TV-Tipp des Tages: "Der Turm" (ARD)

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TV-Tipp des Tages: "Der Turm" (ARD)
TV-Tipp des Tages: "Der Turm", 3. Oktober, 20.15 Uhr im Ersten
Die Hoffmanns sind klassische Bildungsbürger, für die es im real existierenden Sozialismus ostdeutscher Prägung aber keinen rechten Platz gibt. Also haben sie sich eine Nische geschaffen, in der es sich ganz gut leben lässt.

"Wir sind eins" beteuert die ARD seit einiger Zeit mit entsprechendem Slogan. Und diesmal stimmt es sogar: Nimmt man die Degeto hinzu, haben sich gleich sieben ARD-Einrichtungen zusammen getan, um aus Uwe Tellkamps Familiensaga über die letzten Jahre der DDR, "Der Turm", einen fesselnden Fernsehfilm zu machen. Der Zweiteiler ist ein mehr als würdiger Beitrag zum Tag der deutschen Einheit: Autor Thomas Kirchner, auch früher schon als Autor bemerkenswerter Drehbücher zu zeitgeschichtlichen Ereignisse aufgefallen ("Das Wunder von Berlin", "Schicksalsjahre"), ist es gelungen, Tellkamps als unverfilmbar geltendes, tausend Seiten umfassendes Werk zu verdichten und ihm dennoch treu zu bleiben. Die Umsetzung besorgte Christian Schwochow, der schon mit "Novemberkind" einen sehenswerten Beitrag zur Aufarbeitung der DDR geleistet hat.

Der alltägliche Opportunismus

Auch der Film bedient sich Tellkamps mosaikartiger Erzählweise. Fragmentarisch reihen Kirchner und Schwochow ein Ereignis an das andere. Die regelmäßigen Familientreffen im Hause Hoffmann in der Dresdener Turmstraße fungieren dabei gleichzeitig als Kapiteltrenner wie auch als verbindendes Element. Die Hoffmanns sind klassische Bildungsbürger, für die es im real existierenden Sozialismus ostdeutscher Prägung aber keinen rechten Platz gibt. Also haben sie sich eine Nische geschaffen, in der es sich ganz gut leben lässt: Richard (Jan Josef Liefers) ist Chef der Chirurgie und hat Aussichten, Leiter der Klinik zu werden; sein Schwager Meno (Götz Schubert) wandelt als Lektor auf dem schmalen Grat zwischen Zensur und subtiler Systemkritik; Richards Sohn Christian (Sebastian Urzendowsky soll ein möglichst glänzendes Abitur machen, um ebenfalls Arzt zu werden, muss aber freiwillig eine dreijährige Militärzeit abdienen, um studieren zu dürfen, und zerbricht beinahe daran.

Mit Hilfe vieler anschaulicher episodisch erzählter Beispiele beschreiben Kirchner und Schwochow den alltäglichen Opportunismus von Menschen, die zwar an den Sozialismus glauben (oder es zumindest mal getan haben), aber schon lange nicht mehr an die DDR. Die Handlung beginnt 1982, als die Anzeichen für das sich abzeichnende Ende in der Rückschau eigentlich schon nicht mehr zu übersehen waren. Auch der Zusammenhalt der Familie wird zunehmend fragil: Richard hat ein Verhältnis mit der Sekretärin (Nadja Uhl) des Klinikchefs und mit ihr eine Tochter; er führt ein Doppelleben. Die Staatssicherheit weiß das natürlich und erpresst ihn, zumal er sich als junger Mann zur Mitarbeit bereit erklärt und damals sogar einen heutigen Kollegen denunziert hat.

Stück für Stück setzen Kirchner und Schwochow ihr Mosaik zusammen. Unaufgeregt, fast nüchtern beobachten sie, wie die Risse im Staat wie auch in der Familie immer größer werden, bis schließlich im Herbst 1989 beides auseinander bricht. Dass sich die Fragmente wie selbstverständlich zu einem Gesamtbild zusammenfügen, verdankt der Film den ausgezeichnet entworfenen Figuren und ihrer exzellenten Verkörperung. Dass die Hauptdarsteller ausnahmslos ostdeutsche Wurzeln haben – einige sind sogar Dresdener -, mag aus professioneller Sicht eine Fußnote sein, hat aber sicherlich zur Authentizität beigetragen. Liefers ist herausragend als widersprüchlicher Patriarch, der das System ablehnt und ihm doch dient. Richard Hoffmann ist in seiner Zerrissenheit und Widersprüchlichkeit ohnehin ein Mensch mit vielen Brüchen, was ihn darstellerisch natürlich zu einer um so komplexeren Rolle macht.

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Nicht minder sehenswert sind Claudia Michelsen als Richard verhärmte Gattin, die erst aufblüht, als das System abstirbt. Auch Götz Schubert ist großartig. Aber das gilt nicht minder für vielen prominent und mitunter auch mutig besetzten Nebenrollen. Stellvertretend sei Valery Tscheplanowa genannt, die die vergleichsweise kleine Rolle als von Meno in stiller Zuneigung verehrte Schriftstellerin zu großen Momenten nutzt. Die Produktionsfirma teamWorx hat schon so viele Kapitel der deutschen Geschichte erzählen lassen ("Stauffenberg", "Dresden", "Die Flucht"), dass die Superlative längst verbraucht sind. Es bleibt die Bewunderung, wie Nico Hofmann seine Mitstreiter als Spiritus rector immer wieder zu solchen Leistungen antreibt.

Im Anschluss an Teil eins zeigt das "Erste" die Dokumentation "Der Turm", die die Fiktion mit der Realität der Achtzigerjahre in Dresden vergleicht.