20. November, ARD, 20.15 Uhr
Der Krimi beginnt mit der Entführung einer Reporterin, die für die Boulevardpostille "flash" arbeitet. Das Sensationsblatt ist bekannt dafür, Tatsachen zu verdrehen und Lügen in die Welt zu setzen; Hauptsache Aufmerksamkeit.
Der Entführer veröffentlich ein Video, das zunächst wie ein Rätsel wirkt: Es zeigt eine rasche Abfolge Dutzender Kinderfotos; mit seiner Hand sendet der Mann, dessen Kopf eine Mausmaske mit riesigen Ohren bedeckt, Lichtsignale. Eine Uhr zeigt einen Countdown: 24 Stunden, dann wird die Journalistin (Elisabeth Baulitz) sterben. Die Bilder, stellt sich raus, zeigen 150 verschwundene Kinder und Teenager. Die Signale entpuppen sich als Koordinaten, die zu einem Bistro führen. Ein entsprechender SEK-Einsatz bleibt ergebnislos, doch die Botschaft sollte ohnehin kein Hinweis auf den Aufenthaltsort des Verbrechers und seines Opfer sein.
Tilmann P. Gangloff, Diplom-Journalist und regelmäßiges Mitglied der Jury für den Grimme-Preis, schreibt freiberuflich unter anderem für das Portal evangelisch.de täglich TV-Tipps und setzt sich auch für "epd medien" mit dem Fernsehen auseinander. Auszeichnung: 2023 Bert-Donnepp-Preis - Deutscher Preis für Medienpublizistik (des Vereins der Freunde des Adolf-Grimme-Preises).
Auch die Fotoserie ist nicht komplett, denn ein Teenager fehlt: Vor einiger Zeit ist die damals 17jährige Zoe Sobotta verschwunden. Für "flash" stand außer Frage, dass der Vater seine Tochter auf dem Gewissen hat, aber Michael Sobotta (Hans Löw) glaubt, die Wahrheit zu kennen: Das Mädchen ist ebenso wie die 150 anderen im Auftrag der Dresdener High Society entführt worden. Die Kinder werden irgendwo in einem Keller gefangen halten.
Wer sich mit Verschwörungen auskennt, wird die Geschichte wiedererkennen: Dieser Mythos wird von QAnon verbreitet, einer Gruppe, die Donald Trump verehrt und überzeugt ist, eine weltweite satanistische Elite gewinne aus dem Blut von Kindern ein Verjüngungsserum; während des US-Wahlkampfs 2016 erhielt dieser Humbug unter dem Schlagwort "Pizzagate" traurige Berühmtheit.
Weil die Polizei Sobottas Forderung, die Kinder und Jugendlichen zu befreien, natürlich nicht erfüllen kann, erschießt er die Reporterin vor laufender Kamera. Damit ist die Sache aber noch lange nicht ausgestanden, denn sein nächstes Opfer ist Kriminalhauptkommissar Schnabel (Martin Brambach); dem Duo Gorniak und Winkler (Karin Hanczewski, Cornelia Gröschel) bleiben 24 Stunden, um den Chef zu retten.
Der Film ist zwar kein Hochspannungs-Thriller wie die formidable Dresden-Episode "Das Nest" (2019), knüpft aber nicht zuletzt wegen des packenden Finales mühelos an die Qualität der MDR-Krimis "Parasomnia" (2020) und "Unsichtbar" (2021) an; der Sender sorgt mit seinem "Tatort" ohnehin seit Jahren regelmäßig für inhaltliche Originalität und herausragende Inszenierungen.
Wie mit Entführer verhandeln, der die Realität verleugnet?
Das gilt auch für "Katz und Maus", selbst wenn die Identität des Täters nach exakt einer halben Stunde feststeht und die Dramatik nun vor allem aus der Frage resultiert, ob es den Kommissarinnen gelingen wird, Schnabel zu retten. Trotzdem hat das Drehbuch von Jan Cronauer und Stefanie Veith noch einige Überraschungen zu bieten, die unter anderem aus der Wirklichkeitsignoranz des Entführers resultieren. Darin besteht auch die große Herausforderung für Gorniak und Winkler: Wie sollen sie mit einem Mann verhandeln, der die Realität leugnet?
Die detailreiche Handlung ist auch dank ihrer vielen Verweise auf weitere Verschwörungserzählungen eine Klasse für sich. Ein junger Website-Betreiber (Paul Ahrens) erklärt, warum diese Mythen unwiderlegbar sind: die Tatsache, dass sie nicht bewiesen werden können, ist aus Sicht der Gefolgschaft Beweis genug. Abgesehen davon glaube ohnehin jeder, was er glauben wolle. Er rät den Polizistinnen, Feuer mit Feuer zu bekämpfen und Sobotta mit dessen eigenen Waffen zu schlagen. Als alle anderen Bemühungen scheitern, lässt sich Winkler tatsächlich auf ein gewagtes Spiel ein.
Obwohl die Spannung in der zweiten Hälfte ganz anderer Art ist als im ersten Drittel, behält der Film seine hohe Intensität bei. Auch die handwerkliche Qualität ist beeindruckend, zumal "Katz und Maus" der erste Krimi von Gregory Kirchhoff ist. Mit 29 Jahren ist er laut MDR der bislang jüngste "Tatort"-Regisseur; zuvor hat er unter anderem die Hallervorden-Komödie "Ostfriesisch für Anfänger" gedreht. Die Bild- und Lichtgestaltung seines Stammkameramanns Dino von Wintersdorff ist ebenso vorzüglich wie die sehr besondere Musik von Lucas Ezequiel Zavala.