Die westfälische Präses sagte der "Berliner Zeitung" (Print Mittwoch, Online Dienstag): "Wir können die Angegriffenen ja nicht schutzlos lassen, wenn sie mit Raketen beschossen, ihres Landes beraubt, vergewaltigt und verschleppt werden." Der Einsatz von Waffen müsse aber "zum Ziel haben, die Waffen zum Schweigen zu bringen". Hinter dem Einsatz von Waffen müsse eine "Strategie zu Verhandlungen" stehen, erklärte die EKD-Ratsvorsitzende. Gespräche dürften nicht auf der Grundlage geführt werden, dass die territoriale Integrität des angegriffenen Staates infrage gestellt werde. Verhandlungen müssten "auf Augenhöhe" geführt werden.
Kurschus betonte, Waffen und Verhandlungen schlössen einander nicht aus. Der Einsatz von Waffen sei notwendig, um die Menschen in der Ukraine zu schützen und Russland die Erwartung zu nehmen, es könnte die Ukraine erobern. Doch müssten Verhandlungen über einen Waffenstillstand das Ziel sein.
Russen dürfen dabei laut Kurschus nicht pauschal als Handlanger von Präsident Wladimir Putin betrachtet werden. Es gebe auch Stimmen in der russisch-orthodoxen Kirche, die den Krieg sehr kritisch sähen. Das Moskauer Patriarchat und Patriarch Kyrill unterstützten den Krieg jedoch und verbrämten ihn religiös. "Man kann das geistlich-geistige Mittäterschaft nennen", sagte Kurschus. "Was ich für unerträglich halte, ist die Ideologie, die Kyrill vertritt: Wir kämpfen im Namen Gottes. Ich halte das für gotteslästerlich." Sie plädierte gleichwohl für die Aufrechterhaltung der Kontakte zur orthodoxen Kirche in Russland.
Pazifismus funktioniert bei Putin nicht
Die Politikerinnen Katrin Göring-Eckardt (Grüne) und Irmgard Schwaetzer (FDP) warnten vor einem Pazifismus, der Russland belohne. Wer in der jetzigen Lage einen vorbehaltlosen Waffenstillstand mit einem sofortigen Ende aller militärischen Unterstützung für die Ukraine einfordere, "verlangt in Wahrheit von der Ukraine ihre Unterwerfung", heißt es in einem Gastbeitrag von Göring-Eckardt und Schwaetzer in der Tageszeitung "Die Welt" (Mittwoch). Beide waren früher Präses der Synode der EKD.
"Angesichts schwerster Menschenrechtsverletzungen in der Ukraine darf unsere Friedenssehnsucht nicht der alleinige Maßstab sein - auch wenn Pazifismus zum Christentum gehört. Aber im Fall von Putin funktioniert er nicht", unterstrichen Schwaetzer, die bis 2002 für die FDP Mitglied des Deutschen Bundestages war, und Göring-Eckardt, der Vizepräsidentin des Deutschen Bundestages.
"Das ist kein friedlicher Pazifismus, sondern einer, der den Aggressor belohnt, und der gerade nicht gewaltfrei ist", fügten beide Politikerinnen hinzu: "Im Gegenteil. Der Status quo bedeutet: Putin und seine Leute werden weiter unschuldige Ukrainerinnen und Ukrainer überfallen, einsperren, verschleppen oder unterdrücken, solange sie nicht 'russisch' sind. Genau wie es seit Jahren im Donbass, in Luhansk oder auf der Krim geschieht."
Waffenunterstützung schaffe in diesem Falle Freiheit und begrenze das furchtbare Leiden, fügten Schwaetzer und Göring-Eckardt hinzu: "Das christliche Gebot der Sorge und Mitverantwortung für die Nächsten, für den unter die Räuber Gefallenen, erlaubt, ja, verpflichtet uns, der Ukraine zu helfen, wenn Menschen von Russland ermordet, gefoltert, erniedrigt, vertrieben werden. Es geht um Hilfe zur Selbstverteidigung, ohne selbst Kriegspartei zu werden."
Es stehe für sie beide außer Frage, "dass die internationale Gemeinschaft niemals einem Erpresser nachgeben kann: Sie würde nicht nur ihre eigenen Werte verraten und die Ansprüche des Völkerrechts aufgeben, sondern geradezu die Wahrscheinlichkeit von noch mehr weltweitem Unrecht erhöhen", heißt es in dem Gastbeitrag weiter: "Wer Putin nicht Einhalt gebietet, ermuntert ihn, seine völkerrechtswidrigen imperialistischen Fantasien weiterzutreiben. Er wird nicht von allein stoppen."
"Auch wir in der Evangelischen Kirche in Deutschland mussten uns fragen, ob Überzeugungen und Gewissheiten, die uns Christinnen und Christen vor ein paar Jahren noch getragen hatten, heute noch gelten können", räumten Schwaetzer und Göring-Eckardt ein: "Wir haben über Jahrzehnte darauf vertraut, dass die internationale Rechtsordnung, die nach dem Zweiten Weltkrieg Schritt für Schritt geschaffen worden ist, allgemeingültig ist und bleibt. Putin hat dieses Vertrauen zerstört. Um im Gleichnis zu sprechen: Die Ukraine ist unter die Räuber gefallen und es ist keine Option, einfach vorbeizugehen."
Ökumenischer Gottesdienst erinnert an Kriegsbeginn
In einem ökumenischen Friedensgottesdienst gedachten die Evangelische Kirche im Rheinland und das Bistum Essen der Opfer des vor einem Jahr begonnenen Kriegs in der Ukraine und beteten für Versöhnung und Frieden. Ein Jahr Krieg, Zerstörung, Vertreibung und Grausamkeit sei die Folge "des völkerrechtswidrigen Überfallkrieges Russlands gegen die Ukraine", sagte der leitende Theologe der rheinischen Kirche, Präses Thorsten Latzel, am Mittwoch laut Redetext in dem Gottesdienst in der Duisburger Salvatorkirche. Der katholische Ruhrbischof Franz-Josef Overbeck hob die christliche Hoffnung und "die friedensstiftende Kraft Gottes" hervor.
Latzel sagte, trotz des maßlosen Leidens glaubten Christen an einen Gott des Friedens: "Gott sieht und hört und lässt der Gewalt nicht das letzte Wort." Biblische Texte und religiöse Riten könnten der Klage Raum geben und neue Hoffnung vermitteln. "Wir fühlen mit allen Menschen, die unter dem Krieg leiden", sagte der evangelische Theologe.
Bischof Overbeck stellte laut Manuskript fest, dass sich die Geschichte der Menschheit als eine Geschichte der Gewalt beschreiben lasse. Christen hofften jedoch "auf das Wirken von Gottes Güte, auf seinen Trost und seine Kraft". Friede sei ein Geschenk Gottes, er hänge aber zugleich von den Menschen ab: "Denn es ist immer auch unser Handeln, das Frieden zerstört oder schafft", sagte der Ruhrbischof.
Das Gebet in der Duisburger Salvatorkirche galt nach Angaben der Veranstalter auch den Menschen in Russland, die sich für Versöhnung und Frieden einsetzen. Am 24. Februar 2022 hatte die russische Armee den Angriffskrieg gegen die Ukraine begonnen.
Kohlgraf teilt Sorgen vor weiterer Eskalation des Kriegs
Der katholische Mainzer Bischof Peter Kohlgraf hält Ängste vor einer weiteren Eskalation des Ukraine-Kriegs und einer direkten Kriegsbeteiligung Deutschlands für berechtigt. "Ehrlich gesagt treibt mich die Sorge auch um", sagte der Präsident der deutschen Sektion der katholischen Friedensbewegung Pax Christi dem epd. Auch Papst Franziskus habe bereits von einem Dritten Weltkrieg gesprochen - "und zwar nicht von einem drohenden, sondern davon, dass wir uns eigentlich schon mitten drin befinden".
Seine eigenen friedensethischen Grundsätze habe er durch den Ukraine-Krieg nicht revidiert, versicherte der Bischof. Niemand könne aus einem Krieg "schuldlos herauskommen". Dies gelte auch jetzt: "Egal, wo wir Waffen einsetzen, machen wir uns schuldig, weil Waffen töten. Wenn nichts getan wird, macht man sich auch schuldig."
Einen "gerechten Frieden" für die Ukraine zu erreichen, ist nach Überzeugung Kohlgrafs derzeit extrem schwierig. Auf russischer Seite sehe er dazu keine wirkliche Bereitschaft, stattdessen eine "großrussische Ideologie, die vonseiten der russisch-orthodoxen Kirche religiös verbrämt wird". In Waffenstillstandsverhandlungen würde sich Russland sicherlich weigern, die derzeit kontrollierten Gebiete wieder zu räumen. "Diese Situation macht alle friedensethischen Überlegungen so schwierig", sagte der Bischof. Für eine echte Versöhnung sei es zudem nötig, dass Täter auch Verantwortung übernehmen.
Der Pax-Christi-Präsident sprach sich zugleich deutlich gegen eine Diskreditierung von pazifistischen Einstellungen aus. Diese seien als Gegengewicht zur verbreiteten militärischen Rhetorik wichtig. "Wir müssen bei allen realpolitischen Debatten aufpassen, dass Menschen mit pazifistischen Positionen am Ende nicht als die Deppen dastehen", sagte er. In Zeiten, in denen sich Christen gegenseitig töteten, sei es wichtig, an das Evangelium zu erinnern: "Die biblischen Friedensvisionen sind pazifistisch, sie sind in kriegerischen Zeiten entstanden und geben die Hoffnung, dass Krieg, Hass und Gewalt nicht das letzte Wort haben."