Zunächst scheint Alexander Dierbach (Buch und Regie) eine nicht unübliche Krimi-Geschichte zu erzählen: Als ein Angler einen Hecht ausnimmt, entdeckt er im Magen des Tiers menschliche Fingerknochen. Polizeichef Kelly (Declan Conlon) glaubt, dass sie einer Frau gehören, die vor einiger Zeit verschwunden ist. Ihr Auto wurde am Meer gefunden; offenbar war sie hinausgeschwommen und nicht mehr zurückgekehrt. Kelly ist überzeugt, dass der Ehemann, Erik Bell (Rainer Bock), seine Gattin getötet und die Tat als Suizid kaschiert hat, aber mehrere Zeugen bestätigten, er habe sich zur Tatzeit in einem Spielcasino aufgehalten. Tatsächlich galt Bell als spielsüchtig, deshalb war er auch bei Cathrin in Behandlung.
An dieser Stelle kommt das Grundmotiv der Geschichte ins Spiel: Es geht um Vertrauen. Conlon bittet Cathrin um Hilfe, dabei will er sie bloß aushorchen. Auch Bell sagt nicht die ganze Wahrheit. Dass die Psychologin mit beiden Männern befreundet ist, macht die Dinge nicht gerade leichter. Für Lichtblicke sorgt die Beziehung zum Austernhändler Matt (Thomas Sarbacher), den sie im vorhergehenden Film bei den Anonymen Alkoholikern kennengelernt hat; aber selbst Matt ist nicht der, der er zu sein vorgibt.
Dieser Konstellation verdankt die Handlung ihre hintergründige Spannung, zumal die Konfrontation nur dank eines entsprechenden Ensembles funktioniert; anders als Matthias Tiefenbacher in "Familienbande" konnte Dierbach mit deutschen Darstellern arbeiten. Sowohl Sarbacher wie auch Bock haben in der Vergangenheit Sympathieträger und Schurken verkörpert. Dieses Vorwissen trägt maßgeblich dazu bei, ihre Rollen in der Schwebe zu halten.
Tilmann P. Gangloff, Diplom-Journalist und regelmäßiges Mitglied der Jury für den Grimme-Preis, schreibt freiberuflich unter anderem für das Portal evangelisch.de täglich TV-Tipps und setzt sich auch für "epd medien" mit dem Fernsehen auseinander. Auszeichnung: 2023 Bert-Donnepp-Preis - Deutscher Preis für Medienpublizistik (des Vereins der Freunde des Adolf-Grimme-Preises).
Bei Matt begnügt sich der Regisseur mit kleinen inszenierten Andeutungen, aber über Bell schwebt neben dem Mordverdacht ein weiterer Vorwurf: Er hat früher in einer von seiner Frau geleiteten psychiatrischen Klinik gearbeitet, dort soll es zu erheblichen Misshandlungen gekommen sein. Wenn er nicht selbst beteiligt war, so hat er die Vorfälle womöglich zumindest geduldet. Cathrin hat das immer für üble Nachrede gehalten, aber Kelly zeigt ihr die Tagebücher seines verstorbenen dementen Vaters. Dass der Polizist auch ein persönliches Motiv hat, Bell zu überführen, bereichert die Geschichte um ein weiteres reizvolles Element, ebenso wie der Exkurs in die irische Psychiatriegeschichte, die offenbar einige ziemlich düstere Kapitel enthält.
Dierbach hat viele gute Krimis gedreht, darunter einige vorzügliche "Helen Dorn"-Episoden. Dass er auch ein ausgezeichneter Drama-Regisseur ist, hat er mit "Weil du mir gehörst" (2020, ARD) bewiesen, einem deprimierenden, aber herausragend gut gespielten Film mit Felix Klare als entsorgter Vater und Julia Koschitz als Mutter, die ihr Kind manipuliert, sowie zuletzt mit "Wo ist die Liebe hin" (2022), einem Ehedrama, in dem ein harmonisches Verhältnis in kürzester Zeit auseinander bricht.
Auch "Preis des Schweigens" lebt in erster Linie von der Beziehungsebene: Viele Jahre nach dem mysteriösen Tod ihres Mannes scheint Cathrin mit Matt endlich ein kleines Glück gefunden zu haben, zumal der ehemalige Koch ähnlich viele Höhen und Tiefen erlebt hat wie sie. Eine der eindrücklichsten Szenen zeigt die beiden in einem mittlerweile zu einer Ruine verkommenen Anwesen; hier war die in Verruf geratene psychiatrische Klinik untergebracht.
Gegenentwurf zu den Krimi- und Emotionsebenen sind die Momente mit Bell und der kleinen Sophie. Er ist Kinderpsychiater, sie hat ihre Eltern bei einem Unfall verloren; seither spricht sie nicht mehr. Stattdessen verfasst sie Briefe, die sie gemeinsam mit dem Arzt, der das Mädchen gern adoptieren möchte, in kleinen Kästchen am Fuß von Bäumen vergräbt. Sie hofft, dass die Wurzeln aufnehmen, was sie geschrieben hat, damit ihre Botschaft von den Vögeln in den Himmel zu den Eltern getragen wird.
Allein dieses schmerzlich-schöne Bild zeigt, in welchem Geist Dierbach sein Drehbuch verfasst hat. "Wie erkennt man die Guten und die Bösen?", will Matt gegen Ende von Cathrin wissen. Bei einer der Figuren handelt es sich um eine manipulative Persönlichkeit, und natürlich lebt der Film vor allem von der Frage, welcher der Männer das sein mag.