Das Spektrum reicht von Science Fiction ("Edge of Tomorrow", 2014) bis zur schwarzhumorigen Horrorkomödie ("Happy Deathday", 2017). Das Sujet wird ohnehin gern für tragikomische Geschichten nutzt, auch im deutschen Fernsehen ("Annas Alptraum kurz nach 6", 2007). Das Drehbuchduo Maximilian Baumgartner und Oliwia Strazewski aber hat das Genrekonzept um eine wesentliche Variante erweitert: In der Regel weiß nur eine Person von der Zeitschleife; der Rest der Menschheit hat keine Ahnung, dass sich die Welt im Kreis dreht. Das glaubt zunächst auch Freya Hüller (Susanne Bormann); bis sie rausfindet, dass sie mit ihrem Wissen nicht allein ist. Und noch etwas unterscheidet "Another Monday" von anderen Produktionen dieser Art: Baumgartner und Strazewski nehmen die Herausforderung ernst. Zwar suchen auch die Hauptfiguren der anderen Geschichten nach einem Ausweg aus ihrem temporalen Hamsterrad, aber oft ist der Ansatz komisch oder romantisch oder beides. Die sechsteilige Neo-Serie ist keins davon, wie schon der Einstieg verdeutlicht: Ein Mann holt sich eine Dose Bier aus dem Kühlschrank, öffnet sie und stürzt sich dann übers Balkongeländer in die Tiefe. Dann folgt der Schnitt auf Freya und ihren Mann Malte (Ulrich Brandhoff). Es ist 2.13 Uhr. Fortan wird die Serie regelmäßig zu diesem Moment zurückkehren. Egal, was vorher passiert ist und wie sehr sich das Paar eben noch bis hin zur rohen Gewalt gestritten hat: Jeder verdammte Montag beginnt mit Sex.
Tilmann P. Gangloff, Diplom-Journalist und regelmäßiges Mitglied der Jury für den Grimme-Preis, schreibt freiberuflich unter anderem für das Portal evangelisch.de täglich TV-Tipps und setzt sich auch für "epd medien" mit dem Fernsehen auseinander. Auszeichnung: 2023 Bert-Donnepp-Preis - Deutscher Preis für Medienpublizistik (des Vereins der Freunde des Adolf-Grimme-Preises).
Natürlich spielt Musik auch in "Another Monday" eine wichtige Rolle. In "Und täglich grüßt das Murmeltier" erwachte Phil Connors (Bill Murray) jeden Morgen zu "I Got You Babe" von Sonny and Cher. In der Serie ist es Fats Domino, der allmorgendlich mit "Blue Monday" grüßt. Der Radiomoderator fragt nach dem Geburtsland von Sigmund Freud, Malte, promovierter Psychologe, sagt Österreich, Tochter Charlie (Emilie Neumeister) unterläuft ein Missgeschick; und so weiter. Dabei ist dieser Montag kein Tag wie jeder andere, denn Freya will ihren Mann verlassen. Bei der Autofahrt fällt ihr Telefon in den Fußraum, und wenn das im Film geschieht, passiert prompt ein Unglück; tatsächlich wird ihr Wagen fast von einem LKW gerammt. Später wird dieser Moment noch mal wichtig, denn Freya entdeckt, dass der Polizist Moritz Becker (Ben Münchow), ein Patient ihres Mannes, ebenfalls von der Zeitschleife weiß. Eine Parallele zwischen beiden ist die erlebte Todesangst, wie Freya mit Hilfe eines grausamen Experiments am Familienhund Daphne entdeckt. Aber ihr Schicksal könnte auch eine Strafe sein, denn beide tragen schwer an einer Schuld. Der vom Dienst freigestellte Becker hat deshalb schon mehrfach versucht, sich das Leben zu nehmen, doch der Zeitstrudel spuckt ihn immer wieder ins Dasein zurück; kein Wunder, dass er glaubt, in einer Art Hölle zu sein. Malte wiederum hält Freyas Zustand für eine Reaktion auf ein traumatisches Erlebnis, das sie vor einiger Zeit hatte; seither hat sie den Draht zu ihrer Tochter verloren. Der hochschwangeren Krankenschwester Sophie (Alina Stiegler), die täglich aufs Neue das Leben eines Patienten (Vedat Erincin) rettet, bevor er eine Lungenembolie erleidet, ist ausgerechnet an diesem Montag etwas Ähnliches widerfahren. Sie fällt den beiden anderen auf, als sie nach Menschen suchen, deren Tagesablauf vom gestrigen abweicht, wie zum Beispiel der Radiomoderator, der eines Montagmorgens von seiner Musikliste abweicht: Er ist zu spät gekommen, weil ihm sein Fahrrad geklaut worden ist. Deshalb entwickelt Becker eine Domino-Theorie: Sollte die Zeitschleife das Ergebnis einer Kettenreaktion sein, ließe sich der Kreislauf vielleicht stoppen, wenn sie ihn zu seinem Ausgangspunkt zurückverfolgen.
Schon allein diese Vorstellung deutet an, wie sich die Komplexität der Geschichte entwickelt; zwischenzeitlich wirkt Becker wie jemand, der nach einem Lawinenabgang den Stein sucht, der die Lawine ins Rollen gebracht hat. In der ansonsten weitgehend überflüssigen Folge fünf sinniert das Trio über die "Matrix"-Frage (rote oder blaue Pille, Freiheit oder Illusion): Sollen sie ihre Mitmenschen "erwecken"? Oder ist Unwissenheit nicht auch ein Segen? 2017 haben Baumgartner und Strazewski mit dem Drehbuch begonnen, und es lässt sich lebhaft vorstellen, wie sie immer wieder neue Einfälle gefunden und verworfen haben. Das Ergebnis der jahrelangen Arbeit ist eine oftmals um die Ecke gedachte und entsprechend reizvolle Mischung aus Familiendrama und Mystery-Serie; die Umsetzung durch Esther Bialas und Nathan Nill ist bis ins kleinste Detail stimmig. Vor allem aber ist "Another Monday" gerade dank des naturalistischen Erzählstils weit mehr als bloßer Zeitvertreib. Faszinierend ist nicht zuletzt der unterschiedliche Umgang der Betroffenen mit dem Phänomen: Die einen empfinden die Zeitschleife wie einen Sisyphus-Fluch, andere versuchen, gemäß der Devise "Genuss ohne Reue" das Beste draus zu machen. Das ist auch die deprimierende Botschaft des etwas plötzlichen dystopischen Schlusses: Wenn es kein Morgen gibt, bleibt jede Tat folgenlos; stirb jetzt, zahl’ später. Neo zeigt heute die Folgen vier bis sechs, die ersten drei stehen in der ZDF-Mediathek.