Der Kino-Film "Sieben Winter in Teheran" schildert die Leidensgeschichte der 19-jährigen Studentin Reyhaneh Jabbari, die sich in Notwehr mit einem Messer gegen einen Vergewaltigungsversuch verteidigt und den Angreifer tötet. Nach Folter und Demütigungen in iranischen Gefängnissen wird sie sieben Jahre später hingerichtet. 2014 war das. Trotz internationaler Proteste. Ihr Angreifer war ein mächtiger Mann, ein Geheimdienstmitarbeiter, dessen Doppelleben das Mullah-Regime bis zuletzt schützte. Der Film dokumentiert nicht nur den Widerstand von Reyhaneh und ihrer Familie, sondern auch das korrupte iranische Regime mit seiner Doppelmoral. Der Film von Regisseurin Steffi Niederzoll ist auch ein Plädoyer für Solidarität und Mitmenschlichkeit. Denn Reyhaneh hatte ein Vermächtnis, das ihre Mutter Shole Pakravan heute weitergibt.
Shole Pakravan weiß, was es heißt, sieben Jahre gegen ein Todesurteil in Iran anzukämpfen. Alle Versuche der Studentin sich juristisch zu wehren, scheiterten. Die Akten waren manipuliert, Beweismittel verschwanden, Richter wurden versetzt. Sie hatte keine Chance auf ein faires Verfahren in dem Frauenverachtenden System. Shole Pakravan, selbst Kulturschaffende und Regisseurin, musste wegen ihres politischen Engagements gegen die Todesstrafe schließlich aus dem Iran fliehen. Sie lebt seit 2017 in Deutschland im Exil. Das Interview ist aus dem Englischen übersetzt.
Frage: Frau Pakravan, sie sind auf Lesereise und derzeit zu vielen Filmabenden eingeladen. Was ist Ihr Anliegen nach dem tragischen Tod Ihrer Tochter?
Shole Pakravan: Ich möchte den Menschen sagen, was Exekution wirklich heißt. Weil mir jemand mal sagte, Exekution ist nur ein Wort dafür jemanden zu töten. Es ist eine Strafe und damit hat es sich. Aber ich wusste wieviel Gewalt hinter dem Wort steckt. Und so möchte ich den Menschen im 21. Jahrhundert sagen, dass Hinrichtungen keine Strafe sein kann für verurteilte Menschen. Besonders im Iran, wo wir so viele Hinrichtungen haben, ist das nicht gut für eine Gesellschaft. Es ist nicht gut für die Welt, nicht gut für uns alle.
Was für eine Vision haben Sie?
Ich glaub in meinem tiefsten Inneren, dass wir miteinander verbunden sind. Und ich kann nicht zu mir selbst sagen. Okay, jetzt bin ich in Deutschland im Exil. Hier bin ich sicher. Ich kann jetzt viele Dinge tun in Freiheit, obwohl meine Landsleute immer noch unterdrückt werden. Aber etwas kann ich einfach nicht machen.
Im Iran laufen derzeit weiter Proteste gegen das islamistische Regime. Viele Menschen in Reyhanehs Alter gehen auf die Straße und werden inhaftiert, könnten zwischen die Mühlen der Justiz gelangen.
Im Iran hatten wir zwei oder drei Monate, wo alle vier Stunden jemand hingerichtet wurde. Das ist schrecklich. Dieser Film und das Buch können Menschen die Augen öffnen, was das bedeutet. Ich weiß, dass meine Tochter davon nicht lebendig wird und nie mehr zurück kommt. Aber ich habe die Hoffnung, dass Menschen, die in einer ähnlichen Situation sind, dass sie Hilfe bekommen wie ich damals. Jetzt gibt es im Iran viele Jungen und Mädchen in ähnlichen Situationen wie Reyhaneh damals. Und ich kämpfe dafür, dass die Todesstrafe abgeschafft wird. Ich möchte, dass niemand diese Erfahrung machen muss, die ich gemacht habe.
Sie haben den Leichnam ihrer Tochter vor ihrer Beerdigung entgegen genommen. Sie starb allein im Morgengrauen. Hingerichtet am Strang.
Das möchte ich anderen Müttern ersparen. Der Anblick ist der Horror. Der Blick auf den Hals, bevor sie beerdigt wurde. Das beschert den Menschen Alpträume. Es erschafft Traumata. Nicht nur für die Angehörigen, sondern für die Gesellschaft schafft es Gewalt. Ich möchte, dass diese Gewalt unterbrochen wird, dass sie gestoppt wird.
Sie hatten damals die Hoffnung, dass die Familie des Getöteten Reyhaneh die Tat vergibt. Der Sohn des Getöteten hätte auf die "Blutrache" verzichten können, dann wäre ihre Tochter freigekommen.
Ja, ich versuche es zu beschreiben: Ich musste Jalal (den Sohn des Geheimdienstlers) bitten, meiner Tochter zu vergeben Irgendwann hat Jalal die Bedingung gestellt, dass er vergibt, wenn Reyhaneh den Vergewaltigungsvorwurf zurück nimmt. Aber sie hat sie geweigert. Ich habe sie wieder und wieder gebeten. Aber sie ist bei ihrer Wahrheit geblieben.
Im Film wird deutlich, dass sowohl Reyhaneh als auch Sie eine Entwicklung durchlaufen. Reyhaneh hat nicht nur für sich Gerechtigkeit eingefordert, sondern auch für ihre Mitgefangenen, die auch die Todesstrafe erhalten haben. Und Sie setzten ihr Engagement fort.
Ich habe viel von ihr gelernt. Ich denke manchmal, ich spüre ihre Seele in meinem Körper. Ich glaube, an das Fortbestehen der Seele. Und manchmal sage ich, Reyhaneh, gehe den Weg vor mir und löse das Problem, weil ich nicht mehr kann. Und ich weiß nicht warum, aber dann öffnet sich eine Tür oder ich treffe auf gute Menschen. Ich weiß nicht, warum es funktioniert, aber das passiert.
Woher schöpfen Sie die Kraft?
Ich habe zwar eine große Traurigkeit in mir, aber ich will nicht aufhören mit meiner Arbeit. Ich habe mich entschieden zu kämpfen. Möchte über Menschenrechte, Hinrichtungen und Widerstand zu sprechen. Möchte weiter Bücher schreiben und Filme machen. Gerade war ich in Italien, wo eine Bibliothek den Namen meiner Tochter erhielt. Eine Ehre! In Italien gab es vor der Hinrichtung eine große Protestwelle mit Aktionen für Reyhaneh. Ich besuche gerne Schuler:innen und diskutiere über die Todesstrafe. Ich spreche in Bibliotheken und Kinos. Wer auch immer uns einlädt. In den USA sind Steffi Niederzoll (Regisseurin) und ich sogar an die Universität nach Harvard eingeladen.
Buchtipp: Shole Pakravan mit Steffi Niederzoll: "Wie man ein Schmetterling wird – das kurze, mutige Leben meiner Tochter Reyhaneh Jabbari", Berlin Verlag, 2023, 272 Seiten, 24 Euro, EAN 978-3-8270-1370-5.
Kinotipp: Ab 14. September im Kino: "Sieben Winter in Teheran". Mit deutschen Untertiteln. 97 Min.
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