Fünf Jahre später bietet Rangun ein völlig anderes, ein friedliches Bild. Die Diktatur ist einer offeneren Gesellschaft gewichen. Satellitenschüsseln auf den Dächern der Häuser und der Lärm von Baustellen sind die äußeren Zeichen von Birmas Neuanfang, dem Aufbruch des großen und schönen Landes zwischen Indien und China in eine freiere Zukunft, wie es die Entlassung Hunderter politischer Häftlinge ist.
Zum fünften Jahrestag der Safranrevolution ist sich Moe Thway nicht mehr sicher, was er von den Reformen halten soll. "Präsident Thein Sein meint es ernst. Aber der letzte Freitag war fast schon ein Rückfall in alte Zeiten", sagt der 32-jährige beim Abendessen in der Moon Bakery, einem Café-Restaurant in Rangun. Graffiti an den Wänden, wie Schulbänke bekritzelte Tische und amerikanische Popmusik weisen die Moon Bakery als Treffpunkt für junge Leute aus.
Ein Test für demokratische Freiheiten
Nichts an dem lockeren Auftreten des jungen Mannes mit langen, schwarzen, in die Stirn fallenden Haaren und schwarzen Ohrringen deutet darauf hin, dass ihm ein Gerichtsverfahren und möglicherweise eine lange Haftstrafe drohen für eine Friedensdemonstration am vergangenen Freitag, zu der die Generation Wave zusammen Organisationen ethnischer Gruppen wie der Kachin aufgerufen hatten. "Die Demonstration zum Weltfriedenstag war auch ein Test, wie es um demokratische Freiheiten steht", sagt Moe Thway. "Demonstrationen gegen soziale und wirtschaftliche Probleme sind inzwischen möglich und werden genehmigt. Aber offenbar werden politische Kundgebungen nicht geduldet."
Im Herbst 2011 kehrt Moe Thway ins Reform-Birma zurück, streitet weiter für Demokratie. Moe Thway ist ein ungeduldiger junger Mann, dem die Reformen nicht schnell genug gehen. Er ist aber auch Realist genug um zu wissen, dass seine Rückkehr nach seine Birma und sein Politaktivismus in Rangun ohne die Reformpolitik von Präsident Thein Sein nicht möglich gewesen wäre. Was ihn stört, und was er durch die Anklage gegen ihn bewiesen sieht, ist die Reform von oben. "Das Militär wollte Veränderungen. Die Safranrevolution hat ihnen klargemacht, dass ein ‚weiter so’ nicht mehr möglich ist. Sie wollten aber verhindern, dass das Volk den Wechsel erzwingt und den Reformkurs bestimmt. Als Generäle wissen sie eben, wie man sich ohne Niederlage zurückziehen kann."
Moe Thway (Bild links, Foto: Robert Spring) ist Kummer mit der Staatsmacht gewohnt. Gleich nach der Safranrevolution, im Oktober 2012, gründete der Musiker und Liedschreiber zusammen mit anderen jungen Leuten – Studenten, Künstlern, Rappern – die Generation Wave, die Ranguns Jugendszene mit Flugblättern, Graffiti und Musik den Widerstand gegen die Generäle fortsetzte, den die Mönche in den goldenen Pagoden begonnen hatten. Nur knapp konnte Moe Thway seiner Verhaftung durch die Flucht nach Thailand entkommen.
Die Redaktionsräume der Yangon Times liegen irgendwo zwischen der Moon Bakery und dem Haus von Oppositionsführerin Aung San Suu Kyi. Noch sind die Räume kahl, minimalistisch möbliert mit dem Nötigsten wie Schreibtische und Computern. Die Größe der Räume im dritten Stock einer Außenstelle des Ministeriums für Industrie mit viel Platz für noch mehr Schreibtische, Computer und Redakteure ist auf Wachstum ausgerichtet. "In naher Zukunft werden private Tageszeitung erlaubt sein", sagt Ko Ko, Chef der Yangon Media Group, die in birmanischer Sprache die Yangon Times, eine politische Wochenzeitung, sowie das ebenfalls wöchentlich erscheinende Boulevardblatt Flower News herausgibt.
