Mit "Wir sind das Volk" hat Sat.1 vor vier Jahren an seine Tradition angeknüpft, zeitgeschichtliche Themen in einer Qualität aufzubereiten, die auch bei ARD oder ZDF als Prestigeproduktionen gelaufen wären. Im Gegensatz zu vielen vergleichbaren Filmen ist dieser Zweiteiler, den Sender anlässlich des Einheits-Feiertags am Stück zeigt, nicht von teamWorx. Prägend für die Werke dieses Unternehmens ist die Emotionalisierung historischer Ereignisse; die Hamburger Sturmflut oder die Bombardierung Dresdens zum Beispiel dienten als Folie für melodramatische Liebesgeschichten. Regisseur Thomas Berger war es wichtig, dass Autorin Silke Zertz für "Wir sind das Volk" andere Schwerpunkte setzte. Auch bei Zertz und Berger steht jedoch ein Paar im Vordergrund. Die Geschichte beginnt mit der Flucht von Andreas Wagner (Hans-Werner Meyer). Freundin Katja (Anja Kling) bleibt zurück; Andreas ahnt nicht, dass sie schwanger ist. Der sorgfältige komponierte Prolog (Bildgestaltung: Gero Steffen) endet mit einer ebenso kunstvollen wie grimmigen Einstellung: Andreas und sein Fluchtpartner liegen in gleicher Position links und rechts von der Mauer, Andreas schwer verletzt auf der westlichen Seite, sein erschossener Freund im Osten.
Kunstvolle Verknüpfung diverser gleichrangiger Handlungsstränge
Die Handlung setzt Jahre später wieder ein. Im Sommer 1989 will Katja mit ihrem Sohn über Ungarn zu Andreas fliehen, landet aber nicht im Westen, sondern im Krankenhaus; mitleidige Grenzsoldaten schieben Sven durch den Zaun. Und nun beginnt eine kunstvolle Verknüpfung diverser gleichrangiger Handlungsstränge. Ausgerechnet die vertrauensvollen Nachbarn vom Campingplatz entpuppen sich als langer Arm der Stasi: Katja wird ins Ostberliner Gefängnis Hohenschönhausen verschleppt. Auf der anderen Seite der Mauer muss Andreas, mittlerweile Redakteur bei einem Berliner Fernsehsender, plötzlich einen Sohn in sein Leben integrieren. Dabei hat er ganz andere Dinge im Kopf: In der DDR mehrt sich der Widerstand gegen das Regime. Wagemutige Kameramänner (Matthias Koeberlin, Ronald Zehrfeld) versorgen ihn mit Bildern von Demonstrationen. Aus dem Umfeld der Dissidenten stammen die weiteren Hauptfiguren der Geschichte, darunter auch die junge Kindergärtnerin Jule (Anna Fischer), eine Kollegin Katjas. Sie kommt aus einer streng linientreuen Familie: Vater Bernd (Jörg Schüttauf) ist ranghoher Offizier im Innenministerium und wird am Ende maßgeblich an der Öffnung der Grenze beteiligt sein. Auf dieser prominent besetzten Erzählebene wird auch deutlich, wie sehr die Atmosphäre zwischen Ausbruch und Aufbruch von Misstrauen durchsetzt ist.
Während das ständige Katz-und-Maus-Spiel zwischen den Kameramännern und den Stasi-Beamten dank diverser packender Verfolgungsjagden immer wieder für Spannung sorgt, sind die Szenen aus dem Zuchthaus von bedrückender Brutalität. Katja wird so lange systematisch emotional entwurzelt, bis sie eine Beziehung zu dem einzigen Menschen aufbaut, der sie nicht ständig schikaniert, anbrüllt und erniedrigt: ihrem Vernehmungsoffizier (Heiner Lauterbach).
Von enormer Intensität sind naturgemäß die Schlussbilder von der Grenzöffnung an der Bornholmer Straße. Bei der Leipziger Demonstration konnte sich Berger digitaler Hilfe bedienen, um 70.000 Menschen auf die Straße zu bekommen, aber die Aufnahmen am Schlagbaum sind mit fünfzig intensiv geschulten Komparsen entstanden. Ähnlich viel Arbeit hatte Ausstatterin Silke Buhr mit dem Szenenbild. Hier ist ein guter Teil des Budgets (8 Millionen) investiert worden.