TV-Tipp des Tages: "Barfuß auf Nacktschnecken" (BR)

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TV-Tipp des Tages: "Barfuß auf Nacktschnecken" (BR)
TV-Tipp des Tages: "Barfuß auf Nacktschnecken", 12. Mai, 21.50 Uhr im Bayrischen Fernsehen
Lily ist einfach anders, vor allem als ihre Schwester Claire. Die hat dem verstorbenen Vater zuliebe Jura studiert, einen Juristen geheiratet und führt ein scheinbar zufriedenes, bürgerliches Leben.
12.05.2012
Tilmann P. Gangloff

Das Sein bestimmt das Bewusstsein: Als Erkenntnis eines über hundert Minuten langen Films mag man das etwas dünn finden. Auf der anderen Seite wird das Fernsehen Woche für Woche mit Filmen überschwemmt, die ausschließlich aus Verpackung bestehen. Bei "Barfuß auf Nacktschnecken" kommt hinzu, dass die Verpackung sehr sehenswert ist, und das keineswegs bloß, weil Diane Kruger eine der beiden Hauptrollen spielt: Die französische Künstlerin Valérie Delis hat maßgeblichen Anteil daran, dass Fabienne Berthauds Zweitwerk mehr ist als bloß die Geschichte zweier grundverschiedener Schwestern. Von Delis stammen all die kleinen und großen künstlerischen Extravaganzen, die Lily, die jüngere Schwester, zu einem ganz besonderen Menschen machen.

Im Leben von Lily kommen übliche Normen und Konventionen nicht vor

Auch sonst ist Lily ein ungewöhnlicher Mensch. Sie führt ein Leben, in dem die üblichen Normen und Konventionen nicht vorkommen. Berthaud hütet sich allerdings, Lilys Lebensweise zu verklären; sie ist einfach anders, vor allem als ihre Schwester Claire. Die hat dem verstorbenen Vater zuliebe Jura studiert und einen Juristen geheiratet, sie führt ein scheinbar zufriedenes Leben in perfekter bürgerlicher Existenz; bis die Mutter stirbt und sich rasch herausstellt, dass sie Lily nicht selbst überlassen kann.

Mit Ludivine Sagnier und Diane Kruger hat ausgezeichnete Darstellerinnen für die beiden Hauptrollen gefunden. Sagnier ("Swimming Pool") ist trotz ihrer 31 Jahre die perfekte Besetzung für die Kindfrau Lily, deren ungestüme Unschuld ebenso ansteckend wie belastend ist; Claires wachsender Zorn entlädt sich schließlich in einer erschreckenden Vision, als sie ihre Schwester kurzerhand in der Wanne ertränkt. Während Diane Kruger in ihren Hollywood-Filmen ("Troja") vor allem schön sein musste, beeindruckt sie als Claire durch eine reizvolle Mischung aus Fragilität, Selbstbewusstsein und unterdrückter Freiheitssehnsucht.

Natürlich ahnt man früh, worauf die Geschichte hinauslaufen wird. Das nimmt dem Film zwar einiges von seiner Spannung, schmälert aber die Leistungen der beiden Hauptdarstellerinnen nicht. Außerdem ist es äußerst erfrischend, wie Lily ihre Umwelt brüskiert, indem sie regelmäßig laut ausspricht, was andere vornehm verschweigen. Und ihre eigenwilligen Kunstwerke sind zwar ziemlich morbide, aber in hohem Maß faszinierend.