Fallstricke und Klischees: Deutsche Medien und der Islam

Foto: epd-bild / Ralf Maro
Der Islam ist für viele ein Buch mit sieben Siegeln. Auch in den Medien wird dieses Bild transportiert.
Fallstricke und Klischees: Deutsche Medien und der Islam
Wütende Muslime mit Bärten, Frauen in Burkas und Gewalt: solche Bilder gibt es inflationär in allen Medien und sie transportieren – glasklar – Klischees, die mit dem Leben der Mehrheit ader Muslime nichts zu tun haben. Klischees, die diejenigen diskriminieren, die seit dem 11. September 2001 sowieso zunehmend diskriminiert werden. Ohne jemanden durch Positionen zu verletzen, konnte die Debatte über die Beschneidung männlicher Kinder aber in den Medien nicht geführt werden, denn das Thema war eben kontrovers. Für deutsche Medien bietet die Berichterstattung über Muslims und den Islam berufsethische Fallstricke.

Nurcan Mert hat im Stillen von 30 runtergezählt. Damit sie nicht losschreit im Kindergarten. Oder anfängt zu weinen. Ihr Sohn hat sich geprügelt und die Erzieherin hat sie gefragt, ob sie das normal findet. "Ich sehe rot bei solchen Sätzen", sagt die Dortmunderin. "Das fragt sie nur, weil wir Muslime sind" – das ist ihr durch den Kopf geschossen. Sofort. Und ohne Fragezeichen. "Der Islam wird ja auch in der Öffentlichkeit ständig mit Aggressivität in Verbindung gebracht", sagt sie. "Das merkt man in Deutschland überall an den Leuten."

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Und an ihr selbst merkt sie es auch. Deshalb hat sie ja gezählt – und dann ruhig gesagt, dass sie Prügeln natürlich nicht in Ordnung findet und natürlich mit ihrem Sohn über den Vorfall reden wird. "Es ist nicht richtig, wie empfindlich ich darauf reagiere", sagt die Rechtsanwaltsgehilfin. "Aber zur Zeit begegnet uns an jeder Ecke Diskriminierung." Auf journalistische Medien hat sie schon keine Lust mehr. "Aggressive Männer mit Bärten, Kindesmisshandlung durch Beschneidung – was kommt als nächstes?"

Islamfeindlichkeit gibt es überall

Fast 90 Prozent der Muslime in Deutschland und Großbritannien fühlen sich durch die etablierten Medien nicht repräsentiert und klagen über eine respektlose Darstellung des Islams. Rund 60 Prozent der deutschen Muslime fühlen sich sogar durch Berichte über Islamfeindlichkeit bedroht, zeigt eine aktuelle Studie deutscher und britischer Forscher im Auftrag der Vodafone-Stiftung. "Die Integration in die deutsche Gesellschaft ist eigentlich gestiegen. Nachweislich", sagt Andreas Zick vom Institut für interdisziplinäre Gewalt- und Konfliktforschung der Uni Bielefeld, der an der Studie gearbeitet hat. "Deutsche Muslime sind nicht abgehängt, integrationsunwillig und sie nutzen auch ganz selbstverständlich deutsche Medien." Mit Bildungsgrad und der Teilhabe an der deutschen Gesellschaft steige aber auch die Sensibilität für Diskriminierung. Und die ist real, sagt der Sozialpsychologie. "Überall in Europa gibt es Islamfeindlichkeit in den Gesellschaften."

 

Das zeigt auch die Vergleichsstudie der Bielefelder Konfliktforscher: Über die Hälfte der Deutschen sehen den Islam als eine Religion der Intoleranz – in anderen europäischen Ländern ist das ähnlich. "Das ist das Erbe des 11. Septembers", sagt Zick. "In der öffentlichen Wahrnehmung werden permanent Zusammenhänge zwischen Islam und Terrorismus hergestellt." Und die stereotypen Bilder findet er oft in den Medien. Vor allem in Bildern. "In Deutschland wurde friedlich gegen den Mohammed-Film protestiert. Die dominierenden Bilder waren dennoch Demonstrationen zorniger bärtiger Männer", sagt Zick. "Das ist für die muslimische Bevölkerung hier sehr verletzend." Insgesamt seien die beiden letzten öffentlichen Islamdebatten – die zur Beschneidung und die über den Mohammed-Film – durchaus differenziert geführt worden, von den meisten Medien. "Jenseits solcher Debatten spiegelt sich das muslimische Leben aber kaum wider und das entspricht nicht dem Alltag und verfestigt die vorhandenen Vorurteile."

