Der "Heilige Leichnam" im Märchenwald

Urwald Sababurg
© Naturpark Reinhardswald e.V./ Paavo Blafield
Knorrige Hute-Eichen, meterhoher Adlerfarn und mystische Gebilde aus Totholz sind im Urwald Sababurg zu bestaunen. Seit 1907 steht der Urwald unter Schutz und ist Hessens ältestes Schutzgebiet.
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Der "Heilige Leichnam" im Märchenwald
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Ein veritables "Wunder" - oder auch das Marketing-Geschick einfallsreicher Nonnen, je nach Sichtweise - führte einst Pilger aus ganz Europa in den kleinen Ort Gottsbüren nordwestlich von Kassel. Die spätgotische Wallfahrtskirche erinnert noch heute daran. Außerdem liegt das Dorf mitten im mystischen Reinhardswald. Ideal zum Entschleunigen und Runterkommen.

Im Jahr 1330 verbreitet sich ein unglaubliches Gerücht in den Dörfern und kleinen Städten nordwestlich von Kassel. Mitten im Reinhardswald habe man den Leichnam Christi gefunden. Das Gesicht gleiche dem in Bildern überlieferten Antlitz des Heilandes frappierend und der Körper weise die Wundmale der Kreuzigung auf. Der "Heilige Leichnam" wird in die Kirche des nahen Ortes Hundesburen gebracht, und bald treffen die ersten Pilger ein, um das "Wunder" zu bestaunen.

Welche Wahrheit auch immer hinter der Geschichte steckt, wer der Unbekannte aus dem Wald wirklich gewesen ist, an anderer Stelle ist auch noch von einer blutenden Hostie die Rede - unter der Ägide der Benediktinerinnen des Klosters Lippoldsberg jedenfalls erblüht die Wallfahrt in dem kleinen Ort und übertrifft schon bald alles, was dort bis dahin vorstellbar schien. Rund siebzig Jahre lang kommen nun Gläubige aus ganz Europa nach Gottsbüren, wie der Ort jetzt heißt, und bringen viel Geld mit. Die Wallfahrt ist ein solch einträgliches Geschäft, dass es sogar bewaffnete Auseinandersetzungen gibt, weil die hessischen Landgrafen aus Kassel auch gern ein Stück vom Kuchen hätten. Die Sababurg, heute ein Wahrzeichen der Region, wird zum Schutz der Pilger und der Einnahmen gebaut.

Es ist wieder ruhig in Gottsbüren. An die Zeit, als der Ort das Ziel internationaler Pilgerströme war, erinnert noch die spätgotische Wallfahrtskirche, die bis 1350 errichtet wurde. Eine imposante dreischiffige Halle, im Inneren mit Wandmalereien verziert, die von der Geschichte der Wallfahrt erzählen, aber auch großformatige Darstellungen der Kreuzigung oder des Heiligen Christophorus zeigen. Die Kirche ist während des Tages zur Besichtigung geöffnet und es gibt regelmäßig Orgelkonzerte.

Einzigartige Landschaften

Von der einstigen Blüte des Töpferhandwerks und des Orgelbaus im Ort künden stattliche Fachwerkhäuser im Stil der Weserrenaissance. Eine lokale Initiative setzt sich für deren Erhalt ein, unterstützt Sanierungen und fördert dadurch auch eine Wiederbelebung des Ortes, der wie viele andere in der Region mit Abwanderung und Leerständen zu kämpfen hat. Ein gelungenes Beispiel dafür ist Pilgrim’s Rest, das mit stilvollen Zimmern, hausgemachtem Frühstück und einem britischen Pub zum Bleiben einlädt.

Die ehemalige Wallfahrtskirche Gottsbüren, ursprünglich Fronleichnamskirche, ist die evangelische Kirche von Gottsbüren, einem Ortsteil von Trendelburg im Landkreis Kassel.

Wer etwas Zeit hat, dem bietet sich Gottsbüren als Ausgangspunkt an, um den Reinhardswald zu erkunden – eine der größten Waldflächen und eines der am wenigsten besiedelten Gebiete Deutschland. Hier kann man Tage verbringen und sich vom besonderen Zauber einer einzigartigen Naturlandschaft gefangen nehmen lassen. An machen Stellen ist der Wald nahezu undurchdringlich und kommt der Vorstellung von Urwald sehr nahe. Es gibt aber auch ausgedehnte Rodungsflächen, die wegen Käferbefall und Trockenstress abgeholzt werden mussten. Dort lässt sich aktuelle Waldbewirtschaftung und Wiederaufforstung im Zeichen des Klimawandels aus der Nähe beobachten.

Weit weg vom Alltag

Der Urwald Sababurg mit seinen Jahrhunderte alten beeindruckenden Eichen und Buchen liegt nur ein paar Kilometer von Gottsbüren entfernt. Die Riesen standen einst als Hutebäume auf offenem Feld, ihre Früchte gaben dem Vieh energiereiche Nahrung. Gleich daneben befindet sich der bereits 1571 angelegte Tierpark Sababurg, auf dessen großen Freiflächen Urrinder, Hirsche, Elche, Rentiere und viele andere Arten zu sehen sind. Auch ein Abstecher hinunter an die Weser lohnt sich - zu den Klöstern Bursfelde und Lippoldsberg, den Waldenserorten Gottstreu und Gewissenruh.

Rund um Gottsbüren erinnern mehrere Pilgerwege an die Geschichte des Ortes und laden dazu ein, die Gegend zu Fuß zu erkunden. Zwischen neun und 15 Kilometer lang, führen sie etwa durchs idyllische Holzapetal, zum Wasserschloss Wüllmersen oder am Donnebach entlang. Im Rhythmus der eigenen Schritte, im Puls des eigenen Atems nimmt man die Umgebung am intensivsten wahr und taucht ein in eine Welt, die weit weg ist von unserem durchgetakteten Alltag. Unterwegs auf meist einsamen Pfaden würde es einen nicht weiter wundern, tauchten plötzlich Hänsel und Gretel auf, oder Rotkäppchen auf dem Weg zur Großmutter. In der Tat haben die Brüder Grimm den Reinhardswald auch bereist und sich bestimmt von ihm inspirieren lassen.