Das kurdische Ehepaar (43 und 34 Jahre alt) wurde am frühen Morgen des vergangenen Montags, 10. Juli 2023, von Beamt:innen der Ausländerbehörde Viersen im Rahmen einer unangekündigten Hausdurchsuchung in Räumen der Evangelischen Kirchengemeinde Lobberich/Hinsbeck festgenommen.
Der anschließende Versuch der Abschiebung vom Flughafen Düsseldorf wurde von der Bundespolizei abgebrochen. Das Paar befindet sich nun in der Abschiebehaftanstalt Darmstadt. Die beiden waren 2021 aus dem Irak geflohen und seit Ende Mai 2023 im Kirchenasyl.
Oberkirchenrätin Janssen betonte in ihren Schreiben, dass das Vorgehen der Ausländerbehörde gegen Absprachen zum Kirchenasyl verstoße. Es gehe ihr nicht um die Beurteilung des komplexen juristischen Sachverhaltes, so Janssen, die hauptamtliches Mitglied der Kirchenleitung der Evangelischen Kirche im Rheinland ist. Aber: "Die Art und Weise des Vorgehens der Ausländerbehörde ignoriert alle Vereinbarungen zwischen der Evangelischen Kirche und dem Land NRW im Zusammenhang mit Kirchenasylen", schreibt die Oberkirchenrätin an die Bürgermeisterin.
Vor dem unangekündigten Bruch des Kirchenasyls durch die Ausländerbehörde der Stadt Viersen habe es keinerlei diesbezügliche Kommunikation oder Versuche seitens der Behörde gegeben, eine andere Lösung für die Situation dieses Kirchenasyls zumindest zu sondieren. "Genau das ist in konflikthaften Situationen aber bewährte Praxis und mit dem Land NRW so vereinbart", unterstreicht Janssen.
Schutz aus gewichtigen Gründen geboten
Kirchengemeinden gewährten Schutzsuchenden Kirchenasyl nach reiflicher Prüfung des Sachverhalts. Auch im vorliegenden Fall gebe es gewichtige Gründe, die die Kirchengemeinde bewogen hätten, dem Ehepaar Kirchenasyl zu gewähren, so Oberkirchenrätin Janssen. "Bei allen unterschiedlichen Einschätzungen von Kirchenasylen erwarten wir von den Behörden das Einhalten der vereinbarten Kommunikationswege. Diese bisherige Verlässlichkeit haben wir positiv als Ausdruck des Respekts gegenüber den Schutzsuchenden, den kirchenasylgewährenden Gemeinden und der Praxis des Kirchenasyls erfahren. Auf verlässliche Kommunikation zu setzen, ist der Tenor aller Verabredungen zum Kirchenasyl auf Bundesebene mit dem Bundesministerium des Inneren und dem BAMF sowie auf Landesebene mit der Landesregierung."
Die Einhaltung der bewährten Verabredungen haben die Fachleute der rheinischen Kirche auch gegenüber dem nordrhein-westfälischen Innenministerium angemahnt. Die Bürgermeisterin der Stadt Viersen fordert Janssen auf: "Ich bitte Sie, bei Ihrer Ausländerbehörde darauf zu drängen, zu einer vertrauensvolleren Zusammenarbeit zurückzukehren."
Ökumenisches Netzwerk: Rote Linie überschritten
Das Ökumenische Netzwerk "Asyl in der Kirche NRW" spricht in diesem Zusammenhang von einer "roten Linie", die durch das Vorgehen der Behörde überschritten worden sei. "Das seit Mai 2023 bestehende Kirchenasyl sollte grundlegende Rechte des kurdischen Ehepaars schützen, wie eine adäquate psychosoziale Unterstützung, medizinische Versorgung und eine menschliche Unterbringung. Den Zugang hierzu hätten beide Personen nicht durch eine sogenannte Dublin-Überstellung nach Polen", erklärte Benedikt Kern, Theologe und Mitarbeiter im Ökumenischen Netzwerk, das das Kirchenasyl begleitet hat.
Pfarrerin Elke Langer von der betroffenen Kirchengemeinde zeigte sich erschüttert. "Wir haben das Kirchenasyl aus humanitären Gründen gewährt - ein solcher repressiver Abschiebungsversuch zweier traumatisierter Menschen ist ein Skandal", sagte sie. Sie halte das Vorgehen der Stadt für ungewöhnlich. Der Bruch des Kirchenasyls sei auch für die Gemeinde ein Schock gewesen.
Die Stadtverwaltung Viersen erklärte auf epd-Anfrage, dass es in dem Verfahren nicht um eine Abschiebung gehe, sondern eine erneute Überstellung nach der Dublin-III-Verordnung der EU nach Polen geplant sei. In diesem sicheren Drittstaat sei über das Asylverfahren zu entscheiden.
40 Jahre Kirchenasyl
Vor 40 Jahren wurde in Deutschland das Kirchenasyl ins Leben gerufen. Aus Angst vor einer Auslieferung in die damalige türkische Militärdiktatur war der politische Aktivist und Militärgegner Cemal Kemal Altun am 30. August 1983 aus dem sechsten Stock des Oberverwaltungsgerichts im damaligen West-Berlin gesprungen. Sein Tod habe Kirchengemeinden dazu bewogen, abgelehnten Asylbewerberinnen und -bewerbern Schutz zu gewähren, teilte die Ökumenische Bundesarbeitsgemeinschaft Asyl in der Kirche am Mittwoch in Berlin mit. Zum 40. Todestag des Flüchtlings wird mit einer Tagung in der Berliner Heilig-Kreuz-Kirche an das daraufhin ins Leben gerufene Kirchenasyl erinnert.
Auf dem Programm der zweitägigen Tagung "40 Jahre Kirchenasyl: Ultima Ratio und widerständige Praxis" stehen für den 30. und 31. August Workshops und Podiumsdiskussionen. Der Bischof der Evangelischen Kirche Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz, Christian Stäblein, wird am Abend des ersten Tages einen Festgottesdienst feiern.
Der Vorsitzende des Vereins Asyl in der Kirche Berlin-Brandenburg, Bernhard Fricke, betonte die fortgesetzte Notwendigkeit von Kirchenasyl: "Verletzte und verletzliche Menschen zu beraten, zu begleiten, zu unterstützen ist unsere Aufgabe als Mitmenschen und als Christen und Christinnen." Die Vorsitzende der Bundesarbeitsgemeinschaft, Dietlind Jochims, sagte, weltweit seien so viele Menschen auf der Flucht wie noch nie. Gleichzeitig würden die Pläne der EU-Kommission für ein Gemeinsames Europäisches Asylsystem zu einer "systematischen Entrechtung Flüchtender und einer noch drastischeren Lage an den europäischen Außengrenzen führen".
Die Bundesarbeitsgemeinschaft Asyl in der Kirche weiß nach eigenen Angaben zurzeit von 425 aktiven Kirchenasylen mit mindestens 685 Personen, davon sind etwa 156 Kinder. Im Jahr 2023 wurden demnach bereits 232 Kirchenasyle beendet.