Ein Film über den Alltag, hat Alfred Hitchcock sinngemäß mal gesagt, sei viel zu langweilig, um die Menschen ins Kino zu locken. Viele namhafte Regisseure gerade aus Europa haben versucht, ihn zu widerlegen, und sind für ihre Beziehungs- und Familiengeschichten oft genug mit allen großen Filmpreisen ausgezeichnet worden. Eine Zeitlang hatten diese Dramen sogar einen gewissen Erfolg beim Publikum.
Gerade bei deutschen Produktionen ist der Zuspruch mittlerweile allerdings äußerst überschaubar: Im Kino kommen solche Filme gerade mal auf ein paar tausend Zuschauer, im Fernsehen laufen sie am späten Abend. Beides gilt auch für "Alles ist gut" (2017). Eva Trobisch (Buch und Regie) erzählt in ihrem Langfilmdebüt die Geschichte von Janne (Aenne Schwarz), die nach einer Party betrunken einen Mann mit nach Hause nimmt. Martin (Hans Löw) betrachtet das als Einladung zum Sex, lässt sich auch nicht abweisen und vergewaltigt sie schließlich.
Fortan beobachtet der Film, wie Janne mit dem Erlebnis umgeht, wobei "beobachten" buchstäblich zu verstehen ist: Die Kamera (Julian Krubasik) erzählt die Handlung nicht, sie schaut schlicht dabei zu, wie sich die Dinge entwickeln. Janne ist ohnehin in einer schwierigen Situation: Der Kleinverlag, den sie mit ihrem Freund Piet (Andreas Döhler) betrieben hat, musste Insolvenz anmelden. Sie verschweigt Piet nicht nur die Vergewaltigung, sondern auch das Job-Angebot, das ihr ein Freund gemacht hat: Robert (Tilo Nest) sucht eine Vertretung für seine Cheflektorin. Janne nimmt an, nicht ahnend, dass sie nun ständig mit der Erinnerung an die Vergewaltigung konfrontiert wird, denn Martin entpuppt sich als Roberts Schwager und arbeitet ebenfalls für den Verlag.
Tilmann P. Gangloff, Diplom-Journalist und regelmäßiges Mitglied der Jury für den Grimme-Preis, schreibt freiberuflich unter anderem für das Portal evangelisch.de täglich TV-Tipps und setzt sich auch für "epd medien" mit dem Fernsehen auseinander. Auszeichnung: 2023 Bert-Donnepp-Preis - Deutscher Preis für Medienpublizistik (des Vereins der Freunde des Adolf-Grimme-Preises).
Der Titel ist natürlich purer Sarkasmus, denn gut ist in Jannes Leben überhaupt nichts mehr. Trotzdem versucht sie, ihr Dasein fortzusetzen, als wäre nichts geschehen: Sie will sich nicht als Opfer sehen und auch von ihrer Umwelt nicht so behandelt werden. Deshalb lässt sie Martin, der mit ihr über den Vorfall reden will, kühl abblitzen. Später verhält sie sich ihm gegenüber auf eine Weise, die durchaus den Tatbestand der sexuellen Belästigung am Arbeitsplatz erfüllt, aber das ist natürlich nichts im Vergleich zu dem, was er ihr angetan hat.
Burgtheater-Schauspielerin Aenne Schwarz ist für ihre Rolle mehrfach ausgezeichnet worden, darunter auch, obschon bereits Mitte dreißig, mit einem Nachwuchspreis. Tatsächlich bietet sie vor allem eine gute Projektionsfläche: Wo in einem Roman eine Vielzahl innerer Monologe über Jannes Gemütszustand informieren würden, da beschränkt sich Trobisch darauf, das Gesicht ihrer Hauptdarstellerin zu zeigen. Auf Dauer ist das allerdings zu wenig, zumal die Handlung äußerst überschaubar bleibt: Über weite Strecken passiert schlicht nichts, sodass sich die 90 Minuten zwischendurch ziemlich ziehen. Auf Musik hat Trobisch gänzlich verzichtet, was den quasidokumentarischen Charakter ihres Films im Zusammenspiel mit der Kameraarbeit noch verstärkt.
Spätestens die Vergewaltigungsszene wird ohnehin viele Zuschauer verstören: Janne lässt die Penetration über sich ergehen wie eine Behandlung beim Zahnarzt; anschließend tut sie so, als sei nichts geschehen, und geht zur Tagesordnung über. Auch sonst lädt das Spiel von Schwarz wenig zur Identifikation ein, zumal Janne generell alles über sich ergehen zu lassen scheint: die Gespräche mit ihrer anstrengenden Mutter Sabine (Lina Wendel) ebenso wie die Auseinandersetzungen mit Piet. Dessen Unmut immerhin ist nachvollziehbar: Dass Janne schwanger ist, erfährt er auf Umwegen, weil sie nach der Abtreibung abgeholt werden muss und Sabine keine Zeit hat.
Bei aller inhaltlichen Freudlosigkeit kommt erschwerend hinzu, dass Trobisch dem Film keine flüssige Struktur gegeben hat; sie reiht Szene an Szene. Geduldig schaut der Film in langen Einstellungen dabei zu, wie Janne ihr Leben lebt; aber manchmal sitzt sie einfach nur da. Dazu passt, dass "Alles ist gut" auch keinen richtigen Schluss hat; irgendwann hört die Geschichte einfach auf.
Die Kritiken zum Kinostart waren trotzdem ausgesprochen positiv: Der Film, hieß es, leuchte Jannes Verdrängungsstrategien sowie den Konflikt zwischen äußerer Fassade und innerlicher Aufwühlung überzeugend aus. "epd film" lobte, Trobisch bringe die "#MeeToo"-Debatte auf den Punkt, obwohl der Film vorher entstanden sei: "Das ist natürlich alles andere als im herkömmlichen Sinne unterhaltsam, bietet aber profunde Gedanken über die möglichen Zusammenhänge zwischen Schweigen und Gewalt in einem ökonomisch kontextualisierten Geschlechterverhältnis."