Der Stall mit dem Jesuskind ist überall

Krippen-Bastelbögen edition 8x8
© Foto: Mechthild Klein, evangelisch.de /Bastelbogen: Martin Graf, edition 8x8
Moderne Krippe zum Selbstbasteln aus Papier von dem Illustrator Martin Graf. Dem Jesuskind huldigt auch ein Astronaut.
Krippentrends
Der Stall mit dem Jesuskind ist überall
Die Tradition der Krippenfiguren sind noch nicht so alt. Keine 500 Jahre, sagt der Bibelwissenschaftler und Theologe Simone Paganini. Zwar probte Franz von Assisi mit echten Schafen und Menschen das erste Krippenspiel 1223. Doch dann dauerte es noch mal 300 Jahre bis in Prag erste Krippenfiguren entstanden. Heute stehen die Krippen mit dem Jesusbaby, Maria und Josef in vielen Kirchen und auch in Wohnzimmern. Was hinter den Krippenfiguren steht und warum neue Besucher dazukommen, das erläutert der Buchautor im Gespräch mit evangelisch.de

Weihnachten ist die Zeit der Krippendarstellungen. In vielen Wohnzimmern stehen heute kleine Krippen mit Maria, Josef und dem Jesuskind. Doch diese Darstellungsform ist recht jung. Die erste lebendige Krippe mit echten Schafen und Laiendarstellern gab es erst Heiligabend Anno 1223. Der heilige Franz von Assisi ist der Erfinder. Geschnitzten Figuren mit Stall und Stern wurden erst Mitte des 16. Jahrhunderts erfunden, sagt der Bibelwissenschaftler Simone Paganini.

Der Beginn der Krippenspiele in Italien fällt in die Zeit des Mittelalters. Damals gab es nur wenige, die lesen und schreiben konnten. Es war eine Zeit der religiösen Splitterbewegungen, die miteinander konkurrierten. "Und Franz von Assisi hatte die geniale Idee für Menschen ohne große Bildung sich auf das Wesentliche der Bibel zu konzentrieren", sagt der Bibelwissenschaftler Simone Paganini von der Rheinisch-Westfälischen Technischen Hochschule in Aachen. Franziskus beschäftigte sich nicht mit "theologischen Spitzfindigkeiten wie der Trinität und wie viele Naturen es in Jesus gibt" oder gar "wer die richtigen Ketzer sind", sprudelt der Theologe los. Der Ordensmann fragte, was das Wesentliche der christlichen Botschaft sei. Und das sei, dass Jesus - also Gott - Mensch geworden sei. 

Und damit diese Botschaft die einfachen Menschen verstehen, veranstaltete Franziskus eine lebendige Krippenszene in einem Wald mit einem Stall. Mit echten Schafen und einer Krippe. Mit einem echten Baby, einem Mann und einer Frau, die Maria und Josef darstellen. Erst 300 Jahre später wird in Prag die erste Krippe mit Figuren in einer Kirche aufgestellt. Langsam breitete sich Darstellungsform im Alpenländischen Raum aus. Die Darstellungen werden zu sakralem Kunsthandwerk. Sie zogen erst in die Kirchen ein, dann in den Häuser der reichen Kaufmänner und Adeligen. Die Krippen werden dann im Laufe der Zeit zum Symbol des Katholizismus, während der Weihnachtsbaum zunächst zum Symbol des Protestantismus wird. Aber die Grenzen sind schon lange verschwunden.

In den vergangenen 30 Jahren haben sich sowohl die Krippe als auch der Weihnachtsbaum verselbstständigt. Und zwar auf dem Kunstmarkt und in der Konsumwelt. Es sind Darstellungen entstanden, die nicht mehr unbedingt mit einer religiösen Darstellung zu tun haben. Besonders im süddeutschen und europäischen Raum rund um die Alpen sind Krippendarstellungen ein kulturelles Phänomen geworden, sagt Paganini, der selbst aus Tirol stammt. So gibt es auf dem Land Krippenvereine, Krippenbauer, das waren ursprünglich Bauern, die im Winter Krippenfiguren schnitzten. Sie arbeiteten zwar auch mit den Kirchen zusammen, sind aber ansonsten selbstständig. Es gibt Krippenmuseen und Vereine, die völlig autark und unabhängig von dem existieren, was die Religion sagt, erläutert der Theologe. Obwohl es um die Geburt Jesu gehe. Der Tannenbaum sei dagegen viel weiter entfernt von der Weihnachtsgeschichte, den hätten auch Nicht-Christen im Wohnzimmer stehen.

Heute entfernten sich die Menschen zwar von den Inhalten ihrer Religion, aber sie blieben an den Traditionen hängen, sagt der Bibelforscher. Die Krippen würden weiter aufgestellt zu Weihnachten und am 6. Januar, mit den Heiligen Drei Königen, die dem Jesuskind huldigen, mit ihren Geschenken. "Das bleibt als Kulturgut, das sich verselbstständigt und weiterentwickelt", sagt er. Die Krippen bekämen eine innere Bedeutung, welche die religiösen Werte auch retteten, fügt er hinzu. Noch bekannter sei nur der Nikolaus, den in Deutschland fast 100 Prozent der Bevölkerung kennen, auch die Muslime. Dieser Geschenkebringer sei aber eine transreligiöse Figur.  

Die Krippenvereine im Alpenraum oder Krippenmuseen in Süddeutschland, Österreich, Italien oder der Schweiz seien nicht religiös. Paganini verweist auf das Krippenmuseum in Innsbruck. Das besuchten sehr viele Chinesen, in ganzen Busladungen. Sie verstünden nicht unbedingt den theologischen Gehalt, aber es sei eben Kunst. "Ähnlich wie wir auf altägyptische Ausstellungen gehen, wir glauben nicht dran und nehmen es als Kunst war", erklärt er. 

Aber für Menschen, die an die Weihnachtsgeschichte glauben, habe die Krippe "auf allen Erdteilen ein großes Identifikationspotential". Weil die Geburt Jesu ein geschichtliches Ereignis sei, das damals stattgefunden habe. Daher könne man es aktualisieren und in die eigene Epoche übertragen. So wie die Krippen-Figuren in Schwarzafrika die Gesichtszüge der Menschen trügen, die dort leben. Und in Südamerika stünden am Stall keine Schafe, sondern die heimischen Lamas. So würden auch die jeweiligen lokalen Landschaften ihrer Zeit um die Krippe abgebildet. Sei es nun als Alpenlandschaft oder als Savannenlandschaft oder mit in Großstädten mit Häuserkulisse im Hintergrund. Mit keinem anderen christlichen Symbol geschehe das auf diese Weise, beobachtete der Bibelwissenschaftler.   

Viel Projektionsfläche bei dieser minimalistischen Krippe von sugartrends.

So hat Paganini in seiner Familie beispielsweise ein Krippen-Erbstück, dass von der Oma weitergegeben wurde. Die Krippe steht nicht in einer Höhle oder in einem Stall wie in Palästina üblich, sondern es ist ein südtiroler Bauernhof. Im Innsbrucker Dom habe die Krippendarstellung als Hintergrund die Tiroler Berge. Das heißt für Pagagini: "Jesus wird genau da geboren, wo ich das brauche".

Heilige Drei Könige reisen mit Bagger an

Das passiere nicht mit Pfingsten noch mit einem anderen christlichen Ereignis oder Symbol der Bibel, sagt Paganini, der schon viele Bücher über das Thema geschrieben hat. Die Aktualisierung geschehe ganz einfach: Und so findet auch schon mal eine Astronauten-Figur den Weg in die Krippe. "Wenn kleine Kinder auf Astronauten stehen oder auf Bagger stehen. Dann spricht nichts dagegen, wenn die heiligen drei Könige mit dem Bagger kommen."

Die Idee, was schenke ich dem neugeborenen Jesus - das mag viele Kinder inspiriert haben, ihr Spielzeug in die Krippe zu stellen. Paganini sieht darin "einen Katechismus im Kleinen". Da kämen die Menschen oder Kinder mit dem besten, was sie haben. Und manchmal sei das eben ein Bagger oder ein Astronaut, der zum Stall mit dem Jesuskind fährt. Historisch sei es nicht, aber was historisch gewesen sei, spielte schon beim heiligen Franziskus keine Rolle. 

Ochse und Esel an der Krippe - ein Übersetzungsfehler

In dem Moment, wo man Ochse und Esel in die Krippe stelle, sei man schon weg von der Historie. Die Tiere kämen nämlich nicht in den Evangelien vor, sondern gingen auf einen Übersetzungsfehler aus dem Buch des Propheten Habakuk 3 zurück. Die Prophezeiung des Propheten Habakuk bedeutete eigentlich, dass der Messias zwischen zwei Zeitaltern geboren werde. Daraus wurde aber "zwischen zwei Tieren". Das hatte "riesige Folgen" für die junge christliche Tradition. Man musste plötzlich zwei Tiere finden. Wurde dann aber fündig bei Jesajah 1,3. Demnach erkennen Ochse und Esel die Krippe des Herrn, aber das Volk Israel erkennt es nicht. Eine innerjüdische Kritik wurde zu einer antijüdische Polemik, die auf die Krippe projiziert wurde, bemerkt Paganini.

Und so lesen die ersten Christen, Ochs und Esel hätten Gott erkannt, aber das Volk Israel nicht. Deshalb sieht man auf den ersten Geburts-Darstellungen aus dem 4. Jahrhundert zwar Ochs und Esel, die das Jesuskind in Windeln flankieren, die Jesus quasi erkennen. "Aber ohne Maria und Josef, die ja Juden waren", erläutert der Wissenschaftler. So eine Darstellung findet sich etwa auf dem Mailänder Stadttorsarkophag, dem sogenannten "Sarkophag des Stilicho". In den frühsten Geburtsdarstellungen gab es offenbar keine heilige Familie. Die nächsten Symbole, die dazu kamen, um eine bestimmte Botschaft zu vermitteln, seien die heiligen drei Könige als Vertreter der drei großen Kontinente, die damals bekannt waren. Das bedeutete: die ganze Welt betet Jesus an. Und das Gleiche passiere, wenn Menschen weitere Figuren in die Krippe stellten, sagt Paganini. Der Kreis weitet sich. 

Die ersten figürlichen Krippen-Darstellungen etwa aus Prag aus dem Jahr 1562 waren der Versuch einer Gegenreformation, der etwa von den Jesuiten gefördert wurde. Im 17. Jahrhundert tauchten dann erste Krippendarstellungen mit der heiligen Familie samt Ochs und Esel als Bibeldarstellung der Armen auf. In München und Wien und dann weiter im Alpenraum. 

Der Bibelwissenschaftler Simone Paganini sieht in Krippengestaltungen eine Möglichkeit für Menschen, ihre individuelle Lebenswelt mit der Weihnachtsbotschaft zu verknüpfen.  

Was es allerdings laut Paganini weniger gibt, ist die Krippenszene als Spielzeug für Kinder. "Es gibt zwar eine starke profane Vermarktung biblischer Geschichten, wie der Arche Noah für Kinder, David gegen Goliath oder von Jona und der Walfisch bei Playmobil, Lego und anderen Anbietern", sagt er. Aber Spielzeughersteller halten sich da von Ausnahmen abgesehen meistens zurück. Wenn man sich nämlich eine Krippe kaufe, dann schwinge da "immer eine religiöse Bedeutung" mit. Selbst wenn sie nur aus Bauklötzen sei. Der Theologe deutet die Zurückhaltung bei Krippen als Kinderspielzeug als ein Zeichen des Respekts gegenüber einem Ereignis, das für sehr viele Menschen in der Kultur noch von großer Bedeutung sei. Doch das wandelt sich gerade.