Vision von Frieden - Raketenstation Hombroich

 Skulpturen aus Beton
© Anja Schäfer
Wo einst die Transportschienen für die Atomraketen entlangführten, liegen heute Skulpturen aus Beton.
evangelisch.de-Ausflugstipps
Vision von Frieden - Raketenstation Hombroich
Serie
In den Sommerwochen stellen Redaktionsmitarbeitende ihre liebsten Ausflugsziele vor. Ein Blumenstrauß an Tipps - verteilt in ganz Deutschland und darüber hinaus. Lassen auch Sie sich inspirieren. evanglisch.de-Redakteurin Katja Eifler nimmt Sie mit nach Neuss zu einem Ort, der einst auf keiner Landkarte eingetragen war.

Ich bin ein Kind der Friedensbewegung. Oder genauer gesagt: fast schon ein Teenager dieser Zeit. Ich war 13 Jahre alt, als ich mich an den Protestaktionen gegen die Stationierung der atomar bestückten US-amerikanischen Mittelstreckenraketen Pershing und der Marschflugkörper "Cruise Missile" beteiligte. Eine der ersten großen Friedensdemonstrationen, die mich aufrüttelte, fand anlässlich des Deutschen Evangelischen Kirchentages im Juni 1981 in Hamburg statt. Leider noch ohne mich, ich durfte erst später bei den Protesten auf den Bonner Rheinwiesen dabei sein.

Uns ist es damals nicht gelungen, die Aufrüstung aufzuhalten. Den besten Beweis dafür hatte ich unmittelbar vor meiner Haustür: die Raketenstation. 1967 wurde sie von einem belgischen Raketengeschwader in Betrieb genommen. Der Militärkomplex umfasste drei Abschussbasen und Bunkeranlagen, in denen sich die Raketen versteckten. Offiziell gab es diesen Ort nicht. Wie für alle Verteidigungsanlagen üblich, war er weder auf einer Landkarte noch in einem Bebauungsplan verzeichnet. Aber auch hier kam es in den 80-er Jahren zu Demonstrationen und Sitzblockaden.

Doch Stopp: Sie haben Lust auf einen Ausflug und ich schreibe von Raketen? 
Ja, denn mit dieser Raketenstation ging es weiter. Sie verwandelte sich in einen Ort, zu dem ich gerne mit dem Fahrrad fahre. Zu finden ist das Gelände jetzt leicht, von weitem sichtbar durch die 15 Meter hohe Skulptur des Künstlers Eduardo Chillida.

Doch bevor ich diese erreiche, lassen Sie mich kurz noch einmal zu einem kleinen geschichtlichen Exkurs abbiegen. Bis 1990 wurden nach und nach von amerikanischen Einheiten alle dortigen militärischen Einrichtungen demontiert und vernichtet, bis zur letzten Schraube. Zurück blieb ein karges Gelände. Erst durch die Vorstellungskraft des Düsseldorfer Malers und Maklers Karl-Heinrich Müller, der das Gebiet 1994 erwarb, änderte sich das. Mit welcher Wucht dieser Maler seinen Visionen Raum geben konnte, hatte schon die Museumsinsel Hombroich bewiesen, ein weit bekanntes Auengelände, auf dem sich Kunst in der Natur präsentiert. Dieses hatte Müller in den 80er-Jahren erworben und erschaffen. Die Museumsinsel ist mit der Raketenstation über einen Fußweg verbunden. 

Aus Baracken werden Kreativräume

Besagter Maler begann also auch hier aus seiner gedanklichen Skizze farbige Fakten zu schaffen. Aus Baracken wurden Ateliers aus Raketenhallen, Wohnräume für Kreative, Künstler:innen und Forscher:innen. An sich schon eine zündende Idee, doch sehenswert sind die 13 Hektar nicht allein deswegen. Seit Ende der 90er-Jahre kamen architektonisch ungewöhnliche Gebäude hinzu, die sich mal symbiotisch in die parkähnliche Natur hinein schmiegen, mal bewusst einen harten Kontrapunkt setzen. Heute ist es ein beeindruckendes Areal, das Architektur, Natur, Kunst und Geschichte auf einmalige Art vereint.

Rakentenstation Hombroich

Also weiter, für mich mit dem Rad, für Sie vermutlich zu Fuß. Denn mein Tipp: Wenn Sie mit dem Auto kommen, parken Sie an der Museumsinsel Hombroich und laufen von dort hinüber zur Raketenstation. Der Weg führt über das "Kirkeby-Feld" mit seinen verschiedenen Bauten, die alle sehenswert sind. Es ist sicherlich kein Zufall, dass kurz vor dem am Wegesrand liegenden Feldhaus-Museum, ein Museum für populäre Druckgrafiken, drei Bauwerke tatsächlich "die drei Kapellen" heißen. Spätestens jetzt wird es in mir andächtiger. Wenige Meter entfernt und für Kunstinteressierte spannend, liegt auch die vor drei Jahren eröffnete Skulpturenhalle der Thomas Schütte Stiftung.

Der Besuch der Raketenstation ist, wie mir meine drei Jungs, als sie kleiner waren, bestätigt haben, auch hervorragend für Kinder geeignet. Die Tore des ehemals stark bewachten Geländes stehen tagsüber offen, der Besuch ist kostenfrei. Es braucht nur wenige Schritte, schon zieht mich dieses künstlerische Biotop in seinen Frieden hinein. Das ganze Gelände ist ein Experimentierfeld. Immer wieder stecken hier Forschende und Wissenschaftler:innen ihre Köpfe mit Kreativen zusammen und entwickeln neue Ideen. 

Wenn Sie zum ersten Mal kommen, gehen Sie nicht direkt hinein, sondern starten Sie mit einem Besuch in der Langen Foundation. Es ist das offizielle Eingangsgebäude der Raketenstation. Schon das Haus selbst, von Tadao Ando einem japanischen Architekten entworfen, ist mehr als einen Blick wert. Es entfaltet einen besonderen Reiz durch die Konzeption der Räume und dem perfiden Spiel zwischen Licht und Schatten. Wenn Sie Zeit haben, besuchen sie eine aktuelle Ausstellung. So können Sie zusätzlich das fantastische Innere des Hauses bewundern.

Insbesondere im Frühling verzaubert die als Spiegelung gleich doppelte Pracht der Kirschblüten die Kombination aus Wand, Wasser und Ausstellungshalle der Langen Foundation.

Doch zurück auf das Areal. Gehen Sie unbedingt ohne Plan einfach drauflos und folgen Sie vor allem auch den nur in die Wiesen gemähten Trampelpfaden. Gleich der erste rechts führt auf eine Obstbaumwiese, in der im Sommer Kirschbäume zu einer Genusspause einladen. Vor allem Kinder sind davon begeistert. Dazwischen liegen Ateliers - Fotokunst, Holzarbeiten, klassische Malerei, Schriftstellerei - die Besetzungen können wechseln, sodass es immer wieder Neues zu entdecken gibt. Aktuell wurde der Bildhauer Emil Walde im Gastatelier begrüßt. 

Oft stehen Türen auf und laden zu einem Blick oder Besuch ein. Ein Gebäude, auf das sie beim Durchstreifen bestimmt auch stoßen werden, ist nahezu ringsum aus Glas. So wird das Kunstschaffen selbst zur Kunst. Oder entdecken sie den zwischen Mauern verborgenen kleinen Garten voller Blumen und Gemüse. Es gibt zahlreiche wunderschöne Pfade, die das mit Hügeln inszenierte Gelände durchziehen. Zeitweise wird einem die Kunst regelrecht vor die Füße geworfen.

Aus Baracken wurden Ateliers. Aus Raketenhallen, Wohnräume für Kreative, Künstler:innen und Forscher:innen.

Immer wieder muss ich innehalten und staunen. Über die Leistung der Architekten, die Kraft der Natur, dem Spiel von Himmel und Wolken sowie über Skulpturen und Werke. Wer gerne fotografiert, kann sich hier vor Motiven kaum retten. Vor allem aber staune ich über die Menschen, die hier leben und werken. Sie tragen dazu bei, dass aus diesem Ort der Bedrohung eine Insel des Friedens erwächst. 

Werfen wir zum Abschluss noch einen gemeinsamen Blick auf das Musikerhaus und bitte, bleiben Sie mit mir noch eine Minute gedanklich stehen. Spüren Sie den Spirit?

Das Haus für Musiker entstand nach Plänen des Architekten Raimund Abraham. Es hat vier Übungsräume, die über zwei Geschosse reichen, große Gemeinschaftsbereiche, einen Studioraum, vier Wohnungen und eine Bibliothek. Auch der Innenhof und die unterirdische Arena lassen sich nutzen.

Für mich wird auf der Raketenstation greifbar, was der Prophet Micha sagte, dessen Satzfragment "Schwerter zu Pflugscharen" zum geflügelten Wort für die Abrüstung wurde: "Kein Volk wird gegen das andere das Schwert erheben, und sie werden fortan nicht mehr lernen, Krieg zu führen. Ein jeder wird unter seinem Weinstock und Feigenbaum wohnen, und niemand wird sie schrecken."

Ich habe an diesem Tag besonders Glück: Ich kann mir noch Kaffee und Kuchen im Café Krümel gönnen. Das hat nicht immer auf, also packen Sie lieber etwas Proviant für Ihren Besuch ein.