TV-Tipp: "Der Wien-Krimi – Blind ermittelt: Tod an der Donau"

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11. Mai, ARD, 20.15 Uhr
TV-Tipp: "Der Wien-Krimi – Blind ermittelt: Tod an der Donau"
In kriminalistischen Kreisen gilt die Bezeichnung "Verhör" für eine Vernehmung als verpönt, aber in diesem Fall passt sie einfach zu gut: Ein Mann ohne Augenlicht verhört eine Person, die sich nur in Gebärdensprache mitteilen kann. Der Blinde und die Taube: Das kann eigentlich nicht funktionieren. Wie es Alex Haller dennoch gelingt, der jungen Frau die gewünschten Informationen zu entlocken, ist die mit Abstand verblüffendste Szene in diesem "Wien-Krimi"

Dieser "Wien-Krimi" bietet im Vergleich zur letzten Episode wieder all’ das, was die Reihe bislang so oft ausgezeichnet hat: eine ungewöhnliche Geschichte, interessante Figuren und vor allem eine Umsetzung, die mehr als bloß die Bebilderung eines Drehbuchs ist.

Außerdem gelingt dem Autor, Mike Majzen, ein kleiner Knüller, indem er den vielen Krimi-Fans, die sich für schlauer als das Ermittlerduo halten, ein äußerst raffiniertes Schnippchen schlägt. "Tod an der Donau" beginnt mit der Titeltat: Auf dem weißen Overall einer Frau entfaltet sich eine tödliche rote Blüte. Als Haller (Philipp Hochmaier) und sein Augenersatz Niko (Andreas Guenther) am Tatort eintreffen, hat der bei einem Anschlag erblindete frühere Chefinspektor eine erste von mehreren Ahnungen, die Regisseurin Anne Zohra Berrached jedes Mal mit dem berühmten Vertigo-Effekt verdeutlicht (die Kamera fährt zurück und zoomt gleichzeitig in die Nahaufnahme): Ein Krähenschwarm macht ihn stutzig; tatsächlich findet sich in einem nahen Gebüsch eine zweite Leiche. Es handelt sich um einen Jogger, der vermutlich zur falschen Zeit am falschen Ort war: Ihn traf das tödliche Geschoss in den Rücken; anscheinend hat er den Mord beobachtet und ist auf der Flucht erschossen worden. 

Was wie der Auftakt eines mutmaßlich nicht sonderlich ungewöhnlichen Krimis klingt, entpuppt sich als originelles Spiel mit der Zuschauerschaft: Ein von Leben und Gram gebeugter Obdachloser, der hustend an den Freunden vorbeischlurft, richtet sich plötzlich auf, schaut in die Kamera und rezitiert einige allerdings leicht paraphrasierte Verse aus Bertolt Brechts "Dreigroschenoper".

Die Moritat von Mackie Messer findet fortan immer wieder Erwähnung, denn der Mann (Daniel Keberle) führt in wechselnden Kostümen wie ein Conferencier durch den Film. Auch das Spiel mit der sogenannten vierten Wand – im Theater die unsichtbare "Mauer" zwischen Bühne und Publikum – wird fortgesetzt, denn die Beteiligten werden jeweils mit einem schockierten Blick in die Kamera eingeführt. 

Stilmittel dieser Art können leicht aufgesetzt und wie der Versuch wirken, eine wenig originellen Handlung aufzupeppen, aber das hat der neunte "Wien-Krimi" gar nicht nötig. Die ohnehin ausgezeichnete Bildsprache (Kamera: Matthias Pötsch) passt vielmehr perfekt zu der cleveren Geschichte, die das Duo schließlich ins Theatermilieu führt. Der tote Jogger war Direktor des Volkstheaters, wo sein Bruder (Roland Koch) gerade eine Variation der "Dreigroschenoper" als "mörderische Revue" probt. Die Hauptdarstellerin Klara Bachmann (Swintha Gersthofer), seine Schwägerin, ist nun eine schöne Witwe.

Zunächst ermitteln die Freunde jedoch in einer völlig anderen Klientel: Das weibliche Opfer, Dagmar Moser, gehörte zu einer Gruppe, die der Gesellschaft den Rücken gekehrt hat. Die Frau lebte seit einem Jahr in einem Wohnmobil. Anders als die anderen hatte sie stets genug Geld, weshalb auch ihre Freundin Tina (Katharina Behrens) in Verdacht gerät; sie hat Dagmar gemeinsam mit ihrer gehörlosen Tochter Jennifer (Annalisa Weyel) am Donauufer gefunden. Ein Motiv hätte allerdings auch der unter allerlei Zwangsstörungen leidende Witwer, der die abrupte Trennung seiner Frau bis heute nicht verwunden hat. Außerdem wird der Mann von Andreas Lust gespielt, der in solchen Geschichten gern zwielichtige Figuren verkörpert. 

Nun entwickelt Majzen ein ungemein reizvolles Konglomerat aus unterschiedlichsten Figuren und Motiven. Die Welt der Bühne mit ihren überspannten Charakteren, die aus jeder Szene einen Auftritt machen, bildet selbstredend einen faszinierenden Kontrast zu den armen Schluckern aus dem Trailerpark. Auch hier wandelt der Film auf einem schmalen Grat; gerade Roland Koch flirtet mit dem Absturz in die Parodie. Oder ist Bachmanns exaltiertes Verhalten bloß Fassade, um seine Schuld zu überspielen?

Nett ist zudem ein Insider-Gag, als sich Haller endlich fragt, ob womöglich nicht der Jogger, sondern Dagmar das Zufallsopfer war. Weil Klara versichert, jedes Theater sei eine Schlangengrube, soll sie eine Liste mit Feinden ihres Mannes erstellen; sie enthält auch den Namen Anne Zohra Berrached. Mit derart beiläufig eingestreuten Details erfreut "Tod an der Donau" ständig, was den von einer ungewöhnlichen Musik untermalten Krimi, dessen Lösung bis zum allerdings etwas theatralischen Finale offen bleibt, zu einer inhaltlich wie optisch gleichermaßen großen Freude macht.