Was ist von der EU-Asylreform zu halten?

Subsaharischen Migranten wurden von der tunesischen Marine-Nationalgarde im Mittelmeer abgefangen
Hasan Mrad/IMAGESLIVE via ZUMA Press Wire/dpa
Was ist von der neuen EU-Asylrechtsreform zu halten, mit der manche Flüchtlinge schon vor Europas Grenzen abgefangen werden sollen? (Symbolbild)
Kolumne evangelisch kontrovers
Was ist von der EU-Asylreform zu halten?
Die EU verschärft das Asylrecht. Bestimmte Flüchtlinge sollen in Zentren an den Außengrenzen untergebracht werden, wo sie ein Schnellverfahren durchlaufen. Einige von ihnen will man schon abweisen, bevor sie die EU betreten. Was ist davon zu halten? Unser Ethik-Fachmann Alexander Maßmann geht der Frage nach.

Vor zwei Wochen verständigten sich die EU-Innenminister:innen auf eine Verschärfung der EU-Asylpolitik. Man will Geflüchtete an den Außengrenzen vorsortieren und manche durch ein Kurzverfahren leiten – teilweise um sie dann abzuweisen, bevor sie noch die EU betreten. Die Brisanz der neuen Regeln zeigte sich bald darauf, als ein Boot mit Geflüchteten vor der griechischen Küste sank. Man rechnet mit etwa 500 Toten. Dass die Überfahrt von Nordafrika oder der Türkei nach Griechenland und Italien für Geflüchtete äußerst gefährlich ist, ist bekannt – und doch versuchen sie es. Ist der Versuch, unbegründete Asylgesuche schnell von den begründeten zu trennen, in einer solchen Situation realistisch?

Befürworter der Reform meinen, wer keinen echten Bedarf hat, soll nicht mit den legitimen Flüchtlingen um Unterstützung konkurrieren. Ist es also vertretbar, manche Geflüchteten nach einem verkürzten Verfahren abzuweisen, ohne dass sie die EU betreten? Wird hier das humanitäre internationale Recht – die Europäische Menschenrechtskonvention – angetastet oder wird es sogar gestärkt?

Christ:innen werden auch an die bekannte Bibelstelle Matthäus 25 denken. Dort spricht Jesus, der als König auf dem Thron sitzt, zu den Menschen auf seiner Rechten: "Ich bin ein Fremder gewesen und ihr habt mich aufgenommen … Wahrlich, ich sage euch: Was ihr getan habt einem von diesen meinen geringsten Brüdern, das habt ihr mir getan." Aber sollen wir alle dulden, die kommen? In diesem Jahr haben bereits 135.000 Geflüchtete in Deutschland Asyl beantragt.

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Was ist von der neuen Asylreform zu halten?

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Was die Asylreform besagt

Laut der neuen Regelung sollen nur die aus anerkannten Krisenregionen (etwa Syrien, Afghanistan) die EU betreten, damit sie in der EU Asyl beantragen können. Andere haben aber schlechtere Aussichten – entweder, weil ihr Herkunftsland nicht klar als Krisenregion anerkannt ist (etwa Pakistan, Albanien) oder weil sie sich zwischendurch in einem sogenannten sicheren Drittstaat aufgehalten haben. Sie werden gar nicht erst reingelassen, sondern bleiben in Unterkünften an der Außengrenze. Über ihren Antrag soll dort innerhalb von zwölf Wochen entschieden werden.

Einzelheiten der Reform wird der Rat der Europäischen Union noch mit dem Europäischen Parlament aushandeln, doch voraussichtlich führt an den Sammelzentren und der ersten Auswahl kein Weg mehr vorbei. Bislang ist außerdem vorgesehen, dass unbegleitete Minderjährige nicht in die Außengrenzen-Verfahren müssen.

Wer die EU dann betritt, für den gilt "Dublin": Der Asyl-Antrag wird im Ankunftsland gestellt – besonders in Griechenland und Italien. In andere EU-Länder einreisen dürfen diese Asylbewerber nicht. Bislang wurde Dublin oft nicht durchgesetzt, so dass ein überproportional großer Teil der Geflüchteten nach Deutschland kam. Nun soll die Reform das Dublin-Verfahren wiederbeleben, und dazu ist eine Entlastung der Außenstaaten vorgesehen: Es sollen 30.000 Asylbewerber:innen auf die anderen EU-Staaten verteilt werden. Ein Land, das die Aufnahme verweigert, muss eine Strafe zahlen.

Inhaftierung der Flüchtlinge?

Kritiker werfen dem Vorhaben vor, dass Flüchtlinge nun inhaftiert werden sollen – noch dazu an den Außengrenzen, wo man schlecht überprüfen kann, ob EU-Recht tatsächlich eingehalten wird. Das gilt auch für Kinder, die mit ihren Eltern reisen. Wenn es sich tatsächlich um eine Haft handelt, ist das ein Verstoß gegen das internationale humanitäre Recht.

Man könnte entgegnen, dass die EU keine Flüchtlinge festhält – soweit es an der EU liegt, können sie sich außerhalb Europas frei bewegen. Das ist aber unrealistisch. In ihrer Heimat sind sie oft nicht nur den Problemen ausgesetzt, vor denen sie geflohen sind, oft unter großen Gefahren. Durch ihre Flucht haben sie außerdem etwa den Argwohn der heimischen Behörden auf sich gezogen. Hinzu kommt, dass die Herkunftsländer die Rücknahme der Geflüchteten blockieren können. Der Aufenthalt in den Sammelzentren wäre zwar keine Haft im formaljuristischen Sinne, doch faktisch käme es dem für viele gleich. Dabei sind viele Flüchtlinge von den Strapazen der Reise bereits traumatisiert.

Faire Verteilung?

Die Reform bekräftigt, dass die Ankunftsländer den Geflüchteten einen Asylantrag ermöglichen müssen. Damit die Länder an den EU-Außengrenzen nicht mit Geflüchteten überfordert sind, sollen die Binnenländer zusammen 30.000 von ihnen aufnehmen. Das sind aber viel zu wenige. Zählt man Norwegen und die Schweiz mit, sind letztes Jahr fast eine Million Asylanträge in Europa eingegangen (ohne die Flüchtlinge aus der Ukraine). Vielleicht werden sich die Außenländer über Dublin hinwegsetzen und die Fliehenden nach Deutschland durchwinken. Dann sind aber in Deutschland die Rufe zu erwarten, Fliehende wieder nach Italien und Griechenland abzuschieben.

Sichere Drittstaaten?

Der Streit zwischen den EU-Staaten um die Geflüchteten ist abzusehen, und das unwürdige Hin und Her werden die Geflohenen ausbaden müssen. Das ist zugleich Wasser auf die Mühlen der Rechtspopulisten. Sie definieren ja die Flüchtlinge erstens als das entscheidende Problem und zweitens die EU als unfähig.

Als Alternative zu diesem innereuropäischen Streit steht den Ländern an der europäischen Außengrenze die Möglichkeit offen, Flüchtlinge abzuschieben, die über vermeintlich sichere Transitländer nach Europa gekommen sind. Laut dem Reformvorhaben kann Griechenland etwa Flüchtlinge aus Syrien abschieben, wenn sie über die Türkei eingereist sind. Noch gilt die Türkei als sicherer Drittstaat, doch im jüngsten Wahlkampf haben sich sowohl der türkische Präsident als auch sein Herausforderer für die Abschiebung der syrischen Flüchtlinge ausgesprochen. Irgendein Transitland wird man aber als sicher erklären können. Wenn das sich aber weigert, die Flüchtlinge aufzunehmen, werden sie in Elendslagern wie Moria versauern.

Alle Rechtsmittel?

Landet jemand im Sammelzentrum, sinken die Chancen zusätzlich, dass er oder sie Asyl erhält. Die EU-Menschenrechtskonvention sieht für Konfliktfälle eine Einzelfallprüfung vor, doch das ist innerhalb der vorgesehenen zwölf Wochen nicht möglich. Werden die Geflüchteten in den Lagern ausreichend Zugang zu Anwältinnen und Anwälten sowie zu Übersetzungsdiensten haben?

Auch ist nicht absehbar, dass man Gerichte bewegen könnte, ihre Entscheidung noch einmal zu überdenken. In Deutschland führt eine erneute Beurteilung immer wieder dazu, dass ein Gericht den abgelehnten Asylantrag doch noch für begründet hält. Das ist auch der Sinn des Kirchenasyls. Mit der Asylverschärfung entfiele auf weite Strecken die Möglichkeit, dass sich die Justiz selbst korrigiert. Die Frage wird sich stellen, ob Europa sein Asylrecht eigentlich ernst nimmt.

Ausblick

Weil die Asylreform zu vielen Geflüchteten die Perspektive eines fairen Asylprozesses verweigert, wird die Nachfrage nach Schleusern steigen, die Flüchtlinge abseits der regulären Grenzübergänge in das Gebiet der EU schmuggeln. Denn teils werden in den regulären Asylverfahren die Geflüchteten in Sammellagern nicht ausreichend angehört; teils werden die Außenländer mit den Asylbewerbern überfordert sein, die nicht ins Sammellager mussten, die Griechenland und Italien aber nicht verlassen können ("Dublin"). Die Asylverschärfung wird absehbar scheitern. Hinzu kommt, dass die Reform keine neuen Ansätze in der Bekämpfung der Fluchtursachen umfasst.

Auch politisch ist diese Entwicklung fatal. Man wird die Außengrenzen noch stärker als bisher militarisieren, also die Option Trump wählen. Damit verschiebt sich die Asylproblematik zu einem Konflikt zwischen Ordnungskräften und Schleusern, den Europa nicht gewinnen kann. Es werden sich immer irgendwelche Orte finden, an denen Schleuser Flüchtlinge irregulär über die europäischen Grenzen bringen. Der lachende Dritte ist der Rechtspopulismus, der die Probleme definiert, wie die Politik sie dann lösen muss, und so die Regierung vor sich hertreibt. Andere politische Probleme wie Fachkräftemangel, Alterung der Gesellschaft und Landflucht werden dagegen unter den Tisch gekehrt.

Zugegeben: Wir können natürlich nicht so tun, als ob der bisherige Stand der Asyl-Frage in irgendeiner Form befriedigend wäre. Selbstverständlich besteht Handlungsbedarf. Zugleich fehlt innerhalb Europas einfach die Solidarität, die Asyl-Frage konstruktiv anzugehen. Das bringt uns zurück zu Matthäus 25: "Was ihr getan habt einem von diesen meinen geringsten Brüdern, das habt ihr mir getan."

Natürlich müssen sich Christ:innen für humanitäre Anliegen in der Asyl-Frage stark machen. Und leider scheint es, dass wir – gemessen am Maßstab von Matthäus 25 – nicht ohne Schuld bleiben. Aber vielleicht wäre es besser und auch politisch glaubwürdiger, gerade das einzugestehen und nicht so zu tun, als werde man die Lage mit Sammellagern an den Außengrenzen schon in den Griff bekommen. Wäre es undenkbar, dass die Bundesregierung zugibt: Die Asylfrage ist ein vertracktes Problem, für das es kein einfaches Patentrezept gibt – solange sie aber weiterhin unter Bürger:innen für humanitäre Perspektiven wirbt?