbare Schilder auf dem Markt weisen den Weg zu einer Gastronomie, die Besucher:innen ein barrierefreies WC zur Verfügung stellt. 

Weiter geht es. Obwohl Hans Böckenförde eher zu den Senioren zählt, fahren wir an das Kinderkarussell heran. Hier können Kinder zwischen einem roten Feuerwehrauto, einem drehbaren Kreisel und etlichen anderen Fahrzeugen auswählen, die gut im Sitzen zu nutzen sind. Natürlich wäre zum Einsteigen Hilfe nötig, aber das hätte ihn nicht gestört, erzählt er. Die Inklusionsbeauftragte Mirjam Lenzen sieht das genauso: " Wir müssen ein Bewusstsein entwickeln, dass behinderte Kinder nicht immer komplett betüddelt werden wollen, sie leben mit ihren Einschränkungen und messen ihnen oft nicht die Bedeutung zu wie wir." Also los, einfach Karussellfahren. 

Freifahrt auf Karussell und Budengassen

"Ich werfe stets einen Blick voraus", erklärt mir Hans Böckenförde, während wir weiter schlendern. Mit 30 Jahren Rolli-Erfahrung ist er ein Profi darin, den für ihn besten Weg vorab zu sichten und Hindernisse zu umrollen. Vor allem gilt es, Breiten korrekt abzuschätzen, um nicht samt Rollstuhl stecken zu bleiben.

Zeit für eine Glühwein und Punschpause. Aufgrund des kalten Nieselwetters steuern wir in Richtung einer der beiden überdachten Bereiche des Weihnachtsmarktes. Doch Stopp, hier geht es für Böckenförde nicht weiter. Es liegt keine Rampe vor dem Holzboden. "Schade", kommentiert er, "wenn meine Freunde da jetzt zusammenstünden, könnte ich mich nicht dazugesellen."

Ein Stichwort, das Mirjam Lenzen unmittelbar aufgreift. Sie verweist auf einen zweiten überdachten Bereich, der mit Rampe und niedrigen Tischen ausgestattet sei und verspricht, über eine Lösung für das kommende Jahr nachzudenken. Also geht es ein paar Meter weiter. Hier ist es tatsächlich möglich, per Rampe hinaufzurollen und sich an einen der Tische zu stellen. Ein bisschen größere Tischflächen zum "Darunterrollen" wären an den romantischen Holzfässern noch schöner, sagt Böckenförde. So kann er nur schräg heranrollen, aber es gibt eine Alternative an einem Stehtisch. 

Die Pyramide ist nicht erklimmbar

Highlight auf dem Neusser Weihnachtsmarkt ist eine große Pyramide, die einen Ausschank beherbergt. Wer geht Glühwein holen? Mit Rollstuhl ist leider kurz vor dem Tresen Ende. Der Grund sind elf Zentimeter, für uns eine kleine Höhe, für Hans Böckenförde das Ende der Fahrt. "Da komme ich nicht hinauf." Aber er hat eine Stimme und kann auch von hier,  solange der Markt einigermaßen leer ist, gut Getränke auf Zuruf bestellen. Und das Bringen ist kein Problem. Felix Kremer und seine Crew, die den Ausschank betreiben, servieren für Menschen, die nicht an den Tresen gelangen können, die Getränke gerne an den Tisch. "Der TÜV verlangt diese Bauweise für die Pyramide. Hier eine Rampe anzubauen ist leider nicht möglich, da stolpern uns zu viele Besuchende drüber, wenn es voll ist", erklärt er mir.

Dank nettem Service können auch mobilitätsbeeinträchtige Besucher:innen einen Punsch oder Glühwein genießen: Zusammen mit Mirjam Lenzen, Tester Rolf Böckenförde und Schaustellersohn Felix Kremer machen wir Pause.

Ich nutze die Gelegenheit und frage Felix Kremer: Was könnte hier noch verbessert werden? "Einfach die Kabelanschlüsse fest in den Boden legen, dann bräuchten wir an keiner Stelle mehr Kabelbrücken." Die, so seine Erfahrung, seien auch für viele ältere Menschen mit oder ohne Rollator, insbesondere bei Nässe, nicht immer leicht zu überwinden. Auch das notiert sich Mirjam Lenzen. Aber sie weiß, dies ist eine Kostenfrage und daher für viele Städte und Gemeinden nicht so leicht umsetzbar. Aber Stadtplaner könnten diesen Gedanken in Zukunft aufgreifen und beim Neubau von Plätzen mit bedenken.

 

In unserer Abschlussrunde zieht Hans Böckenförde insgesamt ein sehr positives Fazit: "In Neuss können Menschen mit Behinderungen den Weihnachtsmarkt genießen. Wenn es voll ist, müssten sie nur ein wenig zickzack fahren und aufmerksam sein", lacht er. Mirjam Lenzen ergänzt noch, dass diejenigen, die mit dem Auto kommen wollen, Behindertenparkplätze in unmittelbarer Nähe finden können.