"Hutten ist ein schillernder Vogel. Ausgesprochen vielfältig. Er ist ein passionierter Schriftsteller. Aus dieser Literatenrolle, die er als Humanist wahrnimmt, ergibt sich eine Fülle an Bezügen: Papstpolemik, Zeitkritik, Zeitdiagnostik. Hutten hat in der Regel draufgehauen", sagt der Göttinger Kirchenhistoriker Thomas Kaufmann über den deutschen Ritter und Humanisten Ulrich von Hutten.
Von Hutten, 1488 geboren, entstammt einem fränkischen Adelsgeschlecht. Er verbringt seine Kindheit auf der elterlichen Burg Steckelberg. Mit elf Jahren wird Ulrich von Hutten von seinem Vater ins Benediktinerkloster Fulda verbracht. Doch der junge von Hutten hat weder Lust aufs Beten noch auf Schwertkämpfe. 1503 schließt er sich den Humanisten in Erfurt an. Es ist der Beginn einer lebenslangen Wanderschaft. Er hält sich an Universitäten auf, die noch relativ jung sind: Köln, Frankfurt an der Oder, Leipzig, Greifswald, Wittenberg. Dort sucht und gründet er humanistische Zirkel, die die freie Rede ohne kirchliche Bevormundung schätzen und sich im besten Latein üben.
Von Hutten verabscheut nicht nur die scholastische Disputation, sondern auch die Kirche. Er träumt von einem geeinten Deutschland gegen das übermächtige Rom. Statt mit dem Schwert kämpft er mit spitzer Feder. "Das gedruckte geschriebene Wort, das in Flugblättern und Büchlein rasch Verbreitung findet über die Zahl der Lesenkönnenden hinaus. Dass diese Schriften nicht im stillen Kämmerlein, sondern in Gruppen gelesen werden. Die, die lesen können, lesen es den anderen vor", sagt der Philosoph und bekennende Humanist Frieder Otto Wolf.
Der Buchdruck, die Verbindung von Wort und Bild in unzähligen Flugschriften verleihen den Schriftstellern der Renaissance eine nie gekannte Popularität. "Und von Hutten entdeckt das alte Genus der Schmähschrift. Er sieht, dass es wieder möglich ist, einen literarischen Kampf, eine literarische Fehde zu führen", so Wolf weiter.
Modernes Deutschland gegen katholische Kirche
Ulrich von Hutten will aber nicht nur Humanisten, sondern alle deutschen Stände einen, um gegen das Papsttum anzukämpfen. Er will ein Deutschland unter der Führung des noch jungen Kaisers Karl V. – der soll von oben mit Reformen ein modernes geeintes Deutschland gegen die katholische Kirche schaffen.
Ulrich von Hutten ruft auf: "Den stolzen Adel ich beruf; ihr frommen Städt‘ auch wachet uf: wir wollen’s halten ingemein, laßt doch nicht streiten mich allein. Erbarmt euch übers Vaterland, ihr werten Deutschen, regt die Hand!" Doch von Huttens Hoffen auf Karl V. wird letztlich enttäuscht. Dem noch jungen Kaiser wächst die Reformation schließlich über den Kopf und er verbündet sich mit den Katholiken. Von Hutten aber schreibt nach wie vor unermüdlich – so wie in den Jahren zuvor. Berühmt aus der Zeit zwischen 1514 und 1516 sind seine Dunkelmännerbriefe, in denen er sich für den Humanisten und Hebraisten Johannes Reuchlin einsetzt - gegen seine kirchlichen Ankläger.
"Bei den Dunkelmännerbriefen wissen die humanistischen Zeitgenossen sofort, wer dahintersteckt. Ein parodistischer Höhepunkt. In den epistolae obscurorum virorum werden die Vertreter der alten Scholastik, die Dominikaner, mit einem barbarisierten Latein in der Öffentlichkeit vorgeführt", sagt Marius Kraus von der Technischen Universität Dresden, der seine Doktorarbeit über Ulrich von Hutten geschrieben hat.
Es ist ein doppeltes Spiel: Unter den Dunkelmännerbriefen stehen katholisch-latinisierte Namen, die so tun, als würden sie die Sache der Scholastiker und Dominikaner loben und unterstützen - in allerschlechtestem Latein! Jedem Leser und Hörer wird sofort klar, dass es sich in Wirklichkeit um eine Veralberung des Gegners handelt. Invektiven nennen das die Humanisten. Die Herabwürdigung des Gegners auf literarischem Niveau. Ulrich von Hutten ist damit so etwas wie der erste deutsche Satiriker, Vorbild für Heinrich Heine, Kurt Tucholsky bis hin zu heutigen Comedians.
Eine Art Renaissance-Böhmermann
"Ulrich von Hutten kann man schon als eine Art Renaissance-Böhmermann bezeichnen. Satire ist Mittel zum Zweck. Hutten bedient meisterhaft verschiedene Textformen: die Rede, den Brief, den Dialog, Lehrwerke, äolische Elfsilber, Epigramme, das Gedicht. Er nimmt die Vorlagen der Antike, die Germania des Tacitus, die Totengespräche von Lucian. Das verbindet er meisterhaft in den Invektiven für seinen Angriff", sagt der Dresdner Mediävist Marius Kraus.
