"Jeder möchte doch mal in den Arm genommen werden": Dieser Satz fällt im dritten Film mit Katerina Jacob als Wohnungsbesitzerin und Ernst Stötzner als ihr Untermieter gleich mehrfach. Natürlich wäre es am naheliegendsten, den Nächstbesten zu umarmen, aber die 2020 gestartete ARD-Freitagsreihe "Anna und ihr Untermieter" bezieht ihren Reiz nicht zuletzt aus der Gleichzeitigkeit von Nähe und Distanz: Anna und Werner teilen in Köln zwar Küche, Bad und Wohnzimmer, sprechen sich jedoch auch im dritten Jahr ihres Zusammenlebens noch beharrlich mit "Frau Welsendorf" und "Herr Kurtz" an. Das liegt vor allem an ihm: Aus sich raus kommt der Witwer nur in einseitigen Zwiegesprächen, wenn er das Grab seiner Frau besucht oder einem Erpel während der Joggingpause am Aachener Weiher sein Herz ausschüttet.
Grund zur Klage ist eine Liaison Annas mit einer Seminarbekanntschaft: Weil der Alltag ohne gewisse digitale Grundkenntnisse kaum noch zu bewältigen ist, besucht sie einen Grundkurs für Senioren. Dort lernt sie Godehard Wendling (Richy Müller) kennen, einen früheren Versicherungskaufmann, der sich beruflich verändert hat, weil der Job nicht gut für seine Seele war; nun gibt er Oboen-Unterricht. Der feinfühlige Schöngeist bringt eine Saite in ihr zum Klingen, die schon lange verstummt ist, was Werner mit wachsendem Argwohn verfolgt, zumal Godehard deutlich jünger als Anna ist. Prompt vermutet der ehemalige Leiter des Ordnungsamts Köln-Süd hinter den Avancen des Mannes nichts Gutes. In Wirklichkeit will er sich natürlich bloß nicht eingestehen, dass er eifersüchtig ist. Das wiederum schließt selbstredend keineswegs aus, dass sich hinter Godehards freundlichem Wesen tatsächlich ein Schurke verbirgt, zumal Werner dank seiner Beziehungen entdeckt, dass der Mann in der Tat ein verurteilter Betrüger ist.
Anders als Werner, der sich offenbar selbst genügt und völlig zufrieden ist, wenn er seine Lebensabende mit Bier und einer Fußballübertragung verbringen kann, will sie noch was erleben. Godehard kommt da gerade recht, zumal sein Schicksal ihr Herz berührt: Sein Sohn ist schwer krank und braucht teure Medikamente, daher der Betrug; als er im Gefängnis war, hat sich auch noch seine Frau von ihm getrennt. Nun steht eine erneute Zahlung an. Spätestens jetzt hat Werner keinen Zweifel mehr, dass es dem Nebenbuhler nicht um Liebe, sondern allein um Geld geht.
Die ersten beiden Episoden sind von Ralf Huettner inszeniert worden, Regisseurin der dritten ist Dagmar Seume, die das Drehbuch allerdings ohne jede Raffinesse umgesetzt hat. Das fällt jedoch nicht weiter ins Gewicht, weil sich Autor Martin Rauhaus, ohnehin ein begnadeter Dialogschreiber, wieder eine Vielzahl fröhlicher Verbalscharmützel für die beiden Hauptfiguren ausgedacht hat. Richy Müller (Jahrgang 1955) ist zwar in Wirklichkeit älter als Katerina Jacob, hat sich aber blendend gehalten und ist ohnehin eine exzellente Besetzungsidee, zumal er als "’Tatort’-Kommissar" einen gewissen Vertrauensvorschuss genießt. Ein bisschen Krimispannung kommt tatsächlich auf, als die beiden Alten gemeinsam mit Werners Bruder (Hannes Hellmann) und Annas Tochter (Katharina Schlothauer) im letzten Filmdrittel aktiv werden, um einem betrügerischen Pärchen, dass es auf leichtgläubige ältere Herrschaften abgesehen hat, das Handwerk zu legen.
Neben dem zentralen Aspekt "Einsamkeit im Herbst des Lebens" spielt auch die Digitalisierung eine große Rolle. Die zunehmend empörte Anna spricht vermutlich einem großen Teil des typischen ARD-Publikums aus der Seele, wenn sie sich darüber echauffiert, dass Telefonrechnungen nicht mehr per Post verschickt werden oder in den TV-Nachrichten mitgeteilt wird, weitere Informationen könne man auf der Internetseite des Senders nachlesen. Werner ist in dieser Hinsicht dagegen sehr aufgeschlossen: Zum amüsanten Auftakt will er Annas Wohnung in ein "Smart Home" verwandeln, in dem sich die Vorhänge auf Zuruf öffnen und ein emsiger Saugroboter den Boden säubert; bis seine Sensoren versagen und er ein Gestell mit Annas Lieblingsvase umstößt. Das klingt zwar schwer nach klischeehafter Rollenverteilung, ist in der Altersgruppe Ü70 aber sicher nicht unrealistisch. Davon abgesehen macht es großen Spaß, dabei zuzuschauen, wie Stötzner diesen pragmatischen Rentner verkörpert, der es nicht fertig bringt, Anna zu gestehen, was er wirklich für sie empfindet.