Süßkartoffeln aus der Indoor-Farm

Andreas Ulbrich
© epd-bild/Detlef Heese
Andreas Ulbrich, Professor für Gemüseproduktion- und verarbeitung, schaut sich eine Pfefferpflanze im Forschungszentrum an.
Beitrag zur Welternährung
Süßkartoffeln aus der Indoor-Farm
Gemüse kann nicht nur in der Erde wachsen, sondern auch in Hallen: in Regalen übereinander, mit Kunstlicht und in Nährlösung. Forschende hoffen, so zur Sicherung der Welternährung beizutragen. Ein Besuch in der Indoor-Farm der Hochschule Osnabrück.

Saftige grün-rote Stängel und Blätter winden sich umeinander, wachsen über die Ränder der grauen Pflanzencontainer hinaus. Andere strecken sich den LED-Leuchten im Regalboden darüber entgegen. Wie ein Mini-Urwald wuchert das Laub der Süßkartoffelpflanzen in dem fensterlosen Raum: In der Indoor-Farm der Hochschule Osnabrück forschen Wissenschaftler zu Agrarsystemen der Zukunft.

Andreas Ulbrich, Chef des Forschungsprojekts, schiebt mit der Hand vorsichtig die Blätter auseinander. Die Wurzeln, die sich zu Knollen verdicken, mäandern durch einen Haufen weißer Kügelchen, alle getränkt mit einer speziell abgestimmten Nährlösung. Das überschüssige Wasser wird in einen Kreislauf zurückgeführt. Keine Spur von feucht-brauner Erde oder gar Regenwürmern.

Der Agrarwissenschaftler freut sich über das üppige Wachstum. Die Süßkartoffel liefere wie die normale Kartoffel viele Kohlenhydrate, erläutert Ulbrich. Darüber hinaus enthalte sie deutlich mehr wertgebende Inhaltsstoffe wie Proteine, Vitamine und Carotinoide. Und auch die Blätter seien essbar.

Darum sei die Süßkartoffel prädestiniert für den hochtechnisierten Indoor-Anbau. Sie könnte einen wesentlichen Beitrag zur Ernährungssicherung leisten - und das vor allem in Städten, in die immer mehr Menschen strebten, sagt Ulbrich. "Wir rechnen damit, dass 2050 über die Hälfte der Weltbevölkerung in Metropolen leben werden. Dort gibt es aber keine Ackerflächen."

Vertical Farming spart Platz

In Indoor-Farmen lassen sich die Pflanzen platzsparend in mehreren Etagen übereinander anbauen. Deshalb wird für sie auch der Begriff "Vertical Farming" verwendet. Weiterer Vorteil: Sämtliche Wachstumsfaktoren wie Licht, Temperatur, Luftzusammensetzung, Wasser- und Nährstoffzufuhr werden gesteuert und sind unabhängig vom äußeren Klima. Die Forschung in Deutschland beschäftige sich intensiv seit etwa 2019 mit dem Thema Indoor- oder Vertical-Farming, sagt Claudia Luksch von der Deutschen Agrarforschungsallianz (DAFA). Weitere Projekte fänden sich etwa in München, Aachen oder Berlin. Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen experimentierten mit Pflanzen auf Förderbändern oder versuchten, Pflanzenzucht mit Aquakultur und Pilzzucht zu kombinieren.

Auch in der Industrie boome das Thema Indoor-Farming, sagt die Biologin, die zugleich Geschäftsführerin des "World Agricultural Systems Center" an der Technischen Universität München ist. Start-up-Unternehmen und Restaurants setzten auf den Anbau von Salaten, Kräutern oder Sprossen in geschlossenen Räumen: "Das ist auch ein Lifestyle-Thema."

"Micro-Greens machen nicht satt"

Im asiatischen Raum würden diese sogenannten Micro-Greens schon länger in Indoor-Farmen angebaut, sagt Ulbrich. "Das macht die Bevölkerung aber nicht satt." Der Professor für Gemüseproduktion setze deshalb auf hochwertige Lebensmittel wie Süßkartoffel, Wasserlinse oder den Moringabaum. Damit gebe es bislang noch kaum Erfahrung in Forschung und Praxis. 

Indoorfarm und Dachgewächshaus des Forschungszentrums "Agrarsysteme der Zukunft"der Hochschule Osnabrück am Campus Haste.

Das in Osnabrück eigens errichtete und Ende 2022 in Betrieb genommene Gebäude beherbergt in seinem Inneren sechs Kammern, in denen die Pflanzen wachsen. Massive Schiebetüren schließen sie luftdicht ab. Davor geben Touchscreens Aufschluss über alle Daten. "Die kann ich auch vom Rechner im Büro oder vom Smartphone zu Hause steuern", erzählt Sebastian Deck, Koordinator der Indoor-Farm.

Durch eine Glasscheibe sind rechts und links auf zwei Regalen Töpfe mit weißem Granulat zu sehen. Dünne Stängel lugen etwa 15 Zentimeter daraus hervor: Vanillepflanzen. "Drinnen herrscht subtropisch feucht-warmes Klima. Das würde zusammenbrechen, wenn ich die Tür öffnen würde", erklärt Deck. Die Vanille ist empfindlich und bereitet derzeit weltweit Sorgen. In den Anbauregionen in Indien, Indonesien oder Madagaskar hätten die Produzenten große Probleme mit Pilzerkrankungen, sagt Ulbrich. Die Erträge gingen zurück.

Warum blüht der Pfeffer nicht?

Ähnlich sei es beim Pfeffer, der in den Ursprungsländern immer seltener blühe und den die Osnabrücker in ihrem Dachgewächshaus kultivieren. "Obwohl sie eine der ältesten und hochwertigsten Kulturpflanzen der Welt ist, weiß niemand genau, woran das liegt." Deshalb versucht er mit seinem Team herauszufinden, was den Blühreiz dieser Pflanzen auslöst und wie man sie vor Pilz- und anderen Erkrankungen schützen kann.

Sebastian Deck, wissenschaftlicher Mitarbeiter, überprüft an Touchscreens alle Daten. Nachteil der Indoor-Farmen ist ein hoher Verbrauch an Energie. Wie sich dieser senken lässt, ist ebenfalls Aufgabe der Forschenden.

Bei all dem Hype um das Indoor-Farming hat diese Produktionsweise allerdings einen großen Nachteil: Indoor-Farmen verbrauchen Unmengen an Strom. Die LEDs für die Beleuchtung produzieren Abwärme. Damit wird in Osnabrück zwar zum Teil das Gewächshaus auf dem Dach beheizt. "Dennoch müssen wir die Pflanzen in den Kammern noch kühlen. Und das ist ein wirkliches Energiegrab", räumt Ulbrich ein. Deshalb forscht sein Team auch an der Verbesserung der Energieeffizienz.

 

Der Agrarwissenschaftler ist überzeugt davon, dass Indoor-Farmen in der Zukunft den Gemüseanbau vor allem in den Städten ergänzen könnten. Der klassischen Feldwirtschaft hingegen zur Produktion von Grundnahrungsmitteln wie Getreide und Reis würden sie wohl kaum Konkurrenz machen können.
Das sieht Claudia Luksch anders. In München experimentierten ihre Kollegen mit Weizen, der bis zu viermal im Jahr geerntet werde. Die Halme seien kurz, damit er in Etagen übereinander wachsen könne. "Wir werden langfristig durch den Klimawandel immer weniger große Flächen, gute Böden und geeignetes Klima haben. Mit Indoor-Farmen sind wir dagegen standort- und klimaunabhängig. Und im Prinzip können wir dort alles anbauen."