TV-Tipp: "Toni, männlich, Hebamme: Eine Klasse für sich"

© Getty Images/iStockphoto/vicnt
17. März, ARD, 20.15 Uhr
TV-Tipp: "Toni, männlich, Hebamme: Eine Klasse für sich"
Wenn in Filmen oder Serien Menschen mitwirken, die aufgrund geistiger oder körperlicher Beeinträchtigungen von der Norm abweichen, sind ihnen die Sympathien gewiss.

Das ist zwar verständlich, aber auch eine Form von positiver Diskriminierung. Zwar sind die Leistungen zumeist tatsächlich beeindruckend, schließlich sind die entsprechenden Mitwirkenden ja nicht aufs Geratewohl besetzt worden, aber natürlich gibt es Qualitätsunterschiede. Wie Luisa Wöllisch in diesem Film ihre Rolle interpretiert, ist allerdings unbedingt preiswürdig; und das hat nichts damit zu tun, dass sie Trisomie 21 hat, selbst wenn die Chromosomen-Anomalie natürlich ein wichtiges Merkmal der jungen Frau ist, die sie verkörpert. 

"Toni, männlich, Hebamme" ist eine jener Reihen, die bei Fernsehpreisen meist übersehen werden, obwohl ihnen auf handwerklich hohem Niveau eine vorbildliche Verknüpfung von Anspruch und Unterhaltung gelingt. Die schlüssige Kombination komischer und tragischer Momente ist zudem ungleich schwieriger als das reine Drama: weil stets die Gefahr besteht, dass die heitere Ebene den dramatischen Teil der Geschichte entwertet. Regisseurin Sibylle Tafel, die bislang alle Episoden inszeniert und sämtliche Drehbücher gemeinsam mit Sebastian Stojetz geschrieben hat, bewältigt die Herausforderung dieser Gratwanderung regelmäßig mit einer beeindruckenden Souveränität. 

Der Arbeitstitel der siebten Episode, "Eine Klasse für sich", lautete "Ein stinknormales Leben", und genau das ist es, was Wanda anstrebt: ein Leben mit Freund, Job und Wohnung. Geschickt setzt die Auftaktszene gleich zwei der drei Themen des Drehbuchs: Toni (Leo Reisinger) hilft Praxispartnerin Luise (Wolke Hegenbarth) beim Umzug in die Wohnung ihres neuen Freundes Sami (Marcel Mohab). Dessen Schwester Wanda erkennt mit einem Blick, dass er bloß gute Miene zu dieser Liaison macht; die gegenseitige Eifersucht der beiden Männer wird schließlich in einer vor allem für Toni schmerzhaften Auseinandersetzung gipfeln. Wanda arbeitet in einer Behindertenwerkstatt, Toni will sie auf dem Heimweg dort absetzen, aber dann kommt ein Notruf dazwischen. Wanda assistiert ihm bei der Hausgeburt und erweist sich als Naturtalent. Das Erlebnis hat sie derart begeistert, dass sie nun Hebamme werden möchte, aber ohne Schulabschluss wird sie gar nicht erst zur Ausbildung zugelassen. 

Neben der Verbindung dieser ernsten Ebene mit einem witzigen Nebenstrang, in dem Tonis WG-Kumpan Franzl (Frederic Linkemann) Besuch von seiner übergriffigen Mutter Malu (Charlotte Schwab) bekommt, liegt die eigentliche Qualität des Drehbuchs in der Balance zwischen Wunsch und Wirklichkeit. Natürlich weckt die Empathie mit Wanda, die offenkundig viel zu klug ist, um den Rest ihres Lebens Flaschenstöpsel herzustellen, Empörung. Andererseits ist die Erklärung von Tonis früherer Chefin Evi (Juliane Köhler), warum Wanda keine Geburten eigenständig durchführen darf, nicht minder plausibel. Immerhin kann sie, nachdem sie einen Stresstest mit gleich drei Simulationspuppen bestanden hat, bei Toni eine Ausbildung zur Hebammenassistentin machen. Ähnlich realistisch behandelt der Film die Kinderfrage, auch hier offenbart sich eine Kluft zwischen Theorie und Praxis, als sich Wanda verliebt: Natürlich möchte Luise, dass auch Menschen mit Down-Syndrom selbstbestimmt Nachwuchs bekommen können; aber sie fürchtet, dass das Kind letztlich bei Sami und ihr landen wird. 

Endgültig zu einem besonderen Werk wird "Eine Klasse für sich", weil Tafel es geschafft hat, diesen potenziellen Dramastoff als Komödie zu arrangieren, zumal das Drehbuch der Episodenhauptdarstellerin einige grandiose Dialoge beschert. Auf dem Weg zur Niederkunft warnt Toni die junge Frau, so eine Geburt sei kein Kindergeburtstag, woraufhin sie pfiffig kontert: "Im Grunde ja schon." Ähnlich trocken trägt Luisa Wöllisch Wandas witzige Sarkasmen vor. Auch die Botschaft ist gut integriert. Als sich die anderen Kursteilnehmerinnen über sie lustig machen, weil sie aufgrund einer Lernschwäche Probleme mit den lateinischen Fachbegriffen hat, platzt Wanda der Kragen: "Trisomie ist keine Krankheit, ich bin einfach nur anders!" Comedy pur ist dagegen die Ebene mit Franz und Malu, weil der Sohn seiner Mutter eine Beziehung mit Luise vorgaukelt: Er fürchtet, dass die Psychologin und Sexualtherapeutin, die ihn einst schon als Vorbild für ein Buch über typische Teenagerprobleme missbraucht hat, ihm angesichts seiner Verbindung mit der 15 Jahre älteren Evi einen Ödipus-Komplex andichten wird.