Ein Forscherteam der Humboldt-Universität Berlin solle den Zusammenhang zwischen sexualpädagogischen Lehrmeinungen und sexualisierter Gewalt seit 1945 untersuchen, wie die EKD in Hannover mitteilte.
Anders als im katholischen Umfeld werden bei Missbrauch im evangelischen Kontext andere spezifische Faktoren vermutet - unter anderem eine liberalisierte Auffassung über kindliche Sexualität im Zuge der Reform-Pädagogik der 70er Jahre.
Zunächst soll den Angaben zufolge eine Vorstudie mit dem Titel "Die Bedeutung sexualpädagogischer Diskurse für die strukturelle Begünstigung sexualisierter Gewalt im Raum der evangelischen Kirche" die Zusammenhänge zwischen verschiedenen pädagogischen Auffassungen und Missbrauch beleuchten. Die Erziehungswissenschaftlerin Jeannette Windheuser leitet die Studie.
Gegenstand der Untersuchungen seien sowohl erziehungs- und bildungstheoretische Voraussetzungen der Pädagogik als auch damit einhergehende oder sie beeinflussende Geschlechtervorstellungen, heißt es in der Projektbeschreibung auf der Internetseite der Universität.
Sexualität kann instrumentalisiert werden
Die Vorstudie sei auf sechs Monate angelegt und habe zum Ziel, eine Hauptstudie zu konzeptionieren. Finanziert wird die Vorstudie laut Mitteilung von der EKD und den Landeskirchen in Bayern, in Hannover, in Hessen und Nassau sowie im Rheinland.
Sexualpädagogik erfülle zwar eine notwendige und sinnvolle pädagogische Aufgabe, betonte Studienleiterin Windheuser. "Jedoch kann dieses Anliegen durch Missdeutung des Generationenverhältnisses und/oder durch Instrumentalisierung des Themas Sexualität unterlaufen werden und so strukturell sexualisierte Gewalt begünstigen."
Erste Ergebnisse im Herbst
Wie hoch genau die Zahl der Betroffenen sexualisierter Gewalt im Raum der EKD ist, untersucht derzeit ein Forschungsverbund. Nach Zahlen von vergangenem November lagen der EKD rund 750 Anträge auf Anerkennungsleistungen vor. Das spiegelt den Angaben zufolge aber nicht die tatsächliche Anzahl von Fällen sexualisierter Gewalt wider.
Die neue Vorstudie sei kein Teil der laufenden Aufarbeitungsstudie "ForuM", sagte ein Sprecher der EKD dem Evangelischen Pressedienst. Die Vorstudie habe einen anderen Fokus und sei unabhängig vom Forschungsverbund "ForuM", der aber in die Vorbereitung einbezogen wurde.
Der Forschungsverbund "ForuM - Forschung zur Aufarbeitung von sexualisierter Gewalt und anderen Missbrauchsformen in der evangelischen Kirche und Diakonie in Deutschland" soll sexuellen Missbrauch in fünf Teilstudien und einer Metastudie aufarbeiten. Die EKD finanziert diese Studien in Form einer Zuwendung in Höhe von rund 3,5 Millionen Euro. Erste Ergebnisse hat die EKD für Herbst angekündigt.