Grundrechte zunehmend unter Druck

Klimaaktivist Simon Lachner
© Lennart Preiss/dpa
Der Umgang der Justiz mit Klimaaktivist:innen sei "teilweise erschreckend", sagt Simon Lachner von der "Letzten Generation".
Grundrechte-Report
Grundrechte zunehmend unter Druck
Juristen beklagen einen wachsenden Druck auf die Grundrechte. Ukraine-Krieg, Armut und Klima-Proteste wirken sich demnach negativ aus. Die Autoren des Grundrechte-Reports sehen eine "Law and Order"-Auffassung des Rechtsstaats auf dem Vormarsch.

Juristen und Grundrechtsexperten kritisieren den Umgang deutscher Behörden mit Klimaaktivisten. Die Verhängung von Präventivgewahrsam gegen die Betroffenen sei nicht mit rechtsstaatlichen Grundsätzen vereinbar, heißt es in dem in Berlin veröffentlichten Grundrechte-Report 2023.

Im Mittelpunkt des Reports unter dem Titel "Krieg, Klima, Krise" stehen Auswirkungen des Ukraine-Kriegs, der Klima-Proteste und wachsender Armut auf die Grundrechte. Der seit 1997 erscheinende Grundrechte-Report wird auch als "Alternativer Verfassungsschutzbericht" bezeichnet.

Die ehemalige Bundesverfassungsrichterin Susanne Baer sagte bei der Vorstellung des Berichts, die Grundrechte stünden derzeit unter Druck. Sie müssten "durchgesetzt werden durch Gerichte, manchmal auch gegen Gerichte". Baer äußerte sich bestürzt über Berichte, nach denen etwa Familiengerichte trotz Verbots noch immer Lügendetektoren einsetzen oder frauenfeindlichen Mustern folgen. Grundrechte würden befürwortet, aber angegriffen und angefeindet.

Simon Lachner von der "Letzten Generation" bezeichnete den Umgang des Rechtsstaats mit Teilnehmern an Protestaktionen als "teils erschreckend". Angeklagte seien bei Verfahren gegen Klimaaktivisten überdies Vorverurteilungen durch die Gesellschaft, Politik und Medien ausgesetzt.

Verschiebung des Rechtsstaats-Begriffs

Die Autoren des Berichts beklagen, der Begriff des Rechtsstaats werde zu einer "Law and Order"-Parole (zu Deutsch: Recht und Ordnung) umgedeutet. Der Rechtsstaat stehe im öffentlichen Bewusstsein immer weniger für die Bindung der Exekutive, der ausführenden Staatsgewalt, an Gesetz, Grundrechte, individuellen Rechtsschutz und unabhängige Gerichte. Heute würde damit vermehrt eine möglichst rasche und harte Strafverfolgung verbunden.

Bürgerrechte und Demokratie müssten gegen diese Verschiebungen verteidigt werden. In diesem Sinne thematisiert der Report behördliche Eingriffe in das Grundrecht auf Versammlungsfreiheit.

Benachteiligung von Geflüchteten

Ein weiterer Schwerpunkt des Reports ist der wachsende Teil der Bevölkerung, der Kosten für Miete und Lebensmittel nicht mehr aufbringen kann. Im Bericht heißt es dazu: "Wenn immer mehr Menschen verarmen, während einige wenige immer reicher werden, steht das in Konflikt mit dem Sozialstaatsgebot und dem Schutz der Würde der Betroffenen."

Die Anwendung der sogenannten Massenzustrom-Richtlinie, die Flüchtlingen mit ukrainischer Staatsangehörigkeit andere und mehr Möglichkeiten eröffne als Geflüchteten aus Drittstaaten, habe zu ungerechtfertigten Benachteiligungen geführt, moniert der Bericht. Darin wird ferner auf missbräuchlichen Einsatz von Abschiebehaft und tödliche Polizeigewalt hingewiesen.

Benjamin Derin vom Republikanischen Anwältinnen- und Anwälteverein sagte, der Report weise auf die Ausweitung von Straf- und Polizeigesetzen sowie den Abbau von sozialen Sicherungen hin: "Teile von Staat und Politik scheinen umgekehrt die Grundrechte mancher Menschen als Gefahr zu betrachten." An dem Report sind unter anderem die Humanistische Union, Pro Asyl, der Republikanische Anwältinnen- und Anwälteverein und die Gesellschaft für Freiheitsrechte beteiligt.