TV-Tipp: "Tatort: Abbruchkante"

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26. März, ARD, 20:15 Uhr
TV-Tipp: "Tatort: Abbruchkante"
Der Hausarzt des Dorfes Bützenich ist erschossen worden. Der Ort im Rheinischen Braunkohlerevier sollte eigentlich dem Tagebau weichen, wird aber nun doch nicht abgebaggert. Die meisten haben das Dorf bereits verlassen und leben jetzt in Neu-Bützenich, einige Wenige sind geblieben, darunter zum Glück für die Kölner Kommissare Ballauf und Schenk, die in der zerrissenen Dorfgemeinschaft ermitteln.

Dereinst werden die Menschen vermutlich voller Unverständnis auf jene Jahrzehnte zurückblicken, in denen Dörfer dem Erdboden gleichgemacht und blühende Landschaften verwüstet worden sind. Nein, die Rede ist nicht vom Krieg, sondern von einem Raubbau, der selbst in der Historie der vielen erschreckenden Verbrechen an der Natur seinesgleichen sucht. Vor diesem Hintergrund hat sich das Ehepaar Zahn eine Krimihandlung ausgedacht, die sich tatsächlich in Sichtweite der titelgebenden "Abbruchkante" zuträgt: Bützenich, mitten im rheinischen Braunkohlerevier zwischen Köln und Düren, war bereits dem Tode geweiht. Die meisten haben das Dorf bereits verlassen und leben jetzt in Neu-Bützenich, einige Wenige sind geblieben, darunter zum Glück für die Kölner Kommissare Ballauf und Schenk (Klaus J. Behrendt, Dietmar Bär) ebenso die Besitzerin des örtlichen Gasthofs: Als an Schenks Oldtimer die Lichter ausgehen, müssen die beiden wohl oder übel bei Karin Bongartz (Barbara Nüsse) übernachten. Natürlich war es ein Mord, der die Beamten nach Alt-Bützenich geführt hat: Der Hausarzt des Dorfes ist erschossen worden, und selbstredend spielt der harmlos "Tagebau" genannte Naturfrevel die heimliche Hauptrolle in diesem Krimi. 

Mit viel Empathie schildern Eva und Volker A. Zahn die individuelle Schicksale: der Vater (Jörn Hentschel), dessen Tochter im Rahmen der Proteste gegen die Räumung des Dorfes unglücklich ums Leben gekommen ist; der Pfarrer, dem die bevorstehende Zerstörung seiner Kirche derart aufs Gemüt geschlagen ist, dass er drei Monate nach der Entweihung gestorben ist; das alte Ehepaar, das sich nicht verpflanzen lassen und deshalb gemeinsam in den Tod gehen wollte. Ein Beziehungsdrama gibt es auch: In der Ehe des Mordopfers hat es offenbar schon länger heftig gekriselt, die deutlich jüngere Frau (Lou Strenger) wollte den Arzt verlassen, aber der Gatte hat ihr mit einem hässlichen Sorgerechtsstreit droht. Dass der Mann in Bützenich einige Häuser erworben hat, um sie dann gewinnbringend an den Energiekonzern weiterzuverkaufen, hat sein Ansehen im Dorf auch nicht gerade gesteigert.

Das Ehepaar Zahn, für das Drehbuch zu dem Schülerdrama "Ihr könnt euch niemals sicher sein" (2008) über einen vermeintlichen Amokläufer mit dem Grimme-Preis ausgezeichnet, versteht es wie nur wenige andere, aktuelle gesellschaftlich relevante Themen als fesselnde Krimis oder Dramen zu erzählen: In "Aufbruch ins Ungewisse" (2017) zum Beispiel flieht eine deutsche Familie vor einer rechten Diktatur nach Südafrika und erleidet dort ein typisches Flüchtlingsschicksal; "Was wir wussten – Risiko Pille" (2019) ist ein fesselnder Tatsachenfilm über die Gefahren der Anti-Baby-Pille. Viele ihrer Drehbücher sind im Auftrag des WDR entstanden, trotzdem war "Hubertys Rache" (2022) ihr erster Kölner "Tatort". In dem spannenden Krimi nahm ein verzweifelter Mann die Passagiere eines Ausflugsschiffs als Geiseln. Hauptfigur ist ein Lehrer, der aus dem Schuldienst entlassen und zu einer Haftstrafe verurteilt worden ist, weil er ein Verhältnis mit einer 14jährigen Schülerin hatte; nun will er  eine öffentliche Rehabilitierung erzwingen. Unter den Geiseln ist Max Ballauf. 

Dieser Binnenperspektive bedient sich auch "Abbruchkante": Während Schenk am nächsten Tag wieder nach Köln fährt, bleibt der Kollege eine weitere Nacht und lässt sich von der dankbaren Wirtin die Geschichten der Bützenicher erzählen. Den Kommissar und die alte Frau verbindet mehr, als auf den ersten Blick ersichtlich ist. Der bodenständige Schenk hat seine Familie, aber Ballauf ist ein einsamer Wolf, dem der Mut fehlt, sich auf etwas Neues einzulassen: "Ich hab’ Schiss, dass mein bisheriges Leben abgebaggert wird und ich nach Neu-Ballauf ziehen muss." Die Beziehung zur ruppigen Karin Bongartz beschert dem Krimi zudem eine unerwartet heitere Note, als ausgerechnet die Ordnungshüter zu Komplizen beim Kirchendiebstahl werden. 

Ansonsten geht es in diesem 87. Kölner "Tatort" jedoch vor allem um die Verwüstungen in der Seele. Regisseur Torsten C. Fischer – "Abbruchkante" ist sein zehnter Film mit Behrendt und Bär –und der nicht minder renommierte Kameramann Theo Bierkens haben die Aufnahmen des Geisterdorfs in den verlassenen Ortschaften rund um den Tageabbau Garzweiler gedreht; auf dem Weg dorthin ist das Team regelmäßig an das durch seine Räumung im Januar zu traurigem bundesweitem Ruhm gekommene Lützerath gefahren. Kein Wunder, dass über dem Film eine an David Lynchs Kultserie "Twin Peaks" erinnernde Melancholie liegt.