Kaum aus dem Gefängnis entlassen, gerät ein Kleinkrimineller mit afrikanischen Wurzeln bei seiner Freiheitsparty mitten auf einer Kreuzung in ein Gerangel mit einem Polizisten und wird umgehend wieder verhaftet. Diesmal soll es jedoch nicht in die JVA gehen, sondern in den Senegal. Recht so, würden gewisse Kreise die Entscheidung vermutlich kommentieren: Wer sich nicht an unsere Regeln hält, den schicken wir dahin zurück, wo er hergekommen ist.
Aber so einfach ist das bei Babtou nicht: Der junge Mann ist vor 25 Jahren in Frankfurt zur Welt gekommen, hier ist seine Heimat. Was soll er im Senegal, wo er ein Fremder wäre, ein "Toubab", wie die weißen Europäer in Zentralafrika genannt werden? Das Land seines Vaters kennt er nur aus Erzählungen.
Aus diesem Stoff hätte auch ein schwermütiges Sozialdrama werden können, das die Untiefen der hiesigen Asylgesetzgebung auslotet und eine gleichgültige Bürokratie anprangert, die sich nicht um Einzelfälle schert. Florian Dietrich, der das Drehbuch gemeinsam mit Arne Dechow geschrieben hat, erzählt das potenziell tragische Schicksal von Babtou (Farba Dieng) jedoch als Tragikomödie; die Botschaft bleibt die gleiche, ist aber unterhaltsam verpackt.
Tilmann P. Gangloff, Diplom-Journalist und regelmäßiges Mitglied der Jury für den Grimme-Preis, schreibt freiberuflich unter anderem für das Portal evangelisch.de täglich TV-Tipps und setzt sich auch für "epd medien" mit dem Fernsehen auseinander. Auszeichnung: 2023 Bert-Donnepp-Preis - Deutscher Preis für Medienpublizistik (des Vereins der Freunde des Adolf-Grimme-Preises).
"Toubab" ist Dietrichs Spielfilmdebüt. Umso erstaunlicher, wie souverän er auf dem schmalen Grad wandelt, den die Geschichte mit sich bringt: Eine Anwältin (Thelma Buabeng) eröffnet Babtou, der bloß eine Aufenthaltsbewilligung hat, dass sich die Abschiebung nur durch eine Hochzeit vermeiden ließe, weshalb der junge Mann umgehend seine diversen Ex-Freundinnen und Gelegenheitsliebschaften abklappert. Als er lauter Körbe bekommt, bleibt als letzte Option sein Freund Dennis (Julius Nitschkoff).
Das klingt nach dem beliebten Komödienstoff "Scheinehe mit Hindernissen", weil die beiden Männer fortan dem unsympathischen Pärchen von der Ausländerbehörde (Valerie Koch, Michael Maertens) eine heile schwule Welt vorgaukeln müssen. Als beste Freunde seit Kindheitstagen wissen sie genug übereinander, um alle Fragen souverän zu beantworten; bis auf die nach dem Sex. Aber das ist nur die heitere Seite der Handlung.
In den äußerst maskulin geprägten Kreisen von Babtou und Dennis gilt "schwul" als Schimpfwort; was mit Beleidigungen beginnt, die die beiden Freunde selbstverständlich nicht auf sich sitzen lassen, endet für Dennis im Krankenhaus. Und dann ist da noch seine Freundin Manu (Nina Gummich), die er nicht eingeweiht hat; ihre Loyalität mitten in einem heftigen Beziehungskrach sorgt für eine der verblüffendsten Szenen des Films.
Dessen zweite große Stärke neben dem nie in eine Klamotte à la "Ein Käfig voller Narren" ausartenden Drehbuch ist Dietrichs Arbeit mit dem Ensemble. Julius Nitschkoff hat in seiner immer noch jungen Karriere schon eine Vielzahl klischeehafter Nebenrollen als schwer erziehbarer Jugendlicher gespielt und darf hier zeigen, dass er auch die leisen Zwischentöne beherrscht.
Entscheidender ist jedoch das jederzeit glaubwürdige Zusammenspiel mit Farba Dieng in dessen erster Hauptrolle. Auch die weiteren Nebenfiguren sind treffend besetzt, allen voran mit Seyneb Saleh als Nachbarin. Die Begegnungen mit der vermeintlichen "Kampflesbe" – der Film strotzt so nur von politisch höchst unkorrekten Dialogen – sind anfangs allerdings eher eine Art schmerzhafter Zusammenprall. Babtou verliebt sich trotzdem in die selbstbewusste Yara, und sie öffnet sich ihm ebenfalls: weil sie ihn für homosexuell hält. Saleh, Tochter deutsch-irakischer Eltern, glänzte zuletzt an der Seite Jürgen Vogels in der neuen ZDF-Freitagsserie "Jenseits der Spree".
Dietrich und Dechow hatten die Idee zu dem Film, als sie in der JVA Wiesbaden mit jungen Gefangenen Theater- und Kunstprojekte durchführten. Der Regisseur ist überzeugt, dass die Kriminalisierung vieler Jugendlicher mit Migrationshintergrund auch mit deren unsicherem Aufenthaltsstatus zusammenhängt.
Er wollte eine Geschichte erzählen, die die Protagonisten "für ihren Mut, ihre Stärke und ihre Kreativität im Umgang mit den Behörden feiert." Deshalb erzählt "Toubab" die Ereignisse auch konsequent aus Babtous Perspektive. Sehenswert ist jedoch auch die Umsetzung: Der Film verharmlost die Probleme nicht, verliert aber trotzdem nie seinen spielerischen Tonfall, zumal den beiden Protagonisten dauernd witzig inszenierte Missgeschicke unterlaufen.
Beim Bayerischen Filmpreis sind Dieng und Nitschkoff als beste Nachwuchsdarsteller ausgezeichnet worden. Ebenfalls preiswürdig ist Jakob Vetters ausgezeichneter Großstadtjazz im Miles-Davis-Stil.