Kurschus kritisiert Abschottung gegen Geflüchtete

Präses Annette Kurschus
© Bernd Thissen/dpa
EKD-Präses Annette Kurschus kritisiert die europäische Abschottungspolitik gegenüber Flüchtlingen: Es sei Aufgabe der Kirchen, "dem Ungeist der Rechtspopulisten und der Vernebelung der Sprache deutlich und vernehmbar zu widersprechen".(Archivbild)
EKD-Ratsvorsitzende
Kurschus kritisiert Abschottung gegen Geflüchtete
Die europäische Abschottungspolitik gegenüber Flüchtlingen kritisiert die Präses und EKD-Ratsvorsitzende Annette Kurschus. Die spiele nur den Populisten in die Hände, sagte sie in ihrem Bericht vor der Synode der westfälischen Landeskirche. Außerdem müsse man über die Bedingungen für einen Waffenstillstand in der Ukraine nachdenken.

"Die Worte und Kräfte und Maßnahmen in Europa, die sich gegen Flüchtende richten, werden zunehmend stärker und rauer", sagte die leitende Theologin der Evangelischen Kirche von Westfalen vor der Synode ihrer Landeskirche in Bielefeld. Flüchtlingsschutz werde zunehmend als Schutz vor Flüchtlingen ausgelegt: "Verschärfung der Abschreckung, Hotspots an den Außengrenzen, Kriminalisieren der Seenotrettung."

"Abschottung und Zäune, dazu eine Rhetorik, die Angst verbreitet - das alles spielt den Populisten in die Hände und löst kein einziges Problem", mahnte Kurschus, die auch Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) ist. Noch immer kämen Menschen in erschreckend großer Zahl auf dem Mittelmeer ums Leben und grundlegende Menschen- und Freiheitsrechte würden denjenigen versagt, die sie am nötigsten brauchten.

Kurschus wies darauf hin, dass Geflüchtete demnächst in ein Land überstellt werden könnten, in dem sie nie zuvor waren und das dafür aus Europa Geld kassiere. "Wir müssen höchst alarmiert sein, wenn rechtsstaatliche Prinzipien und Menschenrechte so ausgehöhlt zu werden drohen, dass sie keine mehr sind", sagte die Theologin. Es sei Aufgabe der Kirchen, "dem Ungeist der Rechtspopulisten und der Vernebelung der Sprache deutlich und vernehmbar zu widersprechen".

Kurschus rief dazu auf, die Politik "im mühsamen Kampf gegen den erstarkenden Nationalismus und die Feindschaft gegenüber Rechtsstaatlichkeit" zu unterstützen. In Europa müsse weiter die Stärke des Rechts und nicht das Recht des Stärkeren gelten.

"Demokratieverträgliche" Zuwanderung

Dankbar äußerte sich die EKD-Ratsvorsitzende über das "großartige Engagement unseres Landes und unserer Kommunen bei der Aufnahme von Geflüchteten, vor allem von Frauen und Kindern aus der Ukraine". Ihr sei bewusst, dass die Städte am Limit seien und Geld und Aufnahmeplätze fehlten. Daher sei klar, dass die Zuwanderung demokratieverträglich gestaltet werden müsse.

Nach mehr als einem Jahr Krieg in der Ukraine solle die Frage eines Waffenstillstands "ins Zentrum aller Überlegungen" gestellt werden, sagte Kurschus. "Der Krieg ist inzwischen zu einem Stellungskrieg geworden, der Hunderttausende Menschen tötet und immer größere Flächen Land irreparabel zerstört." Ein Ende sei derzeit nicht abzusehen. "Aus christlicher Sicht dürfen wir aber das Ende nicht aus den Augen verlieren."

Zentrale Frage: Sicherheitsgarantien

Die Zeit sei reif, "moralisch-gesinnungsethische und völkerrechtliche Maximalforderungen hintanzustellen", sagte die 60-jährige Theologin. "Die Zeit ist auch reif, nach den Bedingungen, den Kompromissen und den Kosten eines Waffenstillstands zu fragen und diese Frage ins Zentrum aller Überlegungen zu stellen." Es gelte, nach Kompromissen zu suchen und dabei unangenehme Fragen zu diskutieren: "Was ist uns die Freiheit wert? Konkret heißt das: Welche Sicherheitsgarantien sind wir bereit zu leisten?"

Diese Fragen müssten zeitnah politisch geklärt werden, damit es möglichst bald zu einem Waffenstillstand kommen könne, sagte Kurschus in ihrem Bericht vor dem Kirchenparlament. Ein Schweigen der Waffen sei die Voraussetzung für Verhandlungen und "nur Verhandlungen führen zum Frieden". Sie plädiere dafür, politischen Willen, politische Initiativen und Kräfte "klug und beherzt" für einen Waffenstillstand einzusetzen, "statt dies als Verrat oder Mangel an Solidarität zu diffamieren".

Dass Deutschland die Ukraine zur Verteidigung gegen den russischen Angriffskrieg militärisch unterstützt, hält die leitende Theologin der Evangelischen Kirche von Westfalen zwar weiterhin für ethisch vertretbar. "Wir müssen jedoch endlich beginnen, anders zu fragen", sagte sie. Der Umgang mit dem Krieg bleibe eine "ethische Zumutung", in der mühsam mit Argumenten und dem eigenen Gewissen gerungen werden müsse: "Ich weigere mich, Jesus einseitig für oder gegen Waffenlieferungen, für oder gegen Pazifismus in Anspruch zu nehmen."