Ähnlich wie heutige Satiriker geht Ulrich von Hutten schon vor 500 Jahren auf Tournee - dorthin, wo nicht nur Studenten anzutreffen sind. In den kleinen Gelehrtenzirkeln nimmt er auch Kontakt zu Druckern und Verlegern auf, um seine Publizistik voranzutreiben. Hutten ist schon zu Beginn des 16. Jahrhunderts einer der prominenten Humanisten im Reich. Er ist auch international geachtet. Es gibt von ihm sogar französische und italienische Nachdrucke.
Und dann kommt 1517 Martin Luther mit seinen Thesen. Für Ulrich von Hutten der vermeintlich beste Bündnispartner. "Hutten sieht in Luther einen Kämpfer gegen das Papsttum. Er schließt sich der Reformation an und verstärkt sie. Damit führt von Hutten der Reformation Leute zu, nämlich junge Humanisten an den Universitäten, die sonst möglicherweise andere Wege gehen", sagt der Reformationshistoriker Thomas Kaufmann.
Schreiben auf höchstem Niveau
Dabei ist Martin Luther 1517 noch ein Niemand. Hutten dagegen schon "poeta laureatus" - ein vom Kaiser gekrönter Nationaldichter. Während sich Luther zaghaft der deutschen Sprache annähert, schreibt Ulrich von Hutten bereits auf höchstem Niveau.
"Huttens Deutsch ist sehr früh sehr kristallklar. Das hängt damit zusammen, dass er in stärkerer Weise als Luther mit der literarischen Form ringt, während Luther nach dem Bibelwort ‚das Herz ist voll, der Mund quillt über‘ zum Schreiber wird. Hutten ist Dichter und Luther ist Rhetor und kommt als Rhetor, als Redner ins Deutsche, während Hutten als literarischer Stilist, als lateinischer Dichter zum Deutschen findet", sagt Kaufmann.
Philosoph Frieder Otto Wolf findet bei Martin Luther vor allem Grobianismus. Mit seiner ausgefeilten Sprachkunst sei Hutten hingegen aus der Geschichte der deutschen Satire gar nicht wegzudenken.
Traumpaar der Reformation?
Luther und von Hutten, der Theologe und der humanistische Sprachkünstler, könnten also so etwas wie das Traumpaar der Reformation werden. Doch der Weg zur deutschen Einigung gegen Rom ist für Ulrich von Hutten zu steinig. Ihm dauert alles zu lang. Zusammen mit Franz von Sickingen ruft er zum Widerstand auf. Von Hutten veröffentlicht seine Schrift "Arminius".
Er stilisiert seinen Mitstreiter, den Raubritter Franz von Sickingen, zum Römerbefreier, indem er ihn mit Arminius, also mit Hermann dem Cherusker, gleichsetzt. So wie einst die Cherusker im Teutoburger Wald müssten jetzt die deutschen Ritter über Rom siegen. Im 19. Jahrhundert dann werden Nationalkonservative die Arminius-Idee des Ulrich von Hutten wieder aufgreifen. Und auch die Nazis werden danach trachten, von Hutten zu einem ihrer Vorbilder zu machen.
In seiner Zeit radikalisiert sich Ulrich von Hutten zusehends. Er ruft zu den Pfaffenkriegen auf. Doch im Mai 1523 sind die Sickingenschen Heere endgültig besiegt und die deutsche Ritterschaftsbewegung ist am Ende. "Die Gewaltanwendung hat auch dazu geführt, dass sich Luther und die Seinen noch stärker und deutlicher auf die Seite der Fürsten gestellt haben", sagt Kirchenhistoriker Thomas Kaufmann.
Luther als Zauberlehrling
Aus dem möglichen Traumpaar wird eine handfeste Gegnerschaft! Aber versteht womöglich Ulrich von Hutten, der Ritter und Humanist, den Theologen Martin Luther nicht richtig, als er sich der Reformation anschließt? Doch, meint Thomas Kaufmann: "Luther provoziert eine Mobilisierung, wie sie bei Hutten und von Sickingen stattfindet. Seine Schrift an den christlichen Adel deutscher Nation ist eine Einladung insbesondere an den Adel, aber durchaus auch an andere Stände. Insofern inauguriert Luther eine Art reformatorische Mitmachparty und zieht Leute an, ruft Geister, die ihm dann über den Kopf wachsen. Luther macht dann immer den Teufel oder die anderen dafür verantwortlich, dass Leute verrücktspielen. Dass er selber eine Art Agent provocateur, also der Zauberlehrling ist, gesteht Luther nie ein."
Nach dem päpstlichen Bann bietet von Hutten dem Reformator sogar Schutz an, und zwar auf der Ebernburg des Franz von Sickingen. Doch der Reformator lehnt ab und sucht die offene Konfrontation auf dem Reichstag zu Worms, wo er sein berühmtes "Hier steh ich, ich kann nicht anders" spricht und berühmt wird.
Martin Luther und Ulrich von Hutten kommen nie zueinander. Ulrich von Hutten scheitert schließlich mit seiner deutschen Einigungsidee. Ausgezehrt von der Syphilis findet er zuletzt Asyl bei Zwingli in Zürich. Am 29. August 1523 stirbt er mit nur 35 Jahren auf der Insel Ufenau im Zürichsee. Bis zuletzt bleibt er seinem Wahlspruch treu: "Iacta es alia - Ich hab’s gewagt!"