Sölle sei wichtig gewesen, "Menschen einen Zugang zu einem Leben in Fülle, zur Überwindung der inneren Leere zu verschaffen". Die Erfahrung der Mystik sei für sie ein Weg zu ganzheitlicher Lebenswahrnehmung gewesen. "Dieser Weg kann für unsere Kirche heute wegweisend sein", sagte die frühere Landesbischöfin von Hannover und Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD).
Auch Sölles politische Theologie sei bis heute aktuell: "Ihre politische Theologie, das politische Nachtgebet, ihre Aufforderung, den 'Papa-wirds-schon-richten Glauben' zu überwinden, haben Menschen angeregt zu fragen, wie Glauben und Spiritualität heute lebendig sein können", sagte Käßmann.
Sie erinnerte daran, dass Sölle auch provozieren konnte. Das habe sie als Jugenddelegierte 1983 bei der Vollversammlung des Ökumenischen Rates der Kirchen (ÖRK) in Vancouver erlebt, erzählte Käßmann. "Ihr Satz: 'Ich komme aus einem Land mit einer blutigen, nach Gas stinkenden Geschichte' hat viele empört." Der Satz sei eine wichtige Provokation gewesen, weil viele auch in der Theologie der Auseinandersetzung mit dem Holocaust ausweichen wollten.
Am 27. April vor 20 Jahren starb Sölle an den Folgen eines Herzinfarkts. Sie wurde 73 Jahre alt. Dorothee Sölle (1929-2003) gehört bis heute zu den einflussreichsten Theologinnen des Protestantismus, eine breite Anerkennung in der akademischen Theologie und der verfassten Kirche wurde ihr jedoch lange verwehrt.