Militante Salafisten: Nicht viele, aber lautstark

Foto: Christian Jungeblodt/laif
Salafisten und rechtsextreme Gruppen in Deutschland hetzen sich gegenseitig auf, wie auf einer Demonstration gegen "Pro Deutschland".
Militante Salafisten: Nicht viele, aber lautstark
Eine Bonner Tagung zur "Herausforderung Salafismus" zeigt, warum Aufklärung äußerst wichtig, aber nicht gerade einfach ist. Denn auch wenn objektiv keine Islamisierung in Deutschland droht, ist die subjektive Wahrnehmung doch anders. Und die objektive Aufklärung dazu hat keine Quote.

Man kann ja einfach auch mal Glück haben, mit der Monate umfassenden Planung von Tagungen zum Beispiel. Bonn war am 5. Mai Schauplatz einer Eskalation von Gewalt, als sich junge radikale Salafisten am Rande einer antiislamischen Kundgebung der rechtsextremen Gruppierung "Pro NRW" eine Straßenschlacht mit Polizeikräften lieferten. 29 Beamte wurden verletzt, zwei von ihnen durch Messerstiche schwer.

"Bonn ist eine Salafisten-Hochburg", sagte vor wenigen Tagen die Berliner Arabistin Claudia Dantschke dem Rat der Bundesstadt. Alle Strömungen von Salafisten, die sich auf die Lehre vom "reinen Islam" der Altvorderen (arabisch "salaf") beziehen, seien in der Stadt anzutreffen. Detaillierte Hintergründe über Art und Umfang des Phänomens, das vor allem junge Männer aus Deutschland wie arabischen Ländern auf der Suche nach Orientierung in seinen Bann zieht, lieferte nun die in Bonn ansässige Evangelische Akademie im Rheinland.

Exstremistisch-islamistische Gruppen einordnen können

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Das Konzept der Tagung, atmosphärisch überwölbt von den gewaltigen Protesten in der arabischen Welt gegen das Anti-Islam-Video aus den USA: Einordnungswissen über jene extremistisch-islamistische Gruppierung zu liefern, die eine wachsende Zahl von Menschen beunruhigt. Nicht zuletzt diejenigen unter den moderaten Muslimen, die auf Dialog und friedliche Koexistenz der Religionen setzen. Unter solchen Umständen konnte das Konzept wohl nur aufgehen. "Ja", sagt ein älterer Teilnehmer,  ehemaliger Lehrer und Historiker, "einen Gewinn an Erkenntnis sehe ich für mich auf jeden Fall."

Salafisten weisen ein heterogenes Identitätsfeld auf. Es reicht von den puristischen introvertierten Gruppen bis hin zu gewaltbereiten Dschihadisten. Wie der Wissenschaftler F. W. Horst vom Interdisciplinary Center Herzliya (IDC) in Tel Aviv und Aladdin Sarhan vom Landeskriminalamt Rheinland-Pfalz in Mainz herausarbeiteten, beruht die aktuelle Brisanz auf jenen gewaltbereiten Extremisten, die demokratische und pluralistische Werte radikal ablehnen und sich im Kampf gegen "Ungläubige", mit international agierenden Terrorgruppen vernetzen. Ihr Hass richtet sich selbst gegen gemäßigte Muslime.

Salafisten wecken Gefühl einer kulturellen Bedrohung

Die Zahl der Militanten unter den rund 4.000 Salafisten, die nach Daten des Verfassungsschutzes in Deutschland leben, wird von den Experten mit etwa 200 angegeben. Das sind nicht viele, aber ihre Zahl und ihre Aktionen reichen völlig, um der rechtsextremen Partei "Pro NRW/Pro Deutschland" im Bemühen um Akzeptanz im bürgerlichen Lager eine neue strategische Front zu eröffnen. Die als exotisch geltende "Pro"-Bewegung habe einen besonders geeigneten Gegner gefunden, legte die Soziologin Karin Priester von der Universität Münster dar, um an das Gefühl vieler Menschen von kultureller Bedrohung anzuknüpfen. Auf den könne sie sich exemplarisch einschießen.

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Wie in einem Brennglas verdeutlichten die Diskussionen auf der Bonner Tagung, dass der Salafismus in verschiedener Weise polarisiert. Schlagzeilen und TV-Bilder von Gewaltaktionen von Islamisten bestätigen die Vorbehalte, die rund 60 Prozent der Deutschen mit der Lehre Mohammeds verbinden, wie eine Ende 2010 veröffentlichte Studie des Exzellenzclusters "Religion und Politik" an der Universität Münster ermittelte. Lediglich acht Prozent der Westdeutschen und fünf Prozent der Ostdeutschen halten danach den Islam für friedfertig.

Gehört der Islam zu Deutschland? Und die Salafisten?

Der Satz "Der Islam gehört zu Deutschland", kommentierte der wissenschaftliche Leiter der Studie Detlef Pollack die Befunde, "geht völlig am Empfinden der Deutschen vorbei". Mit dem Hinweis auf das geringe statistische Potential der militanten Salafisten suchten die Experten in Bonn, solchen Ängsten den Boden zu entziehen. Objektiv, resümierte Karin Priester, gebe es keinerlei Anzeichen für eine "Islamisierung" Deutschlands. Subjektiv sieht das bisweilen anders aus. Sie habe schlicht Angst, zu gewissen Zeiten bestimmte Straßen und Plätze in Bad Godesberg zu überqueren, gab eine Teilnehmerin über ihre Empfindungen Auskunft. Und eine Frau mit Kopftuch, die sich als Mutter von fünf Kindern vorstellte, bekannte, sie ängstige sich bei Fahrten mit Bus und Bahn, als Muslima mit radikalen islamistischen Gruppen in einen Zusammenhang gebracht zu werden. Die Deutschen dächten zu sehr "schwarz-weiß".

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Die stereotype Urteilsdimension, die den Islam mit dem Islamismus identifiziert, benannte auch Bekir Alboga, Beauftragter für interreligiösen Dialog der Türkisch-Islamischen Union der Anstalt für Religion (DITIB) in Köln, als neuerliche Gefährdung der Erfolge im interreligiösen Dialog – gerade jetzt im aufgeheizten Klima der Proteste gegen das Mohammed-Schmähvideo. Respekt sei angebracht, nicht wechselseitiges Misstrauen. Alboga: "Man kann auch respektvoll Kritik üben, ohne unsere Würde zu verletzen."

Für Toleranz gegenüber unterschiedlichen Glaubensrichtungen und eine differenzierte Sichtweise warb insbesondere Elmar Theveßen, stellvertretender Chefredakteur des ZDF: "Wir müssen sauber differenzieren und den Brandstiftern an unseren demokratischen Grundwerten entschlossen entgegentreten, ob es sich nun um Salafisten oder 'Pro NRW'-Aktivisten handelt." 

Medien haben nicht genug informiert

"Sauber differenzieren" kann allerdings nur jemand, der umfassend und fundiert informiert ist. Nach Meinung der Zuschauer scheinen die Medien, die Meinungsbildung und angemessenes Handeln erst ermöglichen, in der "Herausforderung Salafismus" eben diese Aufgabe teilweise oder gänzlich zu verfehlen. So beklagten sich Teilnehmer über ein Zuviel an "political correctness" oder das totale Ausblenden von Themen in der Berichterstattung von Tageszeitungen. Politiker schotteten sich ab, wenn sie mit dieser unpopulären Wahrheit konfrontiert würden. Und der gemeinwohlverpflichtete öffentlich-rechtliche Rundfunk?

Während Alboga – hier Diplomat – ein stärkeres Engagement von ARD und ZDF als wünschenswert benannte, beschrieb Theveßen die Grenze allen aufklärerischen Wollens selbst in einem Sender wie dem ZDF, der im Schnitt die Altersgruppe 60 plus erreicht. Die heutige Medienlandschaft sei von Prangerkulturen und Erregungswellen geprägt. Analytische Dokumentationen und Schwerpunkt-Wochen zum Islam stießen bei den Zuschauern nicht auf Interesse: "Die haben im ZDF keine Quote."