Vier Frauen und ein kleines Mädchen reisen in einem Campingbus quer durch Europa: Als Spielfilmstoff wäre das nur interessant, wenn das erwachsene Quartett unterwegs ungewöhnliche Begegnungen und Erlebnisse hätte; am besten inklusive einer Romanze. Als Thema eines zudem vergleichsweise ereignisarmen Dokumentarfilms klingt der Inhalt dagegen nicht sonderlich spannend, zumal sich Regisseurin Afraa Batous darauf beschränkt, Momentaufnahmen aneinanderzureihen.
Tilmann P. Gangloff, Diplom-Journalist und regelmäßiges Mitglied der Jury für den Grimme-Preis, schreibt freiberuflich unter anderem für das Portal evangelisch.de täglich TV-Tipps und setzt sich auch für "epd medien" mit dem Fernsehen auseinander. Auszeichnung: 2023 Bert-Donnepp-Preis - Deutscher Preis für Medienpublizistik (des Vereins der Freunde des Adolf-Grimme-Preises).
Ungewöhnlich ist auch, dass sich die Bildgestaltung – die Mitwirkenden haben offenbar vielen Szenen selbst gedreht – bewusst über typische Seherwartungen hinwegsetzt: Der Bus fährt von Berlin nach Griechenland, perfekte Voraussetzungen also für ein typisches Roadmovie mit schönen Landschaftsaufnahmen. Die Kamera schaut aber meistens nicht hinaus, sondern hinein; wenn es dunkel ist, hört man die Frauen nur, sieht aber nicht, wer gerade spricht.
Diese optische Reduziertheit hat sichtlich Methode, denn sie gilt auch für die Außenaufnahmen. Eines Morgens, die Reisenden sind mittlerweile in der Schweiz, spricht eine der Frauen von dem eindrucksvollen Ausblick, der sich ihr nach dem Aufstehen dargeboten habe; zu sehen ist er nicht. Wenn Batous doch mal die Umgebung zeigt, dann bloß als Ausschnitt: Im Hintergrund ragt vermutlich majestätisch ein Berg in die Höhe; eine Szenerie, die sich ein Spielfilmteam nicht entgehen lassen würde.
Die Regisseurin wollte wohl, dass nichts und niemand von ihren Protagonistinnen ablenkt, zu denen sie selbst gehört, aber das Stilmittel des Details zieht sich durch den gesamten Film: Als die Frauen eine Autofähre benutzen, zeigt die Kamera nicht das Schiff, sondern bloß ein Rettungsboot. Das ist kein Zufall: Sie stammen alle aus Syrien und haben ihr Land zum Teil vor vielen Jahren verlassen. Die Route in den europäischen Süden über Mailand und Athen entspricht dem Fluchtweg ihrer Landsleute, wenn auch in umgekehrter Richtung.
Wie sich das Quartett gefunden hat, wird nicht erzählt. Der Film beginnt mit einer digitalen Viererkonferenz, die bereits vorwegnimmt, dass "Die Sonne ist überall gelb" kein optischer Leckerbissen sein wird. Tatsächlich kommt es vor allem auf das gesprochene Wort an, selbst wenn die seit geraumer Zeit in Berlin lebende Regisseurin, die ihren Abschluss an der Filmakademie "Konrad Wolf" in Potsdam gemacht hat (die Filmuniversität Babelsberg fungierte auch als Koproduzentin), gelegentlich Augenblicke des Schweigens einstreut. Fast schon gewagt wirkt eine Einstellung, in der die Kamera auf dem Kopf steht, sodass der Himmel unten und das Meer oben ist.
Natürlich sitzen die vier ohnehin nicht immer im Auto. Zwischendurch entspricht der von der ZDF-Redaktion "Kleines Fernsehspiel" finanzierte Film auch mal erzählerischen Konventionen, wenn die einen Probleme haben, bei starkem Wind ein Zelt aufzubauen, oder die anderen in der Dunkelheit nicht den Weg zum Camper finden. In Rom werfen sie alle gleichzeitig eine Münze in die Fontana di Trevi.
Andere Ausflüge sind ungleich ernster: Im Bahnhof von Mailand erinnert sich die Älteste, wie sie einst den erlösenden Anruf bekommen hat, dass ihre Familie hier in Norditalien eingetroffen sei. In Athen brechen einige der Frauen in Tränen aus, weil das Straßenbild so sehr ihrer Heimat ähnelt.
Die Flucht ist wenig überraschend das dominierende Thema des Films. Sara, die Mutter des kleinen Mädchens, erzählt ihrer Tochter, wie sie und andere mehrmals vergeblich versucht haben, mit Booten Griechenland zu erreichen. In langen Monologen gibt die Filmemacherin den Begleiterinnen Gelegenheit, Einblicke in ihr Innenleben zu gewähren.
Dabei geht es unter anderem auch um einen Zwiespalt: Die Frauen empfinden durchaus Schuldgefühle, weil sie Syrien verlassen haben, anstatt sich der Revolution anzuschließen. Batous singt ein Protestlied, in dem es heißt "Der Tod bringt uns nicht zum Schweigen". Dieses Lied, sagt sie, hätte sie 2012 singen sollen. Aber was wäre aus ihr und den anderen geworden, wenn sie geblieben wären? Und wann können sie zurückkehren, um die Zukunft des Landes mitzugestalten?
Wie die Reise zu Ende gegangen ist, bleibt offen, die Erzählung endet etwas abrupt. Es bleiben Erkenntnisse wie jene, dass Frieden kein Zustand ist, sondern ein ständiger Prozess; und dass Orte ebenso wie Menschen Stimmen haben und Jahre später noch mit uns sprechen. "Die Sonne ist überall gelb" ist auch und vor allem ein Film über Heimatlosigkeit.