Für Regisseure und Schauspieler müssen die Drehbücher von Karl-Henz Käfer wie Geschenke sein. Wo sich anderswo in aufwändiger Verpackung gern auch mal bloß ein Geschichtchen verbirgt, wirken Käfers Dramen auf den ersten Blick so bescheiden und zurückhaltend wie ihre Hauptfiguren. Oft sind diese Männer Antihelden, die mit überlebensgroßen Herausforderungen konfrontiert werden: Ein Vater muss damit leben lernen, dass sein Sohn pädophil ist ("Guter Junge"); ein Sohn versucht, seinem an Alzheimer erkrankten Vater die Würde zu bewahren ("Mein Vater"); ein Staatsanwalt, den Tod vor Augen, will endlich eine alte Schuld begleichen ("Nacht ohne Morgen"). Meist gibt es nur zwei Möglichkeiten: Entweder wachsen die Männer mit diesen Aufgaben; oder sie gehen daran zugrunde.
Eine zweite Chance
Vordergründig, und das macht den besonderen Reiz von Käfers Arbeiten aus, erzählen die Filme aber gern auch ganz andere Geschichten; zum Beispiel die eines Mannes um die fünfzig, der beruflich nach Vietnam reist und sich in eine Prostituierte verliebt. Dieser Thomas Eichner, ein erfolgreicher Kölner Geschäftsmann, schleppt einen schweren Rucksack mit sich rum: Seine Frau (Karoline Eichhorn) ist schon vor Jahren an Krebs erkrankt. Dank der vorzüglichen Regiearbeit von Torsten C. Fischer ("Romy"), der neben "Guter Junge" auch einige "Tatort"-Drehbücher Käfers inszeniert hat, genügen wenige Momente, um zu erkennen: Ohne den Krebs wären die Eichners längst geschiedene Leute; die Krankheit frisst sie beide auf. Die deutlich jüngere Vietnamesin Huong (Nina Liu) verkörpert für Thomas die Hoffnung, eine zweite Chance zu bekommen und noch mal von vorn anzufangen. Als Huong tatsächlich nach Köln kommt, zerschellen die vietnamesischen Träume an der deutschen Realität; Eichner hat nicht ihr, sondern vor allem sich selbst was vorgemacht. Die einzige Figur, die der Wahrheit von Anfang an ins Gesicht blickt, ist Eichners Vertraute; Jeanette Hain hat sichtliches Vergnügen an ihren zynischen Dialogen.
Wie in allen Filmen, die auf Drehbüchern Käfers basieren, vergisst man umgehend, dass Klaus J. Behrendt eigentlich der Kölner "Tatort"-Kommissar Ballauf ist. In "Jahr des Drachen" wird diese für jede schauspielerische Arbeit so wichtige punktuelle Amnesie durch einen eisgrauen Bart erleichtert. Davon abgesehen agiert Behrendt derart sparsam, dass er wie eine jener Hollywood-Ikonen aus den Fünfzigern wirkt, als Männer wie Gary Cooper keine Miene zu verziehen pflegten. Prompt wirkt eine Szene, in denen ein leichtes Zittern der Unterlippe Eichners Ergriffenheit demonstriert, übertrieben.
In jeder anderen Hinsicht aber hebt sich "Jahr des Drachen" ungemein wohltuend von vergleichbaren Filmen ab. Das beginnt schon mit der Sprache: Einige Vietnamesen sprechen zwar deutsch, doch die Verständigung zwischen Eichner und Huong basiert auf ein paar Brocken Englisch und funktioniert ansonsten nonverbal. Auch Ho-Chi-Minh-Stadt (das frühere Saigon) dient keineswegs als exotischer Hintergrund mit möglichst pittoresken Schauplätzen, sondern wirkt in seiner Fremdheit eher bedrohlich. Unaufdringlich wie die ganze Umsetzung ist auch die Globalisierungsmetaphorik der Handlung: Der Westen hat das Geld, Asien die Arbeitskraft. Das funktioniert sowohl bei der Herstellung von Oberhemden wie auch in der Liebe.