Im Roman wie im Film treffen sich zwei Ehepaare, um sich über ihren Nachwuchs auszutauschen. Im Bühnendrama ist der Anlass ein Gewaltakt: Der eine Junge hat den anderen mit einem Stock im Gesicht verletzt.
Im ZDF-Film geht es gewissermaßen um einen Geschlechtsakt: Die sehr vermögenden Fabers (Matthias Koeberlin, Neda Rahmanian) machen sich Sorgen um ihre Tochter. Die schulischen Leistungen der 16jährigen Mila (Hannah Schiller) haben in letzter Zeit stark nachgelassen. Genauer gesagt: seit sie mit Leon (Paul Sundheim) zusammen ist, einem Jungen aus eher einfachen Verhältnissen.
Also haben André und Soraya Leons Eltern zum Abendessen eingeladen, um der Sache auf den Grund zu gehen. Monika und Viktor Popov (Josefine Preuß, Maximilian Grill) entpuppen sich als fröhliches Prollduo, das den Herausforderungen des Daseins mit offenbar unbeschwerter Gelassenheit begegnet, doch der Schein trügt ganz erheblich; und das gilt selbstredend für beide Paare.
Tilmann P. Gangloff, Diplom-Journalist und regelmäßiges Mitglied der Jury für den Grimme-Preis, schreibt freiberuflich unter anderem für das Portal evangelisch.de täglich TV-Tipps und setzt sich auch für "epd medien" mit dem Fernsehen auseinander. Auszeichnung: 2023 Bert-Donnepp-Preis - Deutscher Preis für Medienpublizistik (des Vereins der Freunde des Adolf-Grimme-Preises).
Der spezielle Charme des Films resultiert aus den ständigen Stimmungswechseln. Anfangs überwiegen Contenance und Höflichkeit. Erste Erkenntnisse haben zur Folge, dass felsenfeste Gewissheiten bröckeln: Leon ist Klassenbester, an ihm kann’s nicht liegen, dass die bisherige Mustertochter die Schule plötzlich unwichtig findet. Entscheidender für den Verlauf des Abends sind jedoch die Geheimnisse, die unversehens ans Licht kommen. Nun zeigt sich auch, dass die zu Beginn von Soraya zum Aufräumen in den Keller beorderte polnische Haushälterin Roza (Anja Antonowicz) eine entscheidende dramaturgische Rolle spielt: Sie und Monika teilen sich nicht nur die Nachbarschaft.
Wie immer in solchen filmischen Konstellationen werden einige alte Rechnungen präsentiert. Zu diesem Zeitpunkt geht es jedoch wie schon in "Der Gott des Gemetzels" ohnehin längst nicht mehr um die Kinder, sondern um die beiden Beziehungen. Dennoch ist es der Nachwuchs, der die Diskussion ins Rollen bringt: Mila ist schwanger, und Soraya, die zugunsten der Familie jahrelang auf eine eigene Karriere verzichtet hat, sieht sich bereits als Großmutter, die sich ums Enkelkind kümmern muss. Prompt ist Roza die einzige, die sich über Milas Schwangerschaft freut; alle anderen denken vor allem an sich selbst.
Zwischenzeitlich benimmt sich das elterliche Quartett wie im Kindergarten, Handgreiflichkeiten inklusive, allerdings nicht etwa zwischen den beiden Vätern, sondern zwischen André und Soraya: Sie versucht, ihn im Pool zu ertränken. Als dann auch noch Nachbarin Conny (Julia Nachtmann) mitmischt und für einen weiteren Knüller sorgt, entpuppen sich wenig überraschend die beiden Teenager als die wahren Erwachsenen.
Selbst das vielköpfige und ausnahmslos sehenswerte Ensemble kann jedoch nicht kaschieren, dass die Geschichte etwas dünn ist. "Gäste zum Essen" ist keineswegs handlungsarm, dauernd passiert irgendwas, und die entsprechenden Aktivitäten sind für sich genommen stets plausibel, aber Manches wirkt auch wie Spielverzögerung. So spielt zum Beispiel das Essen eine wesentliche Rolle; André ist passionierter Koch und hat ein köstliches französisches Menü kreiert. Da Viktor gelernter Gärtner ist, gibt es einen Rundgang durch die weitläufige Grünanlage, in der sogar ein Mammutbaum gedeiht, doch die Exkursion soll wohl in erster Linie vermeiden, dass sich die Ereignisse ausschließlich als gesprochenes Wort rund um den Esstisch zutragen.
Dabei hat die bühnenhafte Einheit von Zeit und Raum durchaus ihren Reiz, weil sich die Vorzeichen oft abrupt ändern. Für die Mitwirkenden war das vermutlich ein Fest, schließlich dürfen sie ständig neue Facetten ihrer Rollen zeigen. Besonders viel Spaß macht Maximilian Grill in ungewohnt breitbeiniger Machopose; er hat sich extra einen Schnurrbart zugelegt, um dem Motorradfahrer Viktor auch physisch näherzukommen.
Sehr sympathisch ist zudem eine Szene, in der André die Maschine mit kindlicher Freude starten darf. Davon abgesehen labt sich Otterbach (Buch und Regie), auch das ist naheliegend, an der Kollision der Kontraste, wobei sich alsbald zeigt: Die beiden Paare mögen in gänzlich verschiedenen Gegenden leben, aber charakterlich gibt es mehr Parallelen, als den Beteiligten lieb ist.