Die Kommissarin hat zwar andere Gründe, dem Fest fernzubleiben, aber es bleibt ihr trotzdem keine Wahl: Zur Einstimmung auf die Feier will Wortführerin Nadia eine Zeitkapsel ausgraben, die sie vor 25 Jahren im Stadtpark verbuddelt hat. Weil die Frau zu großen Gesten neigt, lässt sie die anderen an diesem Ereignis teilhaben. Auf diese Weise ist die gesamte Klasse live dabei, als sie erschlagen wird.
Ein Prolog ist immer ein Versprechen, dem der Rest des Films allerdings oft genug nicht gerecht wird. Im Fall von "Schulzeit", dem neunzigsten Fall für das "Starke Team" aus Berlin, folgt auf die originelle Einstiegsidee jedoch ein Krimi, der ständig für Überraschungen sorgt. Außerdem beschert das Drehbuch Stefanie Stappenbeck endlich mal wieder richtig viel Spielmaterial.
Diesmal darf sie eine Seite Linetts ausleben, die der Kollege Garber (Florian Martens) bislang nicht an ihr kannte, denn auf der Polizistin lastet eine alte Schuld: Am Tag der Zeugnisübergabe ist Mitschülerin Ulrike Opfer eines grausamen Streichs geworden. Noch am selben Abend ist sie in der Schule aus einem Fenster gestürzt, nach offizieller Darstellung ein tragischer Unfall, aber Linett weiß es besser: Die Erniedrigung vor den Augen der johlenden Klasse hat Ulrike derart tief getroffen, dass sie sich das Leben nehmen wollte. Linett macht sich bis heute Vorwürfe: weil sie ihr damals nicht beigestanden hat.
Tilmann P. Gangloff, Diplom-Journalist und regelmäßiges Mitglied der Jury für den Grimme-Preis, schreibt freiberuflich unter anderem für das Portal evangelisch.de täglich TV-Tipps und setzt sich auch für "epd medien" mit dem Fernsehen auseinander. Auszeichnung: 2023 Bert-Donnepp-Preis - Deutscher Preis für Medienpublizistik (des Vereins der Freunde des Adolf-Grimme-Preises).
Vor diesem Hintergrund erzählt Timo Berndt, der zuletzt viele Drehbücher für die ZDF-Reihe "Die Toten vom Bodensee" geschrieben hat, eine Geschichte, die Linett mit den Dämoninnen ihrer Vergangenheit konfrontiert: Neben der nun toten Nadia hatte auch Mitschülerin Anh (Minh-Khai Phan-Thi) maßgeblichen Anteil daran, dass die Kommissarin die Erinnerungen an die Schulzeit am liebsten aus ihrem Gedächtnis streichen würde.
Die beiden Mädchen haben sich damals einen Spaß draus gemacht, andere zu schikanieren, und die arrogante Anh hat sich kein bisschen verändert. Sie ist heute mit Linetts Jugendliebe Hendrik (David Rott) verheiratet, dem beim Wiedersehen offensichtlich durch den Kopf geht, ob er nicht die falsche Wahl getroffen hat. Linett wiederum stellt sich die Frage, ob Ulrikes Demütigung etwas mit dem Tod der verwitweten Nadia zu tun hat. Hat vielleicht jemand in ihrem Namen Rache genommen? Womöglich ihr verbitterter Vater (Jürgen Heinrich), dessen Grundstück Anh unbedingt kaufen will? Aber warum erst jetzt? Und gibt es einen Zusammenhang zwischen Ulrikes Sturz und dem Diebstahl ihrer Zeitkapsel?
Schon allein die personelle Gemengelage sorgt dafür, dass "Schulzeit" nicht nur im Rahmen der Reihe besonders sehenswert ist, zumal auch die obligate Nebenebene interessant ist: Als Hauptverdächtige gelten Nadias von Harriet Herbig-Matten als eisige Prinzessin verkörperte minderjährige Stieftochter Juna und ihr tätowierter Freund (Felix Kruttke), der erhebliche Spielschulden hat.
Die junge Schauspielerin hatte bereits großen Anteil am hohen Unterhaltungswert des tragikomischen Degeto-Familiendramas "Nie zu spät" (2022, mit Heino Ferch als Flugkapitän, der endlich lernen muss, ein guter Vater zu sein), und wird bestimmt demnächst eine größere Rolle in einem ZDF-Sonntagsfilm bekommen. Weil das Handlungszentrum besetzt ist, muss sich Garber mit Kommentaren begnügen, die Florian Martens allerdings unverwechselbar knochentrocken vorträgt, was den Witz prompt verdoppelt.
Gleichzeitig erweist sich der Kollege als wahrer Freund: Im Gegensatz zu Linett, der die Ermittlungen sichtlich an die Nieren gehen, sieht er die Konfrontation mit den Chimären der Schulzeit als Chance, das Vergangene endlich hinter sich zu lassen.
Anders als bei einigen früheren Beiträgen Martin Kinkels für "Ein starkes Team" (etwa "Familienbande", 2017, oder "Man lebt nur zweimal", 2021) entspricht diesmal auch die Umsetzung der hohen Qualität des Drehbuchs, dem es sogar gelingt, das Revierfaktotum Sputnik (Jaecki Schwarz) berührend und schlüssig in die Handlung zu integrieren. Die Kamera ist fast immer in sanfter Bewegung, was auch den vielen Dialogszenen eine kaum merkliche Dynamik verleiht.
Auffällig ist zudem die Lichtgestaltung: Optisches Merkmal der Reihe war in den letzten Jahren eine betont kühle Atmosphäre, die bei den Innenaufnahmen durch das Blauschwarz von Kleidung und Ausstattung zusätzlich betont wurde. Kinkel und sein Kameramann Henning Jessel haben den Bildern jedoch eine herbstliche Anmutung gegeben, die mit ihren warmen Farben die heimelige Stimmung eines "Herzkino"-Films verbreitet; ein klarer Kontrast zu der klirrenden Kälte, die die Szenen mit Juna und Anh ausstrahlen. Besonders gelungen ist eine Schlüsseleinstellung, in der eine Figur im Vordergrund in der Wärme und eine andere im Hintergrund in kaltem Licht steht. Eine kleine Freude am Rande sind schließlich die Jugendfotos der Mitwirkenden.
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