Eine voll verschleierte Frau mit Humor

Foto: Getty Images/Lonely Planet Image/Felix Hug
Eine voll verschleierte Frau mit Humor
Die Muslime haben Probleme mit Frauen und die Christen beten mehrere Götter an. Solche stereotypen Vorurteile aufzubrechen und abzubauen, hat sich der Rat der Religionen in Frankfurt vorgenommen. Ilona Klemens ist Geschäftsführerin des Rates und erzählt im evangelisch.de-Interview, wie man sich in religiöser Toleranz üben kann.
06.11.2012
evangelisch.de

Den Rat der Religionen gibt es seit dem Jahr 2009. Wie klappt es mit der Toleranz?

Ilona Klemens: Wir haben aus der Erfahrung im interreligiösen Dialog in Frankfurt Leitlinien entwickelt, denn Toleranz braucht Regeln, damit das Miteinander funktioniert. So ist es in jeder Gemeinschaft. Im Rat haben wir entsprechend auch Verpflichtungen formuliert, die jeder einhalten soll. Toleranz ist ein großes Wort, man muss es füllen.

Wie füllen sie das Wort Toleranz in der Praxis? 

Klemens: Konkret muss man beispielsweise darauf achten, wie man miteinander spricht, dass man dem anderen zuhört, einander ausreden lässt. Außerdem muss ich versuchen den anderen so zu verstehen, wie er sich selbst versteht und nicht wie ich denke, dass er sei. Denn das führt immer wieder zu Missverständnissen und Konflikten, wenn der andere sich nicht richtig wahrgenommen fühlt. Das muss man einüben; ein gutes Miteinander muss geübt werden. Gerade wenn es auch interreligiöses Miteinander ist. Da sind wir immer am Lernen. Das ist ein Prozess, der da stattfindet. 

"Pauschalisierungen sind einfach nicht hilfreich"

Was sollte man im Umgang miteinander vermeiden? 

Die Geschäftsführerin des Rates der Religionen Ilona Klemens. Foto: Rolf Oeser

Klemens: Man sollte pauschalisierende Sätze wie: "DIE Muslime sind" oder "DIE Christen sind" vermeiden. Wenn man eine Frage oder ein Problem hat, sollte man es so fomulieren, dass der andere es gut hören kann und sich nicht unter ein großes kollektives Vorurteil gestellt sieht. Zu den meisten Missverständnissen kommt es bei Veranstaltungen zwischen Christen und Muslimen. Da wird sehr schnell sehr kollektiv dahergeredet: "Ihr Muslime, ihr habt ja ein Problem mit der Gewalt und ihr unterdrückt die Frauen". Oder: "Ihr Christen, ihr nehmt ja eure Religion nicht ernst, ihr glaubt an drei Götter." Es begegnen einem sowohl theologische als auch praktische Vorurteile. Das macht die Welt natürlich einfach, aber das führt dazu, dass Leute dicht machen. Sie wollen nämlich als Person, als Individuum wahrgenommen werden und da sind solche Pauschalisierungen einfach nicht hilfreich. Weil es für einen selbst nicht stimmt. 

Wie verstehen sich die Religionen in Frankfurt untereinander? 

Klemens: Dialog findet ja nicht zwischen Religionen sondern zwischen Menschen statt. Und ob der Dialog funktioniert, hängt von diesen Menschen ab und nicht von den Religionen. Die Religion als abstrakte Größe gibt es meines Erachtens nicht. Natürlich kann man etwas über Religion in Büchern lesen, aber gelebte Religion heißt, die einzelnen Menschen fühlen sich einer Religion zugehörig und verstehen sie so oder so und leben sie so oder so. Das kann individuell sehr verschieden sein. Deswegen gibt es ja auch innerhalb der Religionsgemeinschaften eine große Vielfalt, die wir auch im Rat versucht haben abzubilden. Und die 23 Menschen, die im Rat der Religionen Mitglieder sind, da haben wir einfach großes Glück, die letzten drei Jahre, dass es wirklich im Großen und Ganzen sehr gut funktioniert hat.

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Warum funktionieren die Vertreter der Religionen im Rat so gut miteinander?

Klemens: Ich glaube, dass liegt eben auch an unseren Regeln. Ganz wichtig ist zum Beispiel, dass man sich im Rat nicht untereinander missioniert. Also dass man nicht versucht den anderen von seiner Wahrheit zu überzeugen. Jeder darf seine Wahrheit für die einzige halten. Der Wahrheitsanspruch, den jede Religion in der ein oder anderen Form hat, wird nicht in Frage gestellt. Die eigene Wahrheit darf dem anderen nicht übergestülpt werden. Wir akzeptieren, dass jeder seinen Wahrheitsanspruch hat, dass es eine Vielfalt der Religionen gibt und dass keiner Herrschaftsansprüche formulieren darf. Und dieser Umgang miteinander hat sich bewährt.

"Toleranz ist ein Minimalbegriff"

Auf welcher Ebene arbeitet man zusammen, wenn jeder seine eigene Wahrheit hat? 

Klemens: Der Rat der Religionen ist da ein spezifisches interreligiöses Gremium, weil es anders als andere Dialoginitiativen nicht die theologischen Inhalte ins Zentrum stellt, sondern wir fragen: Was kann unser gemeinsamer Beitrag in der Gesellschaft sein? Also es ist ein gesellschaftspolitisches Gremium, was sich darum kümmert, wie die Religionsgemeinschaften einen guten Beitrag für das Miteinander in einer Gesellschaft leisten können. Wir haben uns bei der Gründung des Rates an englischen Modellen orientiert. In England ist der Begriff der social cohesion, ein wichtiger soziologischer Begriff. Es geht um den gesellschaftlichen Zusammenhalt. Social cohesion ist die Fähigkeit einer Gesellschaft, die Teilhabe aller Menschen gleichberechtigt zu ermöglichen. Das heißt, man versucht  Diskirminierung und Marginalisierung abzubauen und so etwas wie eine Balance in der Gerechtigkeit herzustellen. 

Welche Themen wurden im Rat kontrovers behandelt?  

Klemens: Bei der Beschneidungsdebatte wurde deutlich, dass es nicht eine Stimme gibt. Sondern es gab innerhalb der Religionen verschiedene Positionen. Wir haben uns zwar gegen das Beschneidungsverbot positioniert, aber es gab eben auch die Stimme aus der Sikh-Relgion, wo es heißt: "Unsere Tradition verbietet die Veränderung des Körpers, das dürfen wir nicht". Deswegen können wir als Rat auch nicht ohne weiteres sagen, dass sie für die Ermöglichung der Beschneidung sind. Das musste man stehenlassen und auch der Öffentlichkeit klar machen, es gibt nicht eine Position, sondern es gibt mehrere. Wir haben uns zwar tendeziell für die eine entschieden, aber die andere gibt es eben auch und wir respektieren das. Außerdem nehmen wir uns in Podien Themen an wie Fundamentalismus und Rechtsradikalismus. Wobei der Rat sagt: Alles, was wir machen, muss einen religiösen und einen lokalen Bezug haben. Einen Frankfurtbezug. Sonst könnten wir jeden Tag was sagen.  

Interreligiöse Toleranz heißt also im Dialog miteinander zu bleiben? 

Klemens: Ja, natürlich. Toleranz kann nicht sein: Ja, du bist so wie du bist und ich bin so wie ich bin und dann gehen wir jeder unserer Wege. Also hinter Toleranz steckt für mich ein wirkliches Interesse. Toleranz ist aber so ein Minimalbegriff, also das ist das allermindeste was man voneinander erwarten kann. Es gibt auch Dinge, die wir nicht tolerieren können. Deswegen nehmen wir ja auch Stellung gegen Rechtsterrorismus und religiösen Extremismus. Wir formulieren auch immer wieder Grenzen dessen, was tolerierbar ist. 

"Christen sind zahlen- und ressourcenmäßig überlegen"

Wenn interreligiöse Projekte angeleiert werden: Wann funktionieren sie und wann nicht? 

Klemens: Wenn es gelingen soll, dann muss man alle beteiligen. Wenn ich ein Projekt mache, muss es auf Augenhöhe sein. Man muss gucken, dass man irgendwie eine Balance herstellt. Strukturell ist das eine Herausforderung, weil natürlich die Christen zahlen- und ressourcenmäßig besser dastehen als andere Religionsgemeinschaften, die kleiner sind und nicht so viele materielle Ressourcen haben. Die Christen sind da im Vorteil und dadurch gibt es immer noch eine strukturelle Ungleichheit. Das wird sich sicherlich in Zukunft ändern, wenn sich die anderen Religionen institutionalisieren. Dann ist es noch ein Problem, dass auf christlicher Seite Hauptamtliche sitzen und auf der anderen Seite ehrenmatliche. Trotzalledem muss sich ein Miteinander und eine Beziehungsebene entwickeln. Dass man sich vertraut. Es muss auch klar sein: Was will man mit dem interreligiösen Dialog? Was sind die Erwartungen? Und wenn man sich darüber nicht austauscht, was man denn nun eigentlich will mit der oder der Veranstaltung oder Gruppe, dann wird es schwierig. 

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Was empfinden sie als größte Hürde für interreligiöse Toleranz? 

Klemens: Ich glaube, dass der interreligiöse Dialog, den ich ja im wesentlichen als Beziehungsgeschehen beschreiben würde, dass der gelingt oder auch nicht gelingt, so wie alle Beziehungen gelingen oder nicht gelingen. Bin ich in der Lage mich auf den anderen einzulassen und ihn auch so zu nehmen wie er ist? Oder bin ich ständig nur darauf bedacht ihm meine Wahrheit und meine Vorstellung überzustülpen? 

Was kann man für mehr interreligiöse Tolaranz tun?

Klemens: Toleranz im Sinne eines guten Miteinanders ist nicht einfach zu haben. Es gibt auch Phänomene, die mir Angst machen. Zum Beispiel die Salafisten. Trotzdem ist es wichtig, sich selbst zurückhalten und seine Fantasien zügeln. Gottvertrauen und Vertrauen in die Menschen sind hier besonders wichtig. Ich halte beispielsweise nichts von der Vollverschleierung. Auf einer Rolltreppe habe ich aber mal eine voll verschleierte Frau kennengelernt, weil sich ihr Schleier in der Treppe verfangen hat. Es war eine lustige Situation, die Frau hatte Humor und sprach perfektes Deutsch. Da ist mir mal wieder klar geworden: Es steckt immer ein Mensch dahinter. Man sollte deshalb auch in anderen Situationen versuchen, den Menschen zu sehen, sein Menschsein zu achten und sich immer selbst und seine eigenen Bilder und Klischees im Kopf hinterfragen.

Als Christin interessieren mich Gottes Geschöpfe ja nicht, weil sie Christen sind. Man muss sich aber dafür stark machen, das andere zu akzeptieren und keine Angst davor zu haben. Toleranz ist mir außerdem zu wenig. Im Rat der Religionen setzen wir uns auseinander und füreinander ein. Die Religionen haben sehr starke Traditionen Gemeinschaft zu gestalten und Orientierung zu geben. Und: es geht nicht nur um Toleranz zwischen den Religionen. Atheistische Gruppen haben beispielsweise die Beschneidungsdebatte als Hebel benutzt, alle Religionen generell anzugreifen. Es gibt aber auch intolerante Anteile in allen Religionen, in denen der Wahrheitsanspruch exklusiv zusammen mit einem Herrschaftsanspruch verstanden wird. Der Rat will das gemeinsam überwinden.