Die EU-Innenminister haben sich am Donnerstag nach langen Verhandlungen auf eine gemeinsame Position zur Reform des europäischen Asylsystems (GEAS) geeinigt. Die Gesetzesvorschläge sollen die Zahl der Asylbewerber reduzieren und Abschiebungen vereinfachen. Daneben soll ein Solidaritätsmechanismus eine fairere Verteilung von Schutzsuchenden innerhalb der EU ermöglichen. "Uns ist eine historische Entscheidung gelungen", erklärte Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) im Anschluss an die Verhandlungen am Donnerstagabend in Luxemburg.
Ein zentraler Punkt der umfassenden Reformpläne ist die Einführung von Grenzverfahren an der EU-Außengrenze. Diese sollen den Asylverfahren vorgeschaltet werden. Dabei wird zunächst formal geprüft, ob Schutzsuchende einen Asylantrag stellen dürfen. Laut EU-Kommission sollen Menschen währenddessen nur im Notfall inhaftiert werden. Migrationsexperten halten haftähnliche Bedingungen für realistisch.
Die Bundesregierung hatte sich für die Grenzverfahren ausgesprochen, wollte aber unbegleitete Minderjährige sowie Familien mit minderjährigen Kindern von den Verfahren ausnehmen. Faeser war es in den Verhandlungen nur gelungen, den Schutz von unbegleiteten Minderjährigen durchzusetzen.
Am Donnerstagabend erklärte sie, Deutschland, Irland, Luxemburg und Portugal seien Ausnahmen für Minderjährige und ihre Familienangehörigen weiterhin wichtig. "In den Trilog-Verhandlungen werden wir uns dafür einsetzen", sagte sie. Gemeint sind damit die nun folgenden Verhandlungen zwischen den EU-Staaten und dem EU-Parlament auf den genauen Wortlaut des Gesetzes.
Asylbewerber:innen sollen nach den Grenzverfahren schneller abgeschoben werden können. Nach dem Entwurf der Innenminister und Innenministerinnen können sie dabei auch in Transitstaaten zurückgeschoben werden. Entscheidend sei eine "Verbindung" der Person zu dem sicheren Drittstaat. Was das Kriterium für diese Verbindung ist - ein ehemaliger Wohnort, Familienangehörige oder der bloße Aufenthalt - könne der EU-Staat selbst definieren, wie die schwedische Migrationsministerin Maria Malmer Stenergard erklärte.
Die Einigung sieht auch einen Solidaritätsmechanismus vor, um Schutzsuchende gerechter auf die EU-Staaten zu verteilen. Geraten Staaten unter "hohen Migrationsdruck", können sie diesen Mechanismus auslösen. Pro Jahr sollen so 30.000 Menschen auf andere EU-Staaten umgesiedelt werden können. Staaten, die keine Migranten aufnehmen wollen, können stattdessen Ausgleichszahlungen in Höhe von 20.000 Euro pro abgelehnter Person leisten.
"Diese Einigung hat einen zu hohen Preis", erklärte direkt nach der Einigung der Sprecher der deutschen Grünen im EU-Parlament, Rasmus Andresen. Die Mitgliedsstaaten hätten sich auf eine Politik verständigt, die Menschenrechte massiv abbaut und nicht in der Lage sei, die Herausforderungen in der Asylpolitik zu bewältigen. "Es ist beschämend, dass auch die deutsche Innenministerin Nancy Faeser mit Zustimmung der Ampel-Koalition diesem Vorschlag zugestimmt hat", sagte er. Nach der Einigung unter den Innenministern im Rat der EU können die Verhandlungen mit dem EU-Parlament über das Reformpaket beginnen.
Gemischte Reaktionen zu Asylkompromiss
Der Asylkompromiss der EU-Innenminister stößt auf Lob, aber auch auf scharfe Kritik. Das zivilgesellschaftliche Bündnis Seebrücke sprach von einer "menschenfeindlichen Reform des europäischen Asylsystems". Es handele sich um die "schärfsten Asylreformen seit Jahrzehnten". Hingegen lobte der Vorsitzende der Europäischen Volkspartei (EVP), Manfred Weber, den Asylkompromiss. "Wenn es uns gelingt, eine europäische Rechtslage zu schaffen, die wirklich funktioniert, dann werden die Zahlen (der Flüchtlinge) deutlich zurückgehen", sagte er am Freitag im Bayerischen Rundfunk (Bayern 2).
Für jeden, der versuche, illegal nach Europa zu kommen, sei künftig "an der Außengrenze Schluss", sagte Weber. Es werde Schnellverfahren und schnelle Rückführungen geben. Damit seien aber nicht alle Probleme gelöst. Nötig seien auch Lösungen mit den Nachbarländern. "Wir brauchen jetzt für diesen Sommer ein Abkommen mit Tunesien, damit wir die Zahlen in den Griff kriegen", erklärte der bayerische EU-Politiker. Das Grundprinzip "Wir wollen helfen" stehe außer Frage, betonte Weber. Er forderte indes, zwischen wirklich Verfolgten und Menschen ohne Bleibegrund zu unterscheiden.
"Es macht uns fassungslos, dass die deutsche Innenministerin diese menschenfeindliche Reform des europäischen Asylsystems als historisch und solidarisch bezeichnet", erklärte Maria Sonnek vom Bündnis Seebrücke. "Die Folgen sind klar: Die Entmenschlichung an den europäischen Außengrenzen wird zur neuen Rechtsform Europas erklärt", kritisierte Sonnek. Das zivilgesellschaftliche Bündnis Seebrücke setzt sich für Seenotrettung, für sichere Fluchtwege und für die dauerhafte Aufnahme von geflüchteten Menschen in Deutschland ein.