Der Mut der Mönche
Die Pressezensur ist in Birma bereits aufgehoben. "Die Zensurgesetze von 1962 sind noch in Kraft, werden aber nicht mehr angewendet. Seit zwei Monaten müssen Zeitungen nicht mehr ihre Artikel vor Veröffentlichung einreichen. Wir können frei über Aung Suu Kyi, den Krieg in Kachin oder auch über die Friedensdemonstration der vergangenen Woche berichten", sagt Ko Ko, der auch Vizepräsident der neuen, unabhängigen Myanmar Journalists Association ist. Der altgediente Journalist, der zu Juntazeiten für westliche Nachrichtenagentur aus Birma berichtete, ist auch Mitglied eines von der Regierung berufenen Gremiums, dass an dem Entwurf des neuen Mediengesetzes mitarbeitet.
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Auch der 50-jährige ist überzeugt, dass Pressefreiheit und die Einbeziehung von zivilen Experten aus der Gesellschaft in politische Prozesse dem Mut der Mönche vor fünf Jahren zu verdanken sind. "Wir sind ein buddhistisches Land, in dem die Mönche hoch geachtet sind. Dass das Militär gegen die Mönche vorgegangen ist und deren Anführer sogar hart bestraft hat, entsetzte das Volk."
Unter den Mönchen ist Ashin Gambira der ungeduldige, radikale Demokrat so wie es Moe Thway unter den Laien ist. Der 41-jährige Gambira war einer der Anführer der Safranrevolution. Zunächst zu 68 Jahren Haft verurteilt, kam er zwar im vergangenen Jahr wieder frei, wurde aber wegen einiger radikaler Aktionen wie der Besetzung geschlossener Klöster von keiner Pagode mehr aufgenommen. Ashin Gambira musste seine Mönchsrobe ablegen und lebt jetzt unter seinem bürgerlichen Namen Ko Nyi Nyi Lwin jetzt bei seinen Eltern in der Nähe von Mandalay. "Es ist noch nicht zu Ende", sagt der ehemalige Mönch über die Macht des Militärs, die in Birmas Verfassung von 2008 festgeschrieben ist. Die vom Militär geschriebene und durch ein manipuliertes Referendum in Kraft getretene Verfassung nennt Ashin Gambira, dessen Gesundheit unter den vier Jahren im Gefängnis sehr gelitten hat, die "größte Gefahr für den Reformkurs".
Nach vorne schauen
Keine Demonstrationen, keine Proteste finden zum 5. Jahrestag der Safranrevolution in Rangun statt. Lediglich mit einer Gedenkveranstaltung in einem Kloster erinnerten Mönche an den historischen Moment im Herbst 2007, der Birma veränderte. Aber anders als früher blieb auch der 18. September - selbst offiziell - unerwähnt, jener Tag im Jahr 1962, an dem Putschgeneral Ne Win die demokratische Verfassung außer Kraft setzte und Birmas Leiden unter 50 Jahren Militärdiktatur begann.
Die Birmanen schauen im September 2012 lieber nach vorne als zurück. Oppositionsführerin Aung San Suu Kyi und Präsident Thein Sein werben in den USA um Vertrauen sowie politische und wirtschaftliche Unterstützung des Reformprozesses. Zu Hause sind selbst ungeduldige Aktivisten wie Moe Thway dafür, sich nicht allzusehr mit der Vergangenheit zu beschäftigen. "Für eine Vergangenheitsaufarbeitung ist jetzt noch nicht der richtige Zeitpunkt. Die Generäle sollen keine Angst haben. Vielleicht in zwanzig Jahren können wir damit beginnen. Es geht um die Wahrheit, nicht um Vergeltung."