Dahinter stecke die Vorstellung einer gemeinschaftlichen Sorge um die Alten, "die sich nicht mehr gänzlich abhängig macht von professionellen und bezahlten Dienstleistungen", wie Gronemeyer in seinem aktuellen Buch "Die Rettung der Pflege" schreibt. Eine solche "Ars curandi", eine Kunst des Pflegens, gebe es seit Anbeginn der Menschheit. Sie sei aber "unter die Räder einer gewinnorientierten Geschäftspflege geraten".
"Wir sind bei der Pflege an einen Punkt gelangt, an dem keiner mehr einen Ausweg weiß", sagte der emeritierte Professor für Soziologie dem epd. Die Zahl der Pflegekräfte sinke, die Zahl der zu Pflegenden steige. Die Heime stünden unter zunehmendem Finanzdruck, einige schlössen bereits Abteilungen. Familien hätten immer größere Probleme, den Heimplatz der pflegebedürftigen Angehörigen zu bezahlen und müssten dafür das Erbe aufbrauchen. "Die Debatte muss jetzt geführt werden, ob es andere Wege gibt."
Gronemeyer betonte: "Eine Caring Society ist erstmal eine Nebelwand." Sie müsse auch gar nicht "das ganz große Ding sein", sondern könne sich in "kleinen Bezügen verwirklichen", zum Beispiel: bei großer Hitze bei der alten Nachbarin klingeln und schauen, ob sie genug trinkt. Den Nachbarn mit kognitiven Einschränkungen zum Spaziergang abholen. Ein Vorbild liefere die Aids-Bewegung in den 1980er Jahren, als Homosexuelle die ersten Hospize gründeten, die von Freundschaften getragen wurden. In Afrika existierten zahlreiche solcher informellen Hilfssysteme.
Es brauche dafür vor allem eine andere Haltung, sagte der Soziologe und Theologe: "Wir müssen uns selbst entdecken als Menschen, die handeln können." Ein schwer an Demenz erkrankter Mensch brauche weiterhin die professionelle Pflege, aber es gebe viele Zwischenstufen. Ein Heimleiter habe ihm berichtet, dass 20 Prozent der Bewohnerinnen und Bewohner seines Heimes nicht dort sein müssten. "Angesichts der Herausforderungen können wir reagieren mit: Ich will damit nichts zu tun haben. Oder mit dem Aufbruch in eine neue Vitalität."