TV-Tipp: "Kommissar Dupin: Bretonische Nächte"

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Donnerstag, 20. April, ARD, 20.15 Uhr
TV-Tipp: "Kommissar Dupin: Bretonische Nächte"
Der Krimi aus der Dupin-Reihe nimmt Anleihen bei englischen Vorbildern und besticht durch handwerkliche Qualität bei Regie, Bildgestaltung und Musik.

Wer ist eigentlich Kadeg? Das Stammpublikum weiß natürlich, dass es sich bei dem hageren Inspecteur um einen mitunter anstrengenden Zeitgenossen mit einem etwas seltsamen Sinn für Humor handelt, aber ansonsten ist nicht viel über den Bretonen bekannt.

Die elfte Episode der ARD-Reihe, wie stets nach einer Romanvorlage von Jean-Luc Bannelec entstanden, ändert das endlich; und das ist bei weitem nicht der einzige Grund, der "Bretonische Nächte" zu einem der besten "Kommissar Dupin"-Filme macht: Die Inszenierung ist von beachtlichter Dichte, die Bildgestaltung ist exquisit und die Handlung entwickelt sich zu einem Familiendrama mit gleich zwei tragischen Hauptfiguren.

Die Geschichte beginnt als kleine Hommage an britische Gruselklassiker: eine alte Abtei, bizarre Steinfiguren, ein Spielkarussell dreht sich im Wind, das unvermeidliche Käuzchen macht "Huhuu", als sich wie in einem Edgar-Wallace-Krimi eine düstere Kapuzengestalt dem Gemäuer nähert; allein die Nebelschwaden fehlen.

Wenig später kommt Thierry Kadeg, der wie an jedem ersten  Donnerstag im Monat mit der Hausbesitzerin zum Essen verabredet war; sie stirbt in seinen Armen. Kurz drauf wird auch er niedergeschlagen und dabei lebensgefährlich verletzt; fortan wirkt Jan Georg Schütte in dieser Verfilmung nur noch als Patient mit, der nach einer Schädeloperation ins künstliche Koma versetzt worden ist. Freundin und Kollegin Nolwenn (Franziska Wulf) bangt um sein Leben und wirft dem bestürzten Dupin (Pasquale Aleardi) vor, er habe sich nie für seinen Assistenten interessiert.

Das allerdings ändert sich nun, denn der Überfall auf Joelle Contel war offenkundig kein Raubmord, und Kadeg womöglich auch kein Zufallsopfer: Die alte Dame war seine Tante und Besitzerin beträchtlicher Ländereien, die ihr Bruder Victor (Sven-Eric Bechtolf) gern für seinen Apfelhof genutzt hätte, aber die sture Schwester, eine Hobbyornithologin, hat den Grund und Boden lieber der Vogelwelt überlassen. Victor steckt in erheblichen finanziellen Schwierigkeiten, den Nachlass der kinderlosen Joelle kann er gut gebrauchen, und mit Thierry hätte er gleich noch den einzigen Miterben aus dem Weg geräumt.

Diese Lösung wäre natürlich viel zu einfach, aber richtig interessant wird der Krimi, als sich Dupin näher mit der Geschichte der Contels befasst. Die Familie hat derart viele Schicksalsschläge ertragen müssen, dass selbst der Pfarrer (Axel Werner) von einem Fluch spricht: Joelle hat Thierry nach dem frühen Tod seiner Eltern bei sich aufgenommen, Victors Frau ist auf denkbar grässliche Weise ums Leben gekommen, und vor vielen Jahren ist ein rumänischer Erntehelfer der Contels verurteilt worden, nachdem er auf dem Land der Familie eine sogenannte Saisonhure grausam ermordet hat. Selbstredend vermutet Dupin nicht zu Unrecht, dass es einen Zusammenhang zwischen all’ diesen Ereignissen gibt und dass die Antwort auf die Fragen der Gegenwart irgendwo in der fernen Vergangenheit auf ihn wartet.

Neben der interessanten Geschichte, die ja in erster Linie dem Vorlagengeber Jean-Luc Bannelec zu verdanken ist – die Adaption des elften Romans besorgte zum sechsten Mal hintereinander Eckhard Vollmar –, fesselt "Bretonische Nächte" vor allem handwerklich. Regisseur Holger Haase hat die letzten sieben Episoden der stets sehenswerten ZDF-"Herzkino"-Reihe "Ella Schön" inszeniert, aber der stellenweise an eine Vorabendserie erinnernde Bodenseekrimi "Seeland" (2022) war in seiner ansonsten weitestgehend vorzüglichen und größtenteils aus unbeschwerten Komödien bestehenden Filmografie ein echter Ausreißer.

Sein "Dupin"-Debüt beeindruckt nicht zuletzt durch die Bildgestaltung (Tobias Schmidt), die im Zusammenspiel mit Sounddesign und Musik immer wieder Akzente setzt. Oft sind das bloß Kleinigkeiten: ein Kippen der Achse um neunzig Grad, eine Fahrt durch einen Krankenhausflur unter der Decke statt in Augenhöhe, ruckartige Schwenks, wenn Dupin versucht, zu viele Eindrücke auf einmal zu verarbeiten. Auf ähnlich hohem Niveau bewegt sich die Musik (Fabian Römer, Steffen Kaltschmid), die sich angesichts des bewusstlosen Kadegs einen eigenen akustischen Trauerraum erschafft.

Für Momente der Ruhe sorgen entspannte Zwischenspiele mit Impressionen rund um den Besitz der Contels. Gelungen ist auch die Zusammenstellung des Ensembles. Sven-Eric Bechtolf ist ohnehin stets eine gute Besetzung, wenn es gilt, einer Rolle eine gewisse Abgründigkeit zu verleihen: Victor ist ein Patriarch alter Schule, der Haus und Hof mit der Schrotflinte verteidigt, wenn es sein muss.