Vermutlich ist es gar nicht so leicht, einen Krimi im Volksmusik-Milieu anzusiedeln und dabei auf Spott und Häme zu verzichten. In keinem anderen Bereich der Unterhaltungsindustrie klaffen Schein und Sein derart auseinander wie hier: Die Texte spekulieren auf die Sehnsucht nach einer heilen Welt, wie sie nur in reaktionären Fantasien existiert, und nicht wenige der Mitwirkenden würden viel lieber ganz andere Musik machen.
Andererseits gibt es eine Menge Menschen, die die schlichten Klänge mögen, ohne deshalb gleich in die rechte Ecke zu gehören; und die will die ARD, jahrzehntelang Heimat des "Musikantenstadls", sicher nicht unnötig vor den Kopf stoßen. Trotzdem erfreut der siebte Fall für Sascha Bergmann (Hary Prinz) durch einige Seitenhiebe: Der Chefinspektor aus Graz, musikalisch eher in der Kategorie David Bowie und Bryan Ferry daheim, macht aus seiner Abneigung gegen Humtata keinen Hehl, zumal ihm der Fall allerlei Vorlagen bietet.
Der Film beginnt mit dem neckischen Treiben zweier junger Frauen irgendwo in der Provinz: Jana und Alex sind ganz offenkundig schwer ineinander verliebt. Tags drauf ist Alex tot. Die Mordmethode ist ebenso heimtückisch wie perfekt: Jemand hat die Luftzufuhr zum Ofen gedrosselt, einen Schwelbrand verursacht und den Kamin mit einem Handtuch verstopft; Alex ist an einer Vergiftung durch den "stillen Killer" Kohlenmonoxid gestorben.
Kaum sind Bergmann und seine Kollegin Anni Sulmtaler (Anna Unterberger) im Dorf eingetroffen, sind sie von Verdächtigen geradezu umzingelt: Das Trio "Jana und die Lausbuam" steht kurz vor dem Durchbruch. In der Steiermark sind die drei schon weltberühmt, eine Deutschland-Tournee soll ihnen auch jenseits der Grenze viele Fans bescheren.
Der kommende Star am Volksmusik-Himmel ist jedoch eindeutig Jana (Emily Cox); ohne ihre Sängerin wären ihr Bruder Dominik (Daniel Langbein) und ihr Mann Hubert (Stefan Gorski) bloß ein Akkordeonspieler und ein Posaunist, für die sich niemand interessiert. Eine lesbische Beziehung passt ohnehin nicht ins Weltbild der Szene, aber Jana wollte die Volksmusik zudem gänzlich hinter sich lassen und gemeinsam mit Alex (gespielt von Pop- und Folksängerin Anna F.) neue Indie-Pop-Wege beschreiten.
Prompt sind alle verdächtig, die großes Interesse daran haben, dass Jana ihren "Lausbuam" treu bleibt, und zu dieser Gruppe gehört neben ihrer kompletten Familie sowie Alex’ rauschgiftsüchtiger Ex-Freundin selbstredend auch der deutsche Musikproduzent Jack Riedl (Sascha Alexander Geršak), der bereits viel Geld in die vielversprechende Karriere des Trios investiert hat. "Volksmusik macht glücklich", behauptet Riedl; in diesem Fall war sie tödlich.
Tilmann P. Gangloff, Diplom-Journalist und regelmäßiges Mitglied der Jury für den Grimme-Preis, schreibt freiberuflich unter anderem für das Portal evangelisch.de täglich TV-Tipps und setzt sich auch für "epd medien" mit dem Fernsehen auseinander. Auszeichnung: 2023 Bert-Donnepp-Preis - Deutscher Preis für Medienpublizistik (des Vereins der Freunde des Adolf-Grimme-Preises).
Neben den bissigen Kommentaren Bergmanns nicht nur über die Volksmusik-Szene sowie der Frage, wer von den vielen Beteiligten die Tat begangen hat, lebt "Steirerstern", wie gehabt eine Koproduktion des ORF mit der ARD-Tochter Degeto, vor allem von den liebevoll gezeichneten Figuren.
Besonders schräg ist ein Frührentner, den Michael Fuith hingebungsvoll als unbeweibten Sonderling verkörpert: Fredi ist eindeutig besessen von Jana. Er organisiert nicht nur ihren Fanclub, sondern fotografiert sie auch auf Schritt und Tritt. Als ehemaliger Heizungstechniker ist er allerdings viel zu verdächtig, um wirklich als Mörder in frage kommen. Immerhin bringt eins seiner Fotos das Duo vom LKA Graz am Ende auf die richtige Spur.
Eine ebenfalls entscheidende Rolle spielt die Akustik: Alex hat kurz vor ihrem Tod an einem neuen Song gearbeitet und ihr Gitarrenspiel aufgezeichnet. Das entsprechende Band führt einer verblüffend witzigen Szene: Beim ersten Abhören glaubt Anni Sulmtaler, es habe an ihrer Zimmertür im Gasthof geklopft, aber tatsächlich hat das Opfer seinen spätabendlichen Mörder – oder seine Mörderin, wie Bergmann anmerken würde – begrüßt; allerdings ohne einen Namen zu nennen. Deshalb stellt sich das Ermittlerduo in einer flotten Schnittfolge vor, wer alles bei Alex vorstellig geworden sein könnte. Eine dieser Personen passt mit ihrer Spiegeleipfanne jedoch überhaupt nicht in die Reihe.
"Steirerstern" basiert wie nahezu alle Steirer-Krimis auf einer Vorlage von Claudia Rossbacher und ist wie gewohnt vom Ehepaar Maria und Wolfgang Murnberger adaptiert worden; letzterer hat erneut Regie geführt. Das von Emily Cox höchstselbst vorgetragene Lied über die "Steirergirls", das Jana und die Lausbuam zum Besten geben, entspricht mit seinem Polka-Rhythmus perfekt den musikalischen Gepflogenheiten des Metiers und hat tatsächlich Hitpotenzial.