Bei heiklen Themen wird eher nicht berichtet

"Angst vor neuer Angriffswelle auf westliche Botschaften", titelte Süddeutsche.de. "Wütender Mob zündet Deutsche Botschaft in Sudan an", die Hamburger Morgendpost und "Vergeltung für Mohammed-Film", der Focus. Es gibt aber auch nachdenkliche Töne unter den tausenden Schlagzeilen, auch von den viel gescholtenen Boulevard-Medien: "Ist die Gewalt gerechtfertig?", fragte die Bild-Zeitung deutsche Muslime – und bildet die Antwort ab: "Nein". Bärtige Aggressive? Fehlen diesmal.

"Journalismus hat nicht die Aufgabe, Positionen zu verschweigen, die geeignet sind, bestimmte Gruppen zu verletzen", sagt Daniel Müller, Medienforscher der Technischen Universität Dortmund. Wenn ein deutsches Gericht in der Beschneidung männlicher Kinder einen Eingriff in die körperliche Unversehrtheit Schutzbefohlener sieht, entsteht zwangsläufig eine Debatte. Und zwar eine, die Positionen enthält, die polarisieren und die jeweils andere Seite verletzen. "Für die Verletzungen kann man aber nicht die Überbringer der Nachricht verantwortlich machen", sagt Müller. "Journalismus soll Öffentlichkeit für Relevantes herstellen – und nicht deeskalierend in sie eingreifen." Viele Journalisten sind aus seiner Sicht vorsichtig, was den Islam angeht. "Bei heiklen Themen wird eher gar nicht berichtet", sagt Müller. "Als der Macher des Mohammedfilms festgenommen wurde, las sich das in vielen Meldungen so, als würde er jetzt für den Film zur Rechenschaft gezogen", sagt der Forscher. "Daran sieht man die Absicht, die Wogen zu glätten – wahr macht es diesen Tenor aber nicht."

Würde über Vorurteile und islamfeindliche Stimmung und Ängste nicht berichtet, gebe es sie ja trotzdem in der Gesellschaft. "Werden sie verschwiegen oder beschönigt, schürt sie das sogar noch", glaubt er. Gerade das Bewusstsein vieler Journalisten über die Islamfeindlich der Gesellschaft bringe sie in eine berufsethische Bredouille. "Aber es geht im Journalismus eben nicht darum, es jedem Recht zu machen."

Negative Berichterstattung dominiert

Darum geht es auch den Redakteuren beim Online-Portal "Muslimische Stimmen" nicht. Eine Plattform für Muslime in Deutschland will das sieben Jahre alte Online-Portal sein. "Wir finden, dass der muslimische Alltag in seinen Facetten in der deutschen Öffentlichkeit oft untergeht", sagt Jan Arnold, im Portal für die Öffentlichkeitsarbeit zuständig.. "Es dominieren in der Islamberichterstattung Bedrohungsszenarien." Gleichzeitig fehlten Berichte über das Zusammenleben verschiedener Kulturen und das alltägliche Leben von Muslimen in Deutschland. "Im Nachrichtenalltag könnten ja auch viel mehr muslimische Stimmen zu hören sein", sagt Arnold. "Stattdessen hört und liest man fast ausschließlich Negatives."

In deutschen Tageszeitungen arbeiten nur etwa ein Prozent Journalisten mit Einwanderungsgeschichte, zeigt eine Studie der Universität Siegen. Viele Forscher sehen darin die Gründe für stereotype Berichterstattung. "Ich versuche selbst etwas gegen das Islambild der Deutschen zu machen", sagt Hakan Yasar. Der Informatiker aus Hamburg schickt täglich über die Sozialen Medien Informationen und Meinungen an seinen Bekanntenkreis. Dass 0,01 Prozent der muslimischen Bevölkerung weltweit an gewalttätigen Protesten gegen den Mohammedfilm teilnimmt, zum Beispiel. "Die Statistik wurde hundertfach über Facebook geteilt", sagt Yasar. "Man hat es zum Glück auch selbst in der Hand, wie man lebt und wahrgenommen